Kampf gegen Corona

Die schwierige Suche nach dem Impfstoff

07:20 Minuten
In Madrid wird derzeit Grippe geimpft.
In vielen Laboren arbeiten Wissenschaftler an der Suche nach einem Impfstoff. Welcher wirklich funktionieren wird, ist derzeit noch unklar. © picture alliance / NurPhoto / Juan Carlos Lucas
Anrdt Reuning im Gespräch mit Dieter Kassel · 21.10.2020
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Weltweit wird fieberhaft nach einem Impfstoff zum Schutz vor Covid-19 gesucht, 90 verschiedene Präparate sind im Rennen. Unser Wissenschaftsredakteur Arndt Reuning präsentiert einen Überblick über den aktuellen Stand der Forschung.
Dieter Kassel: Je höher die Zahl der Neuinfektionen mit dem Coronavirus steigt, je extremer die Maßnahmen dagegen werden, desto mehr fragen wir uns: Wann ist endlich Schluss damit? Das kann man so konkret auf gar keinen Fall sagen, aber ein entscheidender Punkt, um zumindest ein Ende dieser Pandemie absehbar erscheinen zu lassen, wäre die Entwicklung eines alltagstauglichen Impfstoffs. Ob die tatsächlich, wie die Optimisten sagen, unmittelbar bevorsteht oder auch ganz und gar nicht, das wollen wir mit Arndt Reuning aus unserer Wissenschaftsredaktion klären. Was ist da im Moment der Stand der Dinge?

90 mögliche Impfstoffe

Arndt Reuning: Der Stand der Forschung lässt sich ganz einfach abzählen, nämlich: Wie viele Impfstoffkandidaten befinden sich mittlerweile in welchem Stadium der Zulassung. Dieser Prozess der Zulassung beginnt mit der sogenannten präklinischen Phase. Da werden die Impfstoffe erst einmal an Zellkulturen untersucht und im Tierversuch, und wenn sie dort dann gute Ergebnisse liefern, dann kommen sie überhaupt erst für die Weiterentwicklung infrage.
Im Moment ist die Mehrheit der Kandidaten in dieser Gruppe versammelt, nämlich rund 90 potenzielle Impfstoffe. Etwas über 40 hingegen befinden sich bereits in klinischen Studien, werden also an Menschen erprobt, und jede klinische Studie hat drei Phasen: In der Phase I erhalten nur wenige Probanden den Impfstoff. In diesem Stadium steht die Sicherheit im Vordergrund, und man schaut auch schon auf erste Anzeichen für eine gute Immunantwort. Rund 30 Kandidaten befinden zurzeit in Phase I. In der Phase II sind es deutlich weniger, nämlich 15, also nur die Hälfte.
An dieser Phase wirken dann einige Hundert Probanden mit, aufgeteilt auf verschiedene Gruppen, zum Beispiel nach dem Alter. Dann möchte man die Wirkung zwischen diesen Gruppen vergleichen und auch die richtige Dosis finden. Und dann kommen wir zur Phase III, der entscheidenden, mit Tausenden von Teilnehmern, um eben auf breiter Basis die Sicherheit und die Wirksamkeit zu belegen.
Was heißt Wirksamkeit? Für einen Corona-Impfstoff würde es als Erfolg zählen, wenn er rund 50 Prozent der Probanden schützt. Allerdings muss man auch sagen, die Phase III ist typischerweise diejenige Phase, in der die meisten Kandidaten dann scheitern, denn hier werden auch seltene, aber möglicherweise doch dramatische Nebenwirkungen aufgedeckt.
Von den Corona-Impfstoffen sind im Moment elf in Phase III. Von diesen elf Kandidaten sind bereits sechs Vakzine im Einsatz über eine Sondergenehmigung, drei davon aus China, drei aus Russland. Ob sie wirken oder Nebenwirkungen haben, das weiß man allerdings noch nicht mit wissenschaftlicher Sicherheit.

Eine vorgespielte Infektion

Kassel: Ich habe immer wieder gehört, vom Auftauchen eines neuen Erregers bis zur einsatzfähigen Entwicklung eines Impfstoffs habe es in der Vergangenheit manchmal bis zu zehn Jahre gedauert. Jetzt glauben doch viele, das wird viel schneller gehen, nicht nur in Russland, sondern auch anderswo. Liegt das an einem durch Unvorsicht beschleunigten Verfahren oder liegt das auch an neuer Technik?
Reuning: Es liegt an neuer Technik. Man setzt auf verschiedene Impfplattformen, und alle Impfstoffe wirken eigentlich nach demselben Prinzip, dass sie dem Immunsystem eine Infektion vorspiegeln, aber mit abgeschwächten, ungefährlichen Viren oder Virenbestandteilen, sodass dann das Immunsystem sich schon mal auf den Ernstfall vorbereiten kann, zum Beispiel schon mal Antikörper produziert. Dann legt das Immunsystem auch in seinem Gedächtnis eine Erinnerung ab an diesen speziellen Erreger. Dann kann es eben im Ernstfall die Abwehr schnell hochfahren.
Wie das im Detail geschieht, darin unterscheiden sich die Impfstoffe. Unter den Kandidaten aus Phase III gibt es eine Gruppe, die besteht aus inaktivierten SARS-CoV-2-Viren, das ist der klassische Ansatz, ein ganz althergebrachter Ansatz, funktioniert meistens auch ganz gut. Alle diese Vakzine werden in China entwickelt und erprobt, also die in Phase III. Dann gibt es noch eine zweite große Gruppe, die der vektorbasierten Impfstoffe, da benutzt man ein harmloses, entschärftes Erkältungsvirus als Genfähre, einen Adenovirus.
Das bekommt dann den genetischen Bauplan des Corona-Spike-Proteins in das eigene Erbgut eingepflanzt, und so transportieren diese Adenoviren dann den Bauplan in den menschlichen Körper und die Spike-Proteine, das sind diese Zacken auf der Virushülle. Im Körper werden dann diese Eiweißmoleküle aufgebaut von unserer Zellmaschinerie. Das sind die beiden klassischen Verfahren.

Vorteile einer Genmanipulation

Kassel: Aber gerade das, was Sie zum Schluss beschrieben haben, da geht bei manchen sofort die rote Lampe an, das ist ja eine Genmanipulation, auf der das alles basiert. Birgt das nicht auch zusätzliche Gefahren?
Reuning: Es ist eine Genmanipulation auf Ebene des Virus, da wird ja nur quasi ein Bauplan eingeschleust. Das wäre jetzt noch ein ganz neuer, ein dritter Ansatz, der jetzt hinzukommt: Zwei Kandidaten in Phase III arbeiten nach einem eben relativ neuen Prinzip, die bestehen aus dem nackten genetischen Bauplan des Spike-Proteins, also nur aus der RNA – das sind die RNA-Impfstoffe. Diese Erbgutschnipsel werden dann noch eingehüllt in winzig kleine Fetttröpfchen, sodass sie besser an den Ort in der Zelle gelangen, wo dann der Bauplan in Eiweißmoleküle umgesetzt wird.
Aber das ist natürlich etwas, was tagtäglich in unserem Körper geschieht, mit unseren eigenen Genen natürlich – in diesem Fall sind es jetzt eben fremde Gene. Ich denke nicht, dass das besonders gefährlich ist, denn diese Impfstoffe haben im Tierversuch bereits ganz gut funktioniert und bei Menschen offenbar auch.
Ein Vorteil besteht bei ihnen darin, dass sie sich relativ leicht herstellen lassen, weil man keine Viren als Genfähren braucht, die umständlich vermehrt werden müssten. Diese RNA-Impfstoffe lassen sich auf rein chemischem Weg herstellen.
Die Synthese dieser RNA-Kettenmoleküle funktioniert sogar auch automatisiert. Und an einem dieser RNA-Impfstoffe in Phase III ist auch eine deutsche Firma beteiligt, BioNTech aus Mainz. Der zweite RNA-Impfstoff in Phase III wurde vom US-Biotechnologieunternehmen Moderna entwickelt und wird nun zusammen mit der US-Gesundheitsbehörde erprobt.
Kassel: Jetzt testen wir mal mein Zahlengedächtnis: Wenn ich mich an den Anfang unseres Gesprächs erinnere, sind es rund 90 Impfstoffe, die grundsätzlich schon in irgendeiner Phase der Erprobung sind, sechs sind in der letzten Erprobungsphase. Wie lange wird es denn nun dauern, bis ich mich impfen lassen kann?

Rückschlag in Phase III

Reuning: Das ist nicht leicht zu beantworten. Zwei Kandidaten aus Phase III haben zum Beispiel schon einen Rückschlag erlitten, die Studien mussten pausieren, um mögliche Nebenwirkungen bei einzelnen Probanden näher zu untersuchen. Bei denen handelt es sich um die vektorbasierten Impfstoffe, eben mit Adenoviren.
Ansonsten scheinen sich die beiden RNA-Impfstoffe einen Wettlauf zu liefern im Moment. Moderna erwartet erste Zwischenergebnisse im November, im Dezember könnte dann die US-Regierung dem Impfstoff eine Notfallgenehmigung erteilen.
BioNTech, also die deutsche Firma, und deren amerikanischer Partner Pfizer, die streben das auch an – November, Dezember. Sollte es solch eine Genehmigung geben, dann müsste aber erst einmal die Produktion anlaufen und auch die Verteilung organisiert werden, und es wird dann nicht so sein, dass der Impfstoff auf breiter Basis für die Bevölkerung zur Verfügung steht.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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