Kampeter: Strukturwandel nicht durch Konjunkturprogramme verhindern

Steffen Kampeter im Gespräch mit Christel Blanke und Ulrich Ziegler |
Der haushaltspolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Steffen Kampeter (CDU), hat betont, dass sich die Bundesregierung trotz der Maßnahmen gegen die Finanzmarktkrise nicht einem Wandel in Wirtschaft und Industrie in den Weg stellt. Wer versuche, einen Strukturwandel mit Steuergeldern aufzuhalten, subventioniere altindustrielle Bereiche.
Deutschlandradio Kultur: Herr Kampeter, 18,5 Milliarden Euro, so hoch wird die Neuverschuldung des Bundes im kommenden Jahr sein. Das sind acht Milliarden mehr als ursprünglich mal veranschlagt. Wird das denn reichen?

Steffen Kampeter: Das ist meine Erwartung und die Erwartung der Unionshaushälter nach diesen Haushaltsberatungen. Wir haben die Nettokreditaufnahme jetzt nicht künstlich niedrig gehalten, sondern: Es ist auch noch insoweit etwas Risikodämpfer drin. Wir könnten mehr privatisieren, wenn wir wollten. Der Haushalt macht das, was notwendig ist in schwierigen Zeiten.

Deutschlandradio Kultur: Aber jetzt gibt es die Opposition, die sagt, Sie haben eigentlich noch einen Parallelschuldenhaushalt. Nehmen wir das Beispiel möglicher Bürgschaften für die Banken. All das ist nicht drin. Da kann möglicherweise noch was auf uns zukommen, was wir heute noch überhaupt nicht sehen.

Kampeter: Diese Finanzkrise, die uns alle kräftig rüttelt, da gibt es nichts Vergleichbares. Ein solch säkulares Ereignis bilden Sie nicht in einem Bundeshaushalt allein ab. Deswegen war es richtig, dass wir den Finanzmarktstabilisierungsfond davon abgetrennt haben. Und der rüttelt den Haushalt natürlich kräftig durch. Das haben wir uns nicht gewünscht. Das haben wir uns nicht ausgesucht, aber wir werden uns dem stellen.

Deutschlandradio Kultur: Aber ist es denn nicht dann doch eine Art Täuschung? Ich, als Bürgerin, würde doch erwarten, es steht da auch alles drin und ich kann das nachvollziehen. Und dann höre ich von der Opposition, da gibt es noch so einen Parallelhaushalt.

Kampeter: Die Finanzmarktstabilisierung ist in der Größenordnung exakt ausgewiesen. Wir haben ein parlamentarisches Kontrollgremium dafür eingerichtet, was der Gesellschaft auf die Finger guckt, wo die großen, dicken Fälle auch dargelegt werden müssen, auf Anregung insbesondere der Opposition, um dieser Kritik zu begegnen, dass wir im grauen Bereich oder irgendwo versteckt vor den offenen Augen des Parlamentes etwas machen.

Ich halte die Kritik nicht für gerechtfertigt. Dass wir allerdings diesen Sonderhaushalt trennen von dem alltäglichen, von den Sorgen, Wünschen und Nöten der normalen Bevölkerung, vom Straßenbau, wie er notwendig ist, und von Forschungsinvestitionen, und nicht das eine mit dem anderen vermengen, das finde ich auch sachgerecht und macht im Übrigen mehr Transparenz, als wenn alles in einen großen Kessel geschüttelt und umgerührt wird.

Deutschlandradio Kultur: Trotzdem müssen Sie doch erhebliche Bauchschmerzen haben. Bis vor zwei Monaten haben wir gelernt, wir wollen konsolidieren. Wir wollen weniger Schulden machen. Jetzt hat sich der Wind völlig gedreht, selbst für Haushaltspolitiker, die sagen: Jetzt gilt Schuldenmachen. Aber man könnte ja auch sagen, man müsste trotzdem und weiterhin versuchen, in den einzelnen Etats zu sparen.

Kampeter: Ich fände es schade, wenn sich jetzt der Eindruck verfestigen würde, wir hätten hemmungslos Schulden gemacht. Wir haben das Nötige getan. Das war, die Steuerausfälle zu berücksichtigen. Wir konnten jetzt nicht jede Privatisierungsmaßnahme realisieren. Das wäre die Verschleuderung von Volksvermögen gewesen. Wir haben drittens festgehalten an den Entlastungsmaßnahmen, beispielsweise bei den Familien, beispielsweise bei den wirtschaftsförderlichen Abschreibungen.

Jetzt musste für einige Zeit die absolute Konsolidierung zurücktreten. Und es musste deutlich werden, dass immer gegolten hat, Konsolidierung ist kein Selbstzweck, sondern Konsolidierung ist die Grundvoraussetzung staatlicher Handlungsfähigkeit. Und wir investieren jetzt einen Teil unserer Konsolidierungsrendite - leider durch höhere Schulden - wieder darin, dass unser Land weiter auf Kurs bleibt und dass es nicht den Bach runtergeht, in eine Depression fällt.

Deutschlandradio Kultur: Da mussten Sie persönlich aber eine ganz schöne Kehrtwende machen, oder?

Kampeter: Nein. Es schmerzt mich, dass wir mehr Schulden machen, als ich eigentlich wünsche. Aber es gibt auch Lebenssituationen oder politische Situationen im Arbeitsbereich eines Haushälters, da ist die Senkung der Nettokreditaufnahme nicht das Vordringlichste Ziel. Gleichzeitig haben wir aber auch deutlich gemacht, dass der Staat nicht alles leisten kann. Ein Bundeshaushalt hätte jetzt, wie die Opposition es teilweise von links gefordert hat, ja auch einen Schutzschirm über alle Lebensrisiken spannen können und mit Hunderten von Milliarden Euro Verstaatlichungsmaßnahmen durchführen können. Dieser Versuchung sind wir auch nicht erlegen.

Deutschlandradio Kultur: Die Bürger, vor allem die jüngeren, erwarten aber auch, dass sie künftig noch handlungsfähig bleiben können als Staatsgebilde. Das heißt, dass wir nicht irgendwann soweit kommen, dass wir nur noch Schulden aufnehmen, um Schulden abtragen zu können.

Kampeter: Die Wahrheit ist, das machen wir zum gegenwärtigen Zeitpunkt. Die Zinszahlungen sind höher als die Nettokreditaufnahme. Es ist ja noch schlimmer. Wir nehmen nicht Schulden auf, um Schulden zu bezahlen. Wir bezahlen die Zinsen von Sünden der Vergangenheit aus der Substanz. Wir geben in diesem Jahr etwa 40 Milliarden Euro für Zinszahlungen aus - Tendenz steigend.

Wie viel Kindergartenplätze könnten Sie für 40 Milliarden Euro bauen? Wie viel Universitäten und Forschungseinrichtungen könnten exzellent ausgestattet werden? Wie sähe eine Infrastruktur aus? Das zeigt, dass die Verschuldung nicht die Lösung des Problems war in der Vergangenheit, sondern eine Ursache. Die Schlussfolgerung muss sein: Wenn die Finanzkrise uns nicht mehr so rüttelt wie heute, muss mit Volldampf Kurs auf den ausgeglichenen Haushalt aufgenommen werden.

Deutschlandradio Kultur: Das hätten Sie doch in den letzten drei Jahren machen können. Da liefen die Steuereinnahmen sehr gut. Die Kanzlerin sagt, in guten Zeiten muss man Rücklagen bilden für schlechte Zeiten. Wir hatten diese guten Zeiten. Sie haben es nicht gemacht.

Kampeter: Diese Einschätzung teile ich nicht. Als Hans Eichel an seinen Nachfolger den Bundeshaushalt übergeben hat, waren Begriffe wie "Staatsbankrott" angesagt. Der Staat hat etwa 60 Milliarden Euro mehr ausgegeben, als er hat. Im laufenden Jahr wir die Nettokreditaufnahme lediglich bei rund 12 Milliarden Euro sein. Das heißt, wir haben einen erheblichen Konsolidierungsfortschritt gehabt.

Den haben uns viele nicht zugetraut, wir selbst nicht. Wir lagen nämlich bis ins laufende Jahr deutlich über Plan, insoweit als wir weitaus weniger Schulden gemacht haben. Trotzdem, jetzt ist eine neue Lage, der muss sich auch die Haushaltspolitik stellen. Und der Dreiklang von Investieren, Sanierung und Reformieren verschiebt sich jetzt stärker Richtung Investitionen. Aber trotzdem, wenn uns die Finanzkrise nicht mehr so rüttelt, ich wiederhole das, dann muss Volldampf Richtung konsolidierter Haushalt kommen.

Deutschlandradio Kultur: Das Finanzministerium hat jetzt bekannt gegeben, dass sie noch nicht mal absehen können, wie die Nettokreditaufnahme für das laufende Jahr eigentlich aussehen soll. Also, kommt dann da womöglich noch ein Nachtragshaushalt 2008 auf uns zu und damit noch mehr Schulden?

Kampeter: Ich rechne damit nicht. Wir könnten zum Beispiel zum gegenwärtigen Zeitpunkt ja auch bei den Ausgaben nachsteuern. Wir wissen, dass es ein hoher Unsicherheitsfaktor ist. Ein bisschen unzufrieden bin ich in der Großen Koalition mit dem Staatsverständnis der Sozialdemokraten.

Für die Sozialdemokraten ist Ausgabenabsenkung irgendwie ein Wort, was ihnen nur schwer über die Lippen geht. Da ist zwar die Haushaltsarbeitsgruppe an vorderster Front dabei, aber insgesamt müssen Einsparungen, also Ausgabeabsenkungen, beispielsweise bei sozialen Ausgaben, Effektivierung der Arbeitsmarktpolitik, die müssen schwer erkämpft werden.

Oder beispielsweise, was wir in dem Bereich von Investitionserleichterungen haben, da wird immer davon ausgegangen, dass Ausgabesteigerungen gut für Investition ist. An die Frage des Rechtsrahmens, beispielsweise wie viel Bürokratie Investitionen in Deutschland tatsächlich verhindern, da glaubt unser Koalitionspartner nicht so richtig dran. Da gibt es schon staats- und gesellschaftspolitisch fundamentale Unterschiede. Trotzdem, der Wähler hat uns da in diese Koalition geschickt, jetzt müssen wir das Beste draus machen. Aber eine CDU-geführte Bundesregierung ohne SPD als Partner würde eine sehr grundlegend andere Haushaltspolitik machen.

Deutschlandradio Kultur: Wie hätten denn die Sparmöglichkeiten ausgesehen ohne die SPD als Koalitionspartner, wenn Sie sagen, die haben keinen richtigen Sanierungswillen?

Kampeter: Weniger Staat, mehr Eigenverantwortung. In einer FDP-CDU-Koalition hätten wir erheblich weiter voranschreiten können auf dem Teil Reform. Ich glaube, dass unsere Arbeitsmarktpolitik, mit weniger Arbeitslosigkeit immer mehr Geld auszugeben pro Fall, in die falsche Richtung läuft. Wir hätten auch den Umbau der Krankenversicherungssysteme so vorangetrieben, dass der schmerzliche Steuerzuschuss, den wir jetzt in Reformversäumnisse des Gesundheitswesens investieren müssen, den Haushalt nicht so sehr belastet hätte. Und weniger Vorschriften können starken volkswirtschaftlichen Nutzen haben. Die Wirtschaft läuft besser und die Steuerquellen fließen auch besser. Das wäre ein Gewinn auch für den Bundeshaushalt.

Deutschlandradio Kultur: Aber das führt zu gesellschaftlichen Verwerfungen, die Sie auch nicht haben wollen.

Kampeter: Werden Sie da bitte etwas präziser.

Deutschlandradio Kultur: Na, wenn Sie beispielsweise sagen weniger Vorschriften. Der Chef der Bundesagentur für Arbeit, Herr Weise, Ihr Parteifreund sagt, wir machen das im Moment mit den Vorschriften. Wir wollen weniger haben, aber von der Tendenz her brauchen wir die, um Fördermaßnahmen zu machen. Wenn Sie die wegnehmen, dann überlassen Sie das dem Markt. Ob das dann zu Qualifizierung und Weiterentwicklung führt, ist die Frage.

Kampeter: Die Wahrheit ist folgende: Wir haben zum gegenwärtigen Zeitpunkt etwa 70 Instrumente in der Arbeitsmarktpolitik. In der Konzentration auf - sagen wir mal - ein Dutzend Instrumente, die wirksam sind und die tatsächliche Brücken in Beschäftigung bilden, da liegt doch das qualitative Einsparpotenzial. Es geht nicht um weniger für die Menschen, sondern das Geld zielorientierter dort einzusetzen, wo es tatsächlich nützt, Beschäftigung fördert und Brücken in dauerhafte Beschäftigungsverhältnisse macht.

Deutschlandradio Kultur: Kommen wir zurück zum Haushalt. Da ist ja jetzt auch noch die Rede davon, dass die EU ein Konjunkturpaket oder -programm auflegen will. Im Moment wird davon gesprochen, dass der Anteil Deutschlands ungefähr bei 24 Milliarden Euro mindestens liegen könnte. Der steht auch nicht im Haushalt. Das verstehe ich nicht.

Kampeter: Ja, da ist es offensichtlich zu einem Kommunikationsmissverständnis gekommen. Die Maßnahmen, die wir jetzt beschlossen haben, übersteigen bereits unseren nationalen Anteil, den wir an einem europäischen Konjunkturimpuls leisten müssen. Es würde von der Bundesregierung, zumindest von der Union, auch nicht unterstützt, wenn jetzt der deutsche Steuerzahler an die EU-Kommission und ihre Bürokratie in dieser Größenordnung Gelder überweist und die Brüsseler verteilen dann das Geld nach eigenem Gutdünken.

Ich glaube, konjunkturelle Stimuli, die müssen dezentral, sprich, in den einzelnen Nationalstaaten vonstatten gehen. Die europäische Geldpolitik muss für Europa insgesamt, insbesondere für die Euro-Zone koordiniert werden. Aber eine gemeinsame Ausgabepolitik, das wäre zum Schaden Deutschlands. Das wäre zum Schaden des Bundeshaushaltes. Und die Bundesregierung hat in den Haushaltsberatungen noch mal klargelegt: Wir werden kein Geld nach Brüssel für ein europäisches Konjunkturprogramm überweisen.

Deutschlandradio Kultur: Woher nehmen Sie denn die Sicherheit, dass dezentrale Konjunkturprogramme, von denen Sie gesprochen haben, wirksamer wären. Denn der Käufer, der Konsument und auch die Produzenten konsumieren und produzieren ja nicht nur in und für die Region. Das geht ja europaweit, weltweit.

Kampeter: Zuerst einmal grundsätzlich: Ich halte von Konjunkturprogrammen wenig. Insgesamt brauchen wir eine konsistente, umfassende Politik, die weit über den Haushalt hinausgeht und die den Kern hat: Wir müssen das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger, der Investoren und Konsumenten wieder gewinnen, dass diese wirtschaftliche Abwärtsentwicklung nicht anhält und dass sie im Vertrauen und auch mit solider Perspektive auf einen Aufschwung sowohl im konsumtiven, wie investiven Bereich zurückgewinnen.

Das kann der Staat unterstützen, aber hier sind nicht nur staatliche Akteure gefragt, sondern was wir brauchen ist ein Vertrauenspakt zwischen Bürgern, Wirtschaft und Politik, wo jeder in seinem eigenen Verantwortungsbereich etwas tut. Dazu gehört beispielsweise im Bereich der Wirtschaft eine situationsangepasste Lohnpolitik, die deutlich macht, dass jetzt angesichts der krisenhaften Veränderungen keine Lohnexplosion stattfinden kann. Und ich begrüße sehr, dass der Pilotabschluss der IG Metall genau dies ja aufgegriffen hat und die Tarifvertragsparteien ihren Beitrag leisten.

Wir in der Politik müssen deutlich machen, dass wir zwar nicht den Bundeshaushalt fluten, aber das Nötige tun, gleichzeitig aber auch dazu beitragen, dass wir uns nicht besoffen reden und in eine Depression hinein quatschen.

Deutschlandradio Kultur: Wenn Sie sagen, diese Pläne der EU werden den Haushalt nicht zusätzlich belasten, was ist aber mit den Bürgschaften, die der Bund übernehmen will? Also, Stichwort: Rettungsschirm für die Banken. Erst mal sind das ja nur Bürgschaften und es kostet noch nichts, aber was, wenn die tatsächlich in Anspruch genommen werden und auf einmal muss die Bundesregierung hundert Milliarden aufnehmen und ausgeben? Dann haben wir diese Schulden an der Backe.

Kampeter: Die Bürgschaften, die wir in der Vergangenheit in hohem dreistelligen Milliardenbereich ausgesprochen haben, waren stets ein Gewinn für den Staat. Die Bürgschaften haben die Funktion, verloren gegangenes oder noch nicht tragfähiges Vertrauen für wirtschaftliche Aktivität durch einen staatlichen Schutzschirm oder durch eine staatliche Garantieausfallgenehmigung zu ersetzen. Das haben wir im Exportgeschäft, gerade in Länder, wo man sich nicht sicher sein kann, ob man auch sein Geld kriegt. Das haben wir im inländischen Bereich, wo wir solche Garantieströme aufnehmen.

Grundlage des Geschäftes ist immer, dass wir davon ausgehen, dass es gut läuft. Ansonsten dürfte man rechtlich gesehen gar keine Bürgschaft geben.

Deutschlandradio Kultur: Und das können Sie sich bei den Banken noch vorstellen, dass es gut läuft - nach allem?

Kampeter: Ja, denn wir unterstützen mit diesem Bürgschaftsrahmen ja keine insolventen Unternehmen, die Verluste machen, sondern wir benutzen diese Bürgschaften dazu, dass der so genannte Interbankenhandel und Interbankenmarkt, der auf Vertrauen bisher gegründet war, wieder in Gang kommt. Und dieser Interbankenhandel kommt jetzt langsam durch die Garantie auch wieder in Gang. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist diese Finanzmarktstabilisierung sogar ein Gewinn für den Steuerzahler, weil wir keine Ausfälle und ganz erkleckliche Gebühren haben.

Deutschlandradio Kultur: Es sind ja nicht nur die Banken, die nach staatlichen Bürgschaften fragen. Beispielsweise auch ein Automobilhersteller wie Opel fordert, fragt nach. Die Bundesregierung sagt, ja, könnt ihr haben. Dann sagt Opel wieder, wir brauchen das aber eigentlich gar nicht. Also, das müssen Sie mal erklären, warum das hilft und warum diejenigen, die das beantragen dann doch nicht wollen.

Kampeter: Opel scheint mir ein Fall für kollektive Hysterie zu sein. Es hat offensichtlich vertrauliche Gespräche gegeben, ob das sinnvoll und vernünftig ist. Die Opelianer haben beim Staat angeklopft. Der Staat hat gesagt, wir gucken uns das mal an. Dann gab es plötzlich eine hysterische öffentliche Diskussion und jeder dachte, Opel steht kurz vor der Pleite. Tatsache ist, Opel scheint ein solventes ertragsstarkes Unternehmen in Deutschland zu sein und hat, genau wie Banken, obwohl es eigentlich Gewinne machen müsste, an der Refinanzierungsseite Probleme. Das muss man sich genau angucken, ob das ein Fall für eine Bürgschaft ist.

Die Bundeskanzlerin hat mit viel Klugheit und emotionaler Intelligenz da erst mal die Hysterie rausgenommen und hat gesagt: Wir gucken uns jetzt mal die Sache an. Sie hat ja eine Bemühenszusage abgeben, keine Ergebniszusage. Und jetzt sitzen die Fachleute da drüber und wollen ja eines vermeiden, dass wir mit deutschem Steuergeld die Sanierung von Detroit unterstützen.

Für mich als Haushälter ist eine wesentliche Voraussetzung, dass die amerikanische Seite sich auch an der Rettung von Opel beteiligt. Das setzt voraus, dass wir im amerikanischen Senat und Kongress die Entscheidung dafür kriegen. Wenn die Amerikaner Opel nicht retten wollen, dann macht es auch wenig Sinn, als Deutsche hier eine Bürgschaft auszusprechen. Sie wäre nämlich von einer hohen Ausfallwahrscheinlichkeit geprägt und dürfte dann gar nicht ausgesprochen werden.

Deutschlandradio Kultur: Da gibt es aber ein paar CDU-Ministerpräsidenten, die das ganz anders sehen. Jürgen Rüttgers zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen ist bereit zu helfen. Die Hessen haben bereits in dieser Woche die Bereitschaft durchs Parlament gebracht, Bürgschaften zu übernehmen. Das sind auch alles CDU-Mitglieder, also, die Ministerpräsidenten. Da herrscht also ein Dissens zwischen der Bundesregierung und den Ländern?

Kampeter: Ich bin auch bereit zu helfen. Die Unionsfraktion ist bereit zu helfen. Die Bundesregierung ist bereit zu helfen. Aber das heißt nicht, ohne dass die Bedingungen stimmen. Und so verstehe ich auch die Einlassungen der Ministerpräsidenten, die ja unisono gerufen haben, wir wollen Opel vor Ort retten, wir wollen nicht Opel in Detroit retten.

Deutschlandradio Kultur: Ich will Sie noch mal in Ihrer Rolle als Haushaltspolitiker ansprechen, dessen Aufgabe es ja eigentlich ist, die Sparmöglichkeiten noch mal auszutarieren, im Haushalt zu gucken, wo man tatsächlich notwendiges Geld ausgibt und wo nicht.

Jetzt bei den aktuellen Beratungen kamen von Ihnen keine Vorschläge zu Einsparungen. Die kamen von der Opposition, und zwar in Höhe von 10,5 Milliarden Euro, die vorgeschlagen worden. Von Ihnen nichts, warum?

Kampeter: Wir hatten im Augenblick nicht die Auffassung, dass wir auf der einen Seite den Bürgerinnen und Bürgern sagen, wir steigern die Investitionen, und auf der anderen Seite sagen, wir kürzen sie. Die Vorschläge der Opposition zielen ja oftmals auch ins Leere. Wollen Sie allen Ernstes die Arbeitsmarktförderung so zusammenstreichen in Höhe von etwa 5 Milliarden Euro, wie es die Opposition ernsthaft ja vorgeschlagen hat?

Wenn man sich das im Detail anschaut, wären die Folgewirkungen, die Umsetzung beispielsweise der Vorschläge der FDP in der Arbeitsmarktpolitik, ein Anstieg von Arbeitslosigkeit, höhere Ausgaben für den Bund. Dann hätten Sie mit Zitronen gehandelt. Ein verantwortliches Alternativkonzept waren die populistischen Einsparvorschläge der Opposition keineswegs.

Ein anderer Teil der Opposition hat sogar gesagt: 40 Milliarden Euro müssen die Steuern rauf. In der wirtschaftlichen Krisensituation jetzt auch noch mit Steuererhöhungen zu kommen, ja, da hab ich wirklich gedacht, die haben einen Knall.

Deutschlandradio Kultur: Aus Ihrer Sicht wurden also alle Möglichkeiten für Einsparungen im Haushalt 2009 ausgeschöpft?

Kampeter: Vom Internationalen Währungsfond bis zur Europäischen Kommission, vom Sachverständigenrat bis zu ansonsten sehr auf Fiskaldisziplin achtende einzelne prominente Ökonomen, alle rufen jetzt dazu auf, mehr zu tun als Staat.

Wir haben uns diesem Ruf nicht gänzlich verschlossen, aber wir glauben, dass neben dem Ruf nach dem Staat und neben dem Ruf nach Defiziten andere Instrumente auch helfen können, wie beispielsweise Bürokratieabbau, den ich angesprochen habe, oder wie beispielsweise unser leistungsfähiges Förderbankensystem, was ja kaum ein anderes Land überhaupt hat, wo man mit kleineren Zinssubventionen oder mit Garantien auch schon ein Vielfaches an wirtschaftlicher Aktivität in Gang setzen kann.

Also, da ist unser Ansatz, glaube ich, ganz klug, ganz vernünftig, ist eingebunden in das internationale Konzert. Deutschland ist keine Insel und diese Krise ist keine normale Herausforderung. Sie ist säkular, sie ist ungewöhnlich. Hier gelten nicht die normalen Rezepte, hier mal eine Milliarde rauf, hier mal eine Milliarde runter.

Wir haben auf der internationalen Ebene zwei Dinge beim Weltfinanzgipfel deutlich gemacht. Wir wollen weiter mit allen Menschen Handel treiben. Das war ja der Fehler in der Depression 1929 fortfolgende, dass alle Staaten die Schotten dicht gemacht haben. Und ein Land wie Deutschland, wo jeder dritte Arbeitsplatz vom Export abhängt, ein Land wie Deutschland ist angewiesen auf die offenen Märkte.

Zweitens brauchen wir neue Vorfahrtsregeln und Anstandsregeln in der internationalen Finanzindustrie. Da hat es ungefähr zwei Dutzend sehr kluge Vorschläge gegeben, die bis zum Frühjahr umgesetzt werden. Und jetzt werden wir in der Europäischen Union gucken, was aus den Programmen, die die EU bereits eingeplant hat, gegebenenfalls vorgezogen werden kann. Und alle Mitgliedsstaaten der Europäischen Union sind gefragt, national differenzierte Antworten zu geben, so wie wir sie jetzt mit dem Bundeshaushalt geben.

Deutschlandradio Kultur: Sie sagen, Sie sind keine Insel. Wir nehmen mal das Beispiel Frankreich oder Amerika. Die werden versuchen verstärkt mit Konjunkturprogrammen die Wirtschaft wieder ins Laufen zu kriegen oder zumindest einen Niedergang zu stoppen. Da können Sie sich doch überhaupt nicht entziehen. Sie werden doch da nachspielen müssen, wenn die anderen tatsächlich richtig Geld in die Hand nehmen.

Kampeter: Das Gegenteil halte ich für richtig. Wer Strukturwandel mit Steuergeldern versucht aufzuhalten, der subventioniert altindustrielle Bereiche. Der macht Industrien weniger wettbewerbsfähig. Ich glaube, dass gerade die deutsche Position, die sich auch offensiv dem Wandel stellt, für die Beschäftigten in Deutschland, insbesondere auch durch technologische Zukunftsentwicklung, mehr Chancen bietet als - sagen wir mal - die klassische französische Situation, wo ein lähmender Schutzschirm vor Veränderung natürlich auch die geschützten Bereiche von dem technologischen Wandel durch Wettbewerb und Innovation abhält. Ich glaube, dass die Hyperaktivität im französischen Elysee den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der angeblich geschützten Bereiche im Ergebnis eher schadet als nützt.

Deutschlandradio Kultur: Dann brauchen wir auch keine Steuerförderung für Leute, die sich jetzt neue Autos kaufen, weil die ohnehin nur die alten kaufen, die auf der Halde stehen.

Kampeter: Ich mache kein Hehl daraus, dass der am wenigsten überzeugendste Teil - für mich - in den Vorschlägen der Bundesregierung, die sich die Mehrheit meiner Fraktion zu Eigen gemacht hat, diese Kfz-Steuernummer ist. Ich glaube, dass es viel, viel wichtiger ist, dass wir die mittelständische Zulieferindustrie in unser Kreditprogramm aufgenommen haben.

Da tun wir wirklich was zur Stabilisierung der Automobilindustrie in Deutschland - im Übrigen nicht durch Subvention, sondern eigentlich durch marktwirtschaftliche Instrumente, weil Sie einen hohen Risikoanteil ja auch privatisiert haben. Hier sind wir Opfer - glaube ich - von Lobbyinteressen geworden, weshalb ich beispielsweise auch skeptisch bin, dass wir jetzt alle Unternehmen in Deutschland zu Opels erklären.

Deutschlandradio Kultur: Was ist denn für Sie die Alternative zu einem Konjunkturprogramm?

Kampeter: Ich bin nicht grundsätzlich dagegen, dass der Staat jetzt das tut, was er tun kann, im investiven Bereich macht. Grundlage der Großen Koalition war Investieren, Sanierung und Reformieren. Investieren haben wir jetzt vorgezogen. Sanieren haben wir ein bisschen nach hinten geschoben. Jetzt kommt die Abteilung Reform in den Vordergrund. Eigentlich bräuchten wir eine Entbürokratisierungsoffensive.

Wir haben gute Erfahrungen beispielsweise mit dem Planungswegebeschleunigungsgesetz in den neuen Ländern gemacht. Das ging schneller und preiswerter. Hoppla. Wenn das die größte Krise ist, der wir seit Wiedervereinigung und Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg gegenüberstehen, dann müssen wir den Luxus dieser Überbürokratisierung unserer Gesellschaft nach vorne treiben.

Wir brauchen zweitens, glaube ich auch, auch emotionale Signale. Der Zusammenhalt in unserer Gesellschaft hängt ja auch von der moralischen Legitimität wirtschaftlichen Handelns ab. Ich empfehle beispielsweise, dass unsere Kirchen gemeinsam mit der Politik auch so etwas wie Verhaltenscodizes für Manager und leitende Angestellte entwickeln, dass es wieder Dinge gibt, wo die Bürgerinnen und Bürger sagen, das tut man nicht! Das ist im unteren Bereich von wirtschaftlichen Entscheidungen offensichtlich noch gegeben. Aber in den höheren Etagen, da mache ich mir ja manchmal Sorge, dass Anstand und Moral, so wie ich das als Familienvater gemeinsam mit meiner Frau unseren drei Kindern versuche beizubringen, nicht mehr so ernst genommen wird, wie vielleicht noch vor 20 oder 30 Jahren.

Deutschlandradio Kultur: Dann wäre es doch auch ganz ehrlich, wenn nächstes Jahr, wenn Bundestagswahlen stattfinden, die CDU sagt, Steuersenkungen, wie wir das vorhaben, das können wir eigentlich nicht finanzieren, weil wir sonst den Staatshaushalt noch stärker - zumindest kurzfristig - belasten. Also, mit dem Thema können wir ehrlicherweise gar keinen Wahlkampf machen.

Kampeter: Wir brauchen einen akzeptierten Plan für den ausgeglichenen Haushalt. Und wir brauchen einen akzeptierten Plan für mehr Netto für zentrale Bereiche unserer Gesellschaft. Da ist der mittlere Einkommensbereich, Stichwort kalte Progression, und die Familie zuförderst gefragt.

Deutschlandradio Kultur: Also, wenn Sie weniger Steuer einnehmen, werden Sie künftig den Haushalt konsolidieren?

Kampeter: Ich glaube, dass Haushaltskonsolidierung auch etwas mit Aufgaben- und Ausgabenkritik zu tun hat. Wenn ich von Entbürokratisierung spreche, klingt das vielleicht etwas abstrakt. Konkret meine ich, dass wir durch Entbürokratisierung den unverschämten Sachverhalt endlich beenden können, dass wir in Deutschland die teuersten Autobahnkilometer der Welt haben, weil wir beispielsweise 30 oder 40 Jahre einen Autobahnkilometer planen.

Warum überprüfen wir nicht bestimmte Standards bei der Bauausgestaltung? Da kann der Staat Milliarden sparen! Warum kümmern wir uns eigentlich nicht um die Effektivität der Arbeitsverwaltung? Und so kann man viele Bereiche durchdeklinieren, wo ich von qualitativer Konsolidierung spreche. Wenn wir eine Aufgabenkritik beim Staat durchführen, sozusagen mehr staatliche Leistung für im Trend weniger Geld, dann schaffen Sie mit dieser Konsolidierungsrendite auch die Möglichkeit für strukturelle Anreize, für Möglichkeiten auch dauerhafter Einkommenssteuersenkungen, ohne Einsparungen bei den Bürgern, ohne Belastung für die Betroffenen gegen zu finanzieren.

Deutschlandradio Kultur: Aber Herr Kampeter, das ist doch die Platte, die wir seit 30 Jahren hören.

Kampeter: Das ist keine Blase, sondern das ist realistische Politik. Es ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt ein Mangel in der Großen Koalition. Aufgaben und Ausgabenkritik sind unterbelichtet. Das Vertrauen auf den Staat ist bei uns weitaus weniger ausgeprägt als bei unserem Koalitionspartner. Deswegen glaube ich, dass eine Konsolidierungs- und Steuersenkungskoalition im September des nächsten Jahres vor allen Dingen mit der FDP gebildet werden sollte.

Deutschlandradio Kultur: Herr Kampeter, ganz herzlichen Dank für das Gespräch.

Kampeter: Gerne.

Sie können das vollständige Gespräch mindestens bis zum 22.4.09 als MP3-Audio in unserem Audio-on-Demand-Player nachhören.