Kampagne "Wir haben es satt"

Wie Bodenspekulation die Kleinlandwirtschaft bedroht

Philipp Brändle im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 07.09.2017
Der ländliche Raum werde "ausgeräumt und abgehängt", beklagt Ökobauer und Aktivist Philipp Brändle. Schuld daran: Landspekulation und die Agrarpolitik der EU. Im Rahmen der Kampagne "Wir haben es satt!" fordern Brändle und andere Kleinbauern die Agrarwende.
Mit einer Kampagne "Wir haben es satt!" protestieren Bäuerinnen und Bauern derzeit gegen industrielle Landwirtschaft und gegen die Bevorzugung von Agrar-Großbetrieben durch die Politik.
Bäuerinnen und Bauern hätten "ganz klar das Gefühl: Die Politik bevorteilt diejenigen, die schon viel haben, also viel Land bewirtschaften, und benachteiligt die, die sowieso schon Schwierigkeiten haben, weil sie eben kleinere und mittlere Betriebe sind", kritisierte der Ökobauer und Mitorganisator der Kampagne, Philipp Brändle, im Deutschlandfunk Kultur.

Agrarland ein "interessantes Spekulationsobjekt"

Von der EU werde jeder Hektar Land durchschnittlich mit 300 Euro gefördert. Wer also viel habe, bekomme viel mehr - zumal die Kleinlandwirtschaft "tendenziell mehr Arbeitskräfte" beschäftige.
Außerdem werde Land immer teurer und sei dadurch auch für außerlandwirtschaftliche Investoren ein interessantes Spekulationsobjekt. "Das sind natürlich Akteure und Akteurinnen aus der Wirtschaft, die Münchener Rück zum Beispiel als Versicherung hat im großen Stil Land gekauft, die Energiekonzerne haben im großen Stil Land gekauft, in der Nähe von meinem Lehrbetrieb in Schleswig-Holstein hat Brille Fielmann einen großen landwirtschaftlichen Betrieb und hat in der Zwischenzeit, glaube ich, mehrere."

Bauer sucht Frau

Der ländliche Raum werde durch diese Entwicklung "ausgeräumt und abgehängt", kritisiert Brändle. Mit gravierenden sozialen Folgen: "Für den Sohn von dem Landwirt aus Mecklenburg-Vorpommern bedeutet das zum Beispiel, dass in seinem Umfeld keine Frauen mehr sind, weil Frauen tendenziell die Ersten sind, die das Umfeld da verlassen. Und er sagt, wenn er auf eine Party geht, dann kommen auf fünf Frauen 35 Männer, und dass das da wirklich ein ernst zu nehmendes Problem ist."
(uko)

Das Interview im Wortlaut:
Liane von Billerbeck: Landraub, das ist ein Wort, da denkt man an Afrika, wo in riesigem Ausmaß Land geraubt wird, Boden ausgebeutet, auf dem angebaut wird, was den Bewohnern in der Region nichts nützt und nicht zugutekommt. Aber Landraub mitten in Deutschland? Ja, gibt es. Denn immer mehr Flächen werden von landwirtschaftsfernen Konzernen aufgekauft – Boden als das Gold von morgen also. Kleine und mittlere Bauern können da nicht mithalten und in Thüringen gibt es dagegen jetzt Protest während der Kampagne "Wir haben es satt", eine Aktion von vielen, heute und morgen in Deutschland. Und wir wollen deshalb über Landraub sprechen und dessen Folgen und haben einen jungen Bauern zu Gast, der zwar nicht von einem Bauernhof kommt, also auch keinen erben kann, außerdem Quereinsteiger in dem Beruf ist, aber Bauer mit Leidenschaft. Schönen guten Morgen, Phillip Brändle!
Phillip Brändle: Guten Morgen!
von Billerbeck: Sie bewirtschaften ja zusammen mit anderen ein Projekt am Rand von Berlin, einen Bauerngarten, so heißt es. Und Sie suchen dafür Äcker, und vor einigen Tagen, habe ich gehört, konnte Sie erst den Vertrag für einen neuen, vierten Acker unterschreiben. Wie lange hat es denn gedauert, bis Sie so was gefunden haben? Denn Sie wollten ja ein bisschen expandieren.
Brändle: Meine Kolleginnen und Kollegen und Freundinnen und Freunde haben vier Jahre gesucht, um jetzt zweieinhalb Hektar Land am Stadtrand von Berlin pachten zu können, und der Bauerngarten hat auch eine eigene Stelle dafür geschaffen, die 10 Stunden die Woche quasi nichts anderes macht …
von Billerbeck: Holla!
Brändle: … als zu versuchen, für uns neue Flächen zu akquirieren und die Standorte weiterzuentwickeln.

Die Politik bevorteilt landwirtschaftliche Großbetriebe

von Billerbeck: Das heißt, nun kann man ja sagen, das ist in der Nähe von Berlin, da ist es besonders schwer, aber das ist kein Einzelfall vermutlich, denn sonst hätten wir auch dieses Thema nicht gemacht, es geht auch anderen so in anderen Regionen.
Brändle: Absolut. Ich habe neulich einen konventionellen Kollegen in Mecklenburg-Vorpommern bei Güstrow gesprochen, der in der "Arbeitsgemeinschaft Bäuerliche Landwirtschaft" auch mitorganisiert ist. Der bewirtschaftet 200 Hektar und der sagt, er hat das Gefühl, er ist politisch nicht mehr gewollt. Auch Bäuerinnen und Bauern, die zum Teil – im Vergleich jetzt mit uns – in größeren Dimensionen wirtschaften, haben ganz klar das Gefühl: Die Politik bevorteilt diejenigen, die schon viel haben, also viel Land bewirtschaften, und benachteiligt die, die sowieso schon Schwierigkeiten haben, weil sie eben kleinere und mittlere Betriebe sind.
von Billerbeck: Wieso ist das so? Wer steckt dahinter, wer kauft diese Flächen auf, dass Sie als kleine oder mittlere Betriebe wie dieser Bauer, von dem Sie eben aus Mecklenburg-Vorpommern gesprochen haben, da gar nicht mehr mithalten können?
Brändle: Das sind natürlich Akteure und Akteurinnen aus der Wirtschaft, die Münchener Rück zum Beispiel als Versicherung hat im großen Stil Land gekauft, die Energiekonzerne haben im großen Stil Land gekauft, in der Nähe von meinem Lehrbetrieb in Schleswig-Holstein hat Brille Fielmann einen großen landwirtschaftlichen Betrieb und hat in der Zwischenzeit, glaube ich, mehrere. Und die Situation, die wir haben, ist ja die, dass Land einfach begehrt ist dadurch, dass die landwirtschaftliche Fläche immer geringer wird, weil Flächenversiedlungen stattfinden, und auf der anderen Seite die Landwirtschaft natürlich immer mehr auch in die Energieversorgung eingebunden ist. Dafür brauchen wir mehr Land, wir haben immer mehr Menschen zu ernähren, dafür brauchen wir immer mehr Land.

Aktionstour "Wir haben es satt"

Und es ist ganz einfach, Angebot und Nachfrage: Land wird einfach immer teurer und dadurch für außerlandwirtschaftliche Investoren ein interessantes Spekulationsobjekt, als Geldanlage. Und die Schwierigkeit, die wir als Bäuerinnen und Bauern eben haben, ist die, dass wir unser Geld natürlich auf dem Land erwirtschaften, indem wir da zum Beispiel Roggen oder Kartoffeln oder, wir jetzt, Gemüse anbauen. Und wenn jetzt außerlandwirtschaftliche Investoren anfangen, Land zu kaufen, die quasi Fremdkapital mit reinbringen aus der Wirtschaft oder aus dem Versicherungswesen oder wo auch immer, dann können wir als Bäuerinnen und Bauern durch die landwirtschaftliche EU-Produktion auf dem Flächenmarkt beim Kauf und bei der Pacht einfach nicht mehr mithalten, weil wir das Kapital nicht haben, um Flächen zu kaufen oder zu pachten.
Und das Allerschlimmste, was noch dazukommt, ist, dass wir über die europäische Agrarpolitik die Situation haben, dass jeder Hektar Land im Schnitt mit 300 Euro gefördert wird. Das heißt, ein Betrieb mit 100 Hektar bekommt hundertmal 300 Euro, ein Betrieb mit 1000 Hektar bekommt tausendmal 300 Euro, wir jetzt mit unseren sieben Hektar bekommen siebenmal 300 Euro. Das heißt, die, die schon viel haben, bekommen von der Europäischen Union noch viel Geld, haben dadurch viel Kapital und können auch wieder viel kaufen. Und die, die wenig haben, die aber tendenziell mehr Arbeitskräfte zum Beispiel beschäftigen, die haben wenig Geld und können entsprechend auch wenig kaufen und wenig pachten. Und das sind politische Rahmenbedingungen, die wir satt haben, und deswegen ist die von Ihnen angesprochene Aktionstour heute und morgen auch in Thüringen und protestiert da.
von Billerbeck: Nun könnte man ja sagen: Viele Menschen träumen ja davon, dass es so ein bisschen so eine Rückkehr gibt zu einer Landwirtschaft, bei der man weiß, woher das Gemüse, das Obst, das Korn kommt, wo man vielleicht sogar die Leute kennt, die es herstellen. Warum sind die Proteste da immer noch so vergleichsweise gering, bei so wichtigen Dingen, die ja unsere Existenzgrundlagen betreffen?
Brändle: Erst mal finde ich es ganz wichtig zu sagen: Das, was das Bündnis "Meine Landwirtschaft" und "Wir haben es satt" und auch die Arbeitsgemeinschaft Bäuerliche Landwirtschaft will, ist nicht ein Zurück, wir wollen nicht mehr spritzen und wir wollen nicht mehr düngen, sondern was wir wollen, sind innovative Anbaumethoden mit einer vernünftigen Fruchtfolge, mit einer vernünftigen Bodenbearbeitung, also Systeme, die wissensbasiert sind und nicht technologiebasiert. Also kein Zurück, sondern eigentlich ein Vorwärts. Die Proteste, könnte man sagen, jetzt müssten mal eben irgendwie 250.000 Leute auf die Straße gehen und mal so richtig aufräumen.

Mit Hartnäckigkeit zum Erfolg?

von Billerbeck: Alle, die in den Bioladen gehen, zum Beispiel.
Brändle: Alle, die in den Bioladen gehen, zum Beispiel. Das Besondere an "Wir haben es satt", "Meine Landwirtschaft" und auch der "Arbeitsgemeinschaft Bäuerliche Landwirtschaft" ist ja das, dass wir jetzt seit sieben Jahren zum Beispiel eine "Wir haben es satt"-Demonstration in Berlin haben, seit sieben Jahren gehen jedes Jahr zur Grünen Woche im Januar bei Minusgraden Bäuerinnen und Bauern und die Zivilgesellschaft auf die Straße. Und die Bewegungen, die irgendwann mal irgendwas erreicht haben, waren die, die hartnäckig waren, und die, die drangeblieben sind. Und wir bleiben dran und sind hartnäckig und werden deswegen was verändern. Und viele Bewegungen sind daran gescheitert, dass sie einmal groß Tamtam gemacht haben und danach sind sie verschwunden. Und das wird bei der Bewegung, die eine andere Landwirtschaft will, anders sein, da bin ich überzeugt.
von Billerbeck: Das ist ja schon mal ein Credo hier am Morgen in unserer Sendung! Eine Frage will ich noch stellen: Diese Konzentration, von der Sie gesprochen haben, also dass da große, teilweise landwirtschaftsferne Akteure Land aufkaufen, die verändert ja auch den ländlichen Raum. Nur sind Sie zwar in der Nähe von Berlin tätig, aber viele andere sind ja in der Fläche unterwegs und haben da ihre Höfe. Was bedeutet das, wenn da plötzlich ganz andere Akteure diese riesigen Flächen aufkaufen?
Brändle: Der ländliche Raum wird ausgeräumt und abgehängt. Für den Sohn von dem Landwirt aus Mecklenburg-Vorpommern, von dem ich gerade gesprochen habe, bedeutet das zum Beispiel, dass in seinem Umfeld keine Frauen mehr sind, weil Frauen tendenziell die Ersten sind, die das Umfeld da verlassen. Und er sagt, wenn er auf eine Party geht, dann kommen auf fünf Frauen 35 Männer, und dass das da wirklich ein ernst zu nehmendes Problem ist. Und dann wohnen im ländlichen Raum eigentlich auch immer weniger Menschen, ich bin ja nicht schon immer in Berlin, sondern ich habe ja auch eine landwirtschaftliche Lehre gemacht und habe auf verschiedenen landwirtschaftlichen Betrieben gearbeitet. Und das hängt nicht ausschließlich, aber auch damit zusammen, dass landwirtschaftliche Betriebe immer größer werden.

Für einen lebendigen ländlichen Raum

Und ich habe extra für die Sendung die Zahlen noch mal versucht zu recherchieren, und laut dem Statistischen Bundesamt ist es eben so, dass ein Betrieb, der 1000 Hektar und größer ist, im Schnitt pro 100 Hektar zwei Arbeitskräfte beschäftigt, und Betriebe, die 20 bis 50 Hektar groß sind im Schnitt, pro 100 Hektar 8 Arbeitskräfte beschäftigen. Also, der landwirtschaftliche Bereich und die Struktur der Landwirtschaft und die Anzahl der Betriebe hat auch damit zu tun, ob wir einen lebendigen ländlichen Raum haben, wo Menschen gerne wohnen und leben, oder ob wir einen ländlichen Raum haben, der nur noch als Produktionsstätte für irgendwelche Monokulturen dient. Und da sind wir definitiv für einen lebendigen ländlichen Raum und dafür brauchen wir endlich andere politische Rahmenbedingungen und ein Landwirtschaftsministerium und eine Bundesregierung, die dafür konkrete politische Pflöcke einschlägt!
von Billerbeck: Ihr Wort in Gottes Gehörgang beziehungsweise in den Gehörgang der Bundesregierung, die kann ja im Wahlkampf mal ein bisschen genauer hinhören!
Brändle: Das wäre schön.
von Billerbeck: Phillip Brändle war das, Bauer und Aktivist für eine andere Landwirtschaft, der unter anderem die Kampagne "Wir haben es satt" mitorganisiert, heute und morgen finden da die Veranstaltungen statt. Danke für das Gespräch und danke fürs Kommen!
Brändle: Ich danke auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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