Kammermusikfestival Krzyżowa-Music

Im Herzen der europäischen Idee

Ein Ensemble des Festivals Krzyżowa-Music in der Pfarrkirche St. Anna in Grodziszcze (ehem. Gräditz) am 23.8.2019
Ein Ensemble des Festivals Krzyżowa-Music in der Pfarrkirche St. Anna in Grodziszcze (ehem. Gräditz) am 23.8.2019 © Geert Maciejewski/Krzyżowa-Music
Moderation: Volker Michael · 29.08.2019
Bereits zum fünften Mal findet im niederschlesischen Dorf Krzyżowa, vormals Kreisau, ein internationales Kammermusikfestival statt. Bei den Auftaktkonzerten dominierten historisch tiefsinnige Werke von Tansman, Smit und Jost.
Im polnischen Kreisau treffen seit fünf Jahren Künstlerinnen und Künstler aus aller Welt zusammen und spielen in niederschlesischen Schlössern, Kirchen und Sälen Kammermusik auf höchstem Niveau. Das Programm dieses europäischen Musikfests wird vor Ort intensiv erarbeitet – Leiterin Viviane Hagner hat renommierte Musiker und aufstrebende Nachwuchskünstler eingeladen – "Seniors" und "Juniors" des Festivals Krzyżowa-Music leben und musizieren viele Tage miteinander, tauschen Erfahrungen auf Augenhöhe aus und erarbeiten zwanglos ein anspruchsvolles Programm – das amerikanische "Marlboro Festival" ist das Vorbild. Einige Marlboro-Musiker wie Judith Serkin und Shmuel Ashkenasi waren in den letzten Jahren als Lehrer dabei. Marlboro-Gründer Rudolf Serkin und das Kreisauer Ehepaar Helmuth James und Freya von Moltke kannten sich seit Jugendzeiten und waren miteinander bis zu ihrem Lebensende befreundet.

Starkes Vermächtnis

"Die Stärke Europas steckt in der Kraft seiner Kulturen!" Das steht in den Papieren des "Kreisauer Kreises" um die Familie von Moltke, der vor 76 Jahren ein Programm für ein vereintes Europa nach dem Nationalsozialismus formuliert hat und dessen Mitglieder dafür größtenteils mit dem Leben bezahlen mussten. Jetzt wurde bei Diskussionen und Vorträgen im Rahmen von Krzyżowa-Music an die Schicksale der Künstler erinnert, die besonders unter der Verfolgung durch die Deutschen und die Nazis zu leiden hatten - zwei von ihnen sind auch in unserem Programm vertreten: Der aus Łódź stammende Aleksander Tansman musste aus seiner Wahlheimat Paris nach Nordamerika fliehen. Der niederländisch-jüdische Komponist Leo Smit wurde deportiert und im KZ Sobibor ermordet.

Lebensfreude trotz dunkler Wolken

Beider Musik aus den Jahren vor Kriegsbeginn strahlen Optimismus und Lebensfreude aus. Tansman hatte nur selten Schreibhemmungen und komponierte mit seinen beiden Sätzen für die ungewöhnliche Besetzung Celloquartett ein unterhaltsames und zugleich anspruchsvolles Stück. Leo Smit ging von den Niederlanden aus nach Paris und lebte dort einige Jahre in der kreativen wie warmherzigen Umgebung der "Groupe des Six" und anderer Kollegen. Sein Sextett für Bläser und Klavier verrät eine deutliche Nähe zur französischen Bläserschule um Milhaud, Poulenc und nicht zuletzt Françaix. Gleichzeitig hatte er damals schon eine starke individuelle Sprache gefunden, die er leider nicht weiterentwickeln konnte, weil sein Leben mit 43 Jahren gewaltsam beendet wurde.
Ein Ensemble des Festivals Krzyzowa-Music im Konzertsaal der Jugendbegegnungsstätte Krzyżowa/Kreisau unter Leitung von Christian Jost mit der Solistin Sarah Aristidou am 22.8.2019
Ein Ensemble des Festivals Krzyzowa-Music im Konzertsaal der Jugendbegegnungsstätte Krzyżowa/Kreisau unter Leitung von Christian Jost mit der Solistin Sarah Aristidou am 22.8.2019© Geert Maciejewski/Krzyżowa-Music
Großes Hauptwerk im Eröffnungskonzert am 22. August in Kreisau war ein Werk von Christian Jost. Der in Berlin lebende Komponist war composer in residence beim 5. Krzyżowa-Music Festival. Vor zwei Jahren hatte er alle sechzehn Lieder von Robert Schumanns und Heinrich Heines Dichterliebe zu einem eigenen festen Werkzyklus zusammengefasst - Schumann recomposed, Heine unkommentiert. Die Texte blieben unverändert - die Melodielinien ebenfalls, allerdings hat sie Christian Jost mit eigener Musik bereichert, kommentiert und verbunden. In unserer Sendung äußert er sich ausführlich zu diesem Werk. Das Interview mit Christian Jost können Sie hier hören:

Die Welt in einem kleinen schlesischen Dorf

Krzyżowa ist heute ein kleines niederschlesisches Dorf, das wie kaum ein anderer Ort für Widerstand gegen Unrechtsherrschaft, für Austausch, Kultur und Europa steht. Zum fünften Mal treffen sich Musikerinnen und Musiker von fast allen Kontinenten in Kreisau, geben auf historischem Boden an ganz unterschiedlichen Orten Konzerte und leben damit den europäischen Gedanken. Zugleich feierte die Stiftung Krzyżowa-Kreisau ihr 30-jähriges Bestehen. Wir bieten an diesem Abend einen kleinen Ausschnitt aus dem reichhaltigen Programm des ersten Wochenendes des Festivals.
Das Festival steht seit Anbeginn unter der Schirmherrschaft der wechselnden Außenminister Polens und Deutschlands. Der Ort Kreisau ist ein besonderer – er erlangte durch die Widerstandsgruppe "Kreisauer Kreis" gegen den Naziterror Bedeutung. Und Kreisau wurde durch die Versöhnungsmesse, die Ministerpräsident Tadeusz Masowiecki und Kanzler Helmuth Kohl im 1989 dort feierten, zum Symbol für die polnisch-deutsche Aussöhnung.

Brücken bauen mit Musik und Geschichte

Organisator Matthias von Hülsen, ein Spross der Familie von Moltke, möchte mit diesem Festival in schwieriger Zeit mithilfe der Musik Brücken bauen. Die Internationale Jugendbegegnungsstätte Krzyżowa/Kreisau bietet dafür ein hervorragendes Umfeld. Im fünften Jahrgang freuen sich von Hülsen und die künstlerische Leiterin, die Berliner Geigerin Viviane Hagner, vor allem über ein steigendes Interesse des deutschen Publikums. Für die Zukunft haben sich alle Verantwortlichen vorgenommen, auch die Beziehungen zur polnischen Musik- und Kulturszene und zu den einheimischen Medien auszubauen.
Krzyżowa-Music Kammermusikfestival
Konzertsaal Krzyżowa, Pfarrkirche Grodziszcze
Aufzeichnungen vom 22. und 23. August 2019
Aleksander Tansman
Zwei Sätze für Celloquartett (1938)

Alexej Stadler, Guillaume Artus, Ari Evan, Gary Hoffman, Violoncello

Leo Smit
Sextett für Bläserquintett und Klavier (1933)

Susan Kang, Flöte
Viola Wilmsen, Oboe
Andrzej Ciepliński, Klarinette
Nana Ozaki, Fagott
Ewa Paciorek, Horn
Jonathan Zydek, Klavier

Christian Jost
Dichterliebe (nach Robert Schumann, 2017)

Sarah Aristidou, Sopran
Ensemble von Krzyżowa-Music
Leitung: Christian Jost

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