Kameraperspektive auf den Nahen Osten

Von Ayala Goldmann · 15.02.2013
Vier Filme auf der diesjährigen Berlinale beschäftigen sich auf vielfältige Art mit jüdischen oder israelischen Themen. Unsere Autorin Ayala Goldmann hat sie gesehen.
Wieder einmal haben sich die Berlinale-Macher bemüht, die kreative und lebendige israelische Filmszene so vielfältig wie möglich in ihrem Programm darzustellen. Allein in der Sektion "Panorama" liefen zwei Spielfilme made in Israel - darunter vor allem bemerkenswert: "Rock The Kasbah".

"Rock The Kasbah" von Yariv Horowitz
Der Film begleitet eine Gruppe von israelischen Soldaten einige Tage während der ersten Intifada im Jahr 1989 in den Gaza-Streifen, als das Gebiet noch von Israel besetzt war. Die Perspektive ist die der jungen Israelis. Sie sind mit Hass und Molotov-Cocktails konfrontiert, einer von ihnen hat einen Nervenzusammenbruch, die meisten haben Heimweh und träumen von ihrem Leben nach dem Militärdienst. Man merkt, dass Regisseur Yariv Horowitz selber seinen Militärdienst in den besetzten Gebieten ableistete. Sein Mitgefühl gilt den jungen Soldaten, die den Kopf für die Fehler der Politik hinhalten müssen. Sie beenden ihren Einsatz in Gaza vollständig desillusioniert. Doch während die Zuschauer Mitleid mit den Soldaten bekommen, bietet der Film leider keinen einzigen Palästinenser, der auch als Identifikationsfigur dienen könnte.

"Youth" von Tom Shoval
Der zweite israelische Spielfilm in der Sektion "Panorama" ist "Youth". Eine Groteske um zwei Jugendliche aus dem israelischen Mittelstand. Yakis und Shauls Vater ist arbeitslos geworden, die Wohnung muss verkauft werden, es droht der soziale Abstieg. Die beiden Brüder entführen ein Mädchen aus der Nachbarschaft, für das sie eigentlich schwärmen, um Lösegeld zu erpressen. Sie haben aber nicht bedacht, dass Schabbat ist, weshalb die orthodoxen Eltern des Mädchens gar nicht ans Telefon gehen. Wie nah auch "Youth" an den Erfahrungen seines Regisseurs Tom Shoval ist, erklärt er im Interview:

"Auch wir gehören zum Mittelstand, wir haben in Petach Tikwa gewohnt, der Film ist da sehr präzise. Mein Vater hat 20 Jahre in einem Job gearbeitet, den er liebte und mit dem er sich identifizierte. Und eines Tages wurde er auf einmal entlassen, wie viele andere Leute auch, und obwohl er noch relativ jung war, war es schwer für ihn, sich selbst wieder neu zu erfinden. Ich glaube, dass Menschen in meinem Alter in Israel auf einmal ihre Augen aufmachen und eine Realität wahrnehmen, ganz abgesehen von dem üblichen Nahostkonflikt. Meine Generation fängt an zu verstehen, dass die Besatzung, der Zustand, in dem wir uns befinden, ein Echo nach innen hat. In meinem Film eben, die Waffe gegeneinander zu richten, gegen die eigenen Leute."

"The Gatekeepers" von Dror Morehs
Am spektakulärsten dürfte Dror Morehs Dokumentation "The Gatekeepers" sein. Sie hat den diesjährigen "Cinema for Peace Award" der Berlinale erhalten. In "The Gatekeepers", produziert vom israelischen Fernsehkanal IBA in Kooperation mit ARTE und dem NDR, sprechen erstmals alle sechs noch lebenden ehemaligen Chefs des israelischen Inlandsgeheimdienstes Schin Bet vor der Kamera offen und auch zum Teil sehr selbstkritisch über ihre Arbeit. Sie sind milder, aber nicht gerade "Peace Nicks" geworden.

Mit einer Mischung aus Stolz und Scham sprechen sie über gezielte Tötungen von arabischen Terroristen, einer erinnert sich an eine Aktion, die er "sauber und elegant" fand. Aber auch die Gefahr, die von jüdischen Extremisten ausgeht, beschäftigt sie. Ihre Hauptaussage ist klar: Die Besatzung ist unmoralisch und - vielleicht noch wichtiger: uneffektiv. Sie führt zu nichts, gefährdet aber die israelische Demokratie. Das ist nicht neu und nicht originell. Was zählt ist, dass diese Topleute und Insider es sagen und wie sie es begründen.

Wie ernst man in Israel den Film nimmt, zeigt sich nicht nur in den überwältigend positiven Kritiken israelischer Medien, sondern vor allem in dem Statement eines offiziellen Sprechers der Kulturabteilung des israelischen Außenministeriums, den die New York Times zitierte. Ausnahmslos alle israelischen Botschafter Israels müssten den Film sehen, empfahl er, egal, wie vernichtend seine Kritik an der Regierungspolitik sei. Israel könne nun mal nicht nur Filme exportieren, die einfach seien und keine Fragen stellen.

Der Regierungschef dürfte anderer Meinung sein: Benjamin Netanjahu erklärte, er habe nicht vor, sich "The Gatekeepers" anzusehen. Ob er sich das leisten kann, ist fraglich: Der Film ist bei der Oscarverleihung am 24. Februar in der Kategorie beste Dokumentation nominiert. Das israelische Fernsehen wird ihn auch als Serie zeigen.

"Nono, das Zickzackkind" von Vincent Bal
Nur einen langen Film mit israelisch-jüdischer Thematik gab es auf der Berlinale, der wohltuend in eine andere Welt entführte: Die Literaturverfilmung "Nono, das Zickzackkind" des israelischen Schriftstellers David Grossmann. Der niederländische Regisseur Vincent Bal setzt in einer retrohaften, aber anrührenden Inszenierung den Roman ins Bild – ein schöner Film, der sich Chancen auf den Gläsernen Bären für den besten Jugendfilm ausrechnen kann.


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