Kalifornien kämpft gegen die Unregierbarkeit

28.09.2009
Mit Beginn der Finanzkrise sanken in vielen amerikanischen Bundesstaaten die Steuereinnahmen. Am stärksten betroffen ist Kalifornien, dort stieg die Haushaltslücke auf mehr als 24 Milliarden Dollar. Gouverneur Schwarzenegger reagiert mit Ausgabenkürzungen, unter denen vor allem die Bevölkerung leidet.
Es war eine Aktion des Parlaments, die in letzter Sekunde die Pleite des US-Bundesstaates Kalifornien verhinderte. Am 28. Juli setzte Gouverneur Arnold Schwarzenegger im Kapitol der Hauptstadt Sacramento seine Unterschrift unter das Haushaltsabkommen und bezeichnete dessen Inhalt als eine Variante des legendären Western-Titels "The Good, the Bad and the Ugly" - wörtlich übersetzt "Das Gute, das Schlechte und das Hässliche" . Das Gute daran sei, dass keine Steuern erhöht wurden und der Staat nicht über seine Verhältnisse lebe.

"Das Schlechte ist, dass wir schwerwiegende Kürzungen machen mussten. Demokraten hassen es genauso wie Republikaner, bei Bildung und Gesundheit zu streichen, bei Sozialleistungen für die Schwächsten, bei Gefängnissen und Strafverfolgung. Das war hart und deshalb gibt es keinen Grund, diesen Haushalt zu feiern. Das wirklich Hässliche ist, dass die Parlamentarier mir ein Defizit von 156 Millionen überlassen haben und ich noch mehr kürzen musste. Bei Parks, Kinder- und Jugendschutz, AIDS-Vorsorge und so weiter. Das ist hässlich!"

Kaum hatte Schwarzenegger seine Unterschrift unter das Haushaltspaket gesetzt, reichten Gewerkschaften und andere Organisationen Klagen gegen beschlossene Kürzungen ein, drohten mit Streik und begannen, zu demonstrieren.

Studenten, Fakultätsmitglieder und Verwaltungsangestellte der University of California protestieren dagegen, dass Mitarbeiter unbezahlten Urlaub nehmen müssen, Seminare gestrichen und Studiengebühren erhöht werden. Die Universität mit zehn Standorten in Kalifornien wurde in den 60er-Jahren mit dem Auftrag gegründet, jedem Bürger des Westküstenstaates Zugang zu höherer Bildung zu ermöglichen. Inzwischen zahlen Studenten im Durchschnitt für ein Jahr Studium an der Universität fast neuntausend Dollar. Plus Unterkunft und Studienmaterial. Manche Studiengänge kosten knapp 50.000 Dollar pro Jahr. Die Gebühren sollen nun um fast 2000 Dollar angehoben werden. Politikstudentin Sofi Kaymia erzählt vom Podium vor Demonstranten an der Universität von Los Angeles ihre Geschichte:

"Ich muss dieses Herbstsemester aussetzen, weil ich es mir nicht leisten kann. Ich arbeite Vollzeit, 45 Stunden die Woche. Ich habe mir immer gesagt, dass ich tue, was getan werden muss, um meinen Traum zu verwirklichen und den Abschluss von der ‚University of California’ zu bekommen. Ich weiß nicht, wie lange ich mir das noch sagen kann, wenn die Gebühren immer weiter steigen. Ich kann nicht mehr als 45 Stunden pro Woche arbeiten!"

In einem Cafe in der Nähe des Campus öffnet eine Mitarbeiterin der Universitätsverwaltung einen Brief von Unversitätspräsident Mark Yudof. Darin informiert der Professor, wie die Kürzungen, die die kalifornische Regierung für die Universität beschlossen hat, aufgefangen werden sollen.

Marsha Licker liest, dass eine Kombination aus unbezahltem Urlaub, Gehaltskürzungen, Streichungen in akademischen Programmen, Gebührenerhöhungen, Entlassungen und ausgesetzten Neueinstellungen die geforderten 813 Millionen Dollar einsparen wird. Die Verwaltungsangestellte muss ab September einen Tag pro Monat unbezahlten Urlaub nehmen. Sie bekommt fünf Prozent weniger Gehalt. Kollegen in höheren Gehaltsgruppen wird das Einkommen um bis zu neun Prozent gekürzt. Für Licker ist es ein spürbarer Einschnitt.

"Während Steuern steigen, Essen, Wohnen und Benzin teurer werden, bekomme ich immer weniger Gehalt."

Richtig entsetzt ist Marsha Licker über die Folgen, die die Streichungen aus ihrer Sicht langfristig auf das Bildungsniveau in Kalifornien haben werden. Sie wirft den Politikern Kurzsichtigkeit vor.

"Das System der ‚University of California’ ist das Kronjuwel der höheren Bildung. Die Idee bei der Gründung war, dass alle Kalifornier Zugang haben sollten. Aber - es ist nicht mehr bezahlbar, es ist nicht mehr zugänglich. Zu allem Übel haben sie auch noch die Zahl der Neu-Immatrikulationen herabgesetzt, weil sie sich nicht mehr so viele Studenten leisten können."

Kalifornien ist in einer Finanzkrise, die der bevölkerungsreichste Bundesstaat der USA so noch nicht erlebt hat. Von der Wachstumslokomotive verwandelte sich Kalifornien zum Sorgenkind des Landes. Es wurde hart getroffen vom Zusammenbruch der Immobilien- und Finanzmärkte. Die Arbeitslosenquote liegt mit über zwölf Prozent an der Spitze im US-weiten Vergleich. Die Steuereinnahmen sanken im ersten Halbjahr 2009 im Vergleich zum Vorjahr um fast 35 Prozent. Zeitweise waren die Kassen so leer, dass Sacramento Schuldscheine ausgab, anstatt Rechnungen zu bezahlen. Gouverneur Arnold Schwarzenegger argumentiert, angesichts der extremen Lage muss auch dort gekürzt werden, wo es richtig weh tut.

"Es kommen ständig Menschen zu mir, die mich anflehen: 'Gouverneur, bitte streichen Sie nicht mein Programm!' Sie sagen mir, was es für sie und die, die sie lieben bedeutet. Ich sehe den Schmerz in ihren Augen und höre die Angst in ihrer Stimme. Ich höre auch die Demonstrationen vor dem Kapitol. Es ist ein schreckliches Gefühl. Aber wir haben keine Wahl! Unser Portemonnaie ist leer. Unsere Bank ist zu und unser Kredit ist aufgebraucht."

Die Demokraten im kalifornischen Abgeordnetenhaus haben weiteren Widerstand gegen einige der Kürzungen im Sozialbereich angekündigt, die der republikanische Gouverneur Schwarzenegger zusätzlich zu den vom Parlament beschlossenen Streichungen anordnete. Fraktionssprecherin Karen Bass:

"Wir sind mit vielem einverstanden, in manchen Dingen sind wir aber fundamental anderer Meinung. In Wirklichkeit soll das ganze Sicherheitsnetz beseitigt werden, medizinische Versorgung für Kinder, finanzielle Hilfe für Studenten, einkommensschwache Familien und so weiter."

Die Demokraten haben die Mehrheit im Parlament, aber nicht die Zweidrittelmehrheit, die notwendig ist, um einen Haushalt zu verabschieden. Sie konnten gegen den Widerstand der Republikaner keine Steuererhöhungen durchsetzen und mussten deshalb schmerzhaften und unpopulären Kürzungen zustimmen. Darunter auch Streichungen im kalifornischen Gefängnissystem. Mit 170.000 Häftlingen in 33 Haftanstalten ist es das größte der USA.

Die Zustände in den überfüllten Gefängnissen sind so schlimm, dass Bundesrichter Kalifornien ein Ultimatum stellten: Sacramento sollte bis zum 18. September einen Plan zur Reduzierung der Insassen um 40.000 innerhalb von zwei Jahren vorlegen. Eine von den Richtern in Auftrag gegebene Untersuchung ergab: Jede Woche stirbt in Kalifornien mindestens ein Häftling auf Grund mangelnder oder falscher medizinischer Versorgung. Die Zustände in den Gefängnissen seien inakzeptabel.

In der zur Massenzelle umgebauten Sporthalle des Gefängnisses von Lancaster in einer Wüste nordöstlich von Los Angeles rauschen Duschen und Toilettenspülungen. Riesen-Ventilatoren laufen auf Hochtouren. Aus Lautsprechern dröhnen Befehle. Eng nebeneinander aufgereiht stehen dreistöckige Metallbetten, die scheppern, wenn sich die 150 Häftlinge dazwischen bewegen. Auf einem Metall-Steg über den Köpfen der Häftlinge läuft ein Wärter mit Gewehr auf und ab. Mike Schumacher, wegen Verstoßes gegen Bewährungsauflagen im Gefängnis, schwitzt auf der unteren Etage eines schmalen Stockbetts.

"Die Überfüllung führt zu Spannung und dass sie diese Gefängnisse in die Wüste bauen. Im Sommer sind hier immer über 40 Grad. Es ist kochend heiß. Und dann quetschen sie uns hier rein wie Sardinen. Das alles spielt eine Rolle."

Das Gefängnis von Lancaster wurde 1994 eröffnet, es war für 1350 Häftlinge gebaut. Inzwischen sind 4600 Straftäter dort untergebracht. In doppelt belegten Zellen, Tagesräumen und Sporthallen. Die zwei Wärter, die in der umgebauten Sporthalle zwischen Betten, im Boden verankerten Stahltischen und Stühlen patrouillieren, tragen kugelsichere Westen, Schlagstock und Pfefferspray. Offizier Villaloraine:

"Die kleinen Dinge müssen geregelt sein, damit es friedlich bleibt zwischen den Rassen in der Halle. Wir werden oft zu Schiedsrichtern, die dafür sorgen, dass es fair zugeht."

Die kleinen Dinge - dazu gehören die gerechte Vergabe von Dusch-, Telefon- und Hofzeiten, Seife, Klopapier und Kleidung. Und ungeschriebene Gesetze, zum Beispiel darüber, wer morgens zuerst auf die Toilette darf und was passiert, wenn Habseligkeiten aus den Mini-Spinden verschwinden. Mike Schumacher:

"Wer gegen diese Regeln verstößt, schafft Spannung. Wir müssen uns daran halten, sonst wird es gefährlich. Das ist kein Witz. Das da oben ist ein echter Schütze. Seine Waffen haben echte Patronen."

Die Politiker einigten sich im Streit um Gefängnisreformen nur auf wenige Veränderungen der Strafregelungen. Die Forderung der Richter, innerhalb von zwei Jahren knapp ein Viertel der Häftlinge zu entlassen, erfüllen sie nicht. Politisch zu unpopulär sind Vorschläge, extrem hohe Strafmaße zu reduzieren, Strafen in Rehabilitierungsprogramme umzuwandeln, mehr Häftlinge in Hausarrest zu entlassen und die Überwachung von Straftätern zu lockern. Politiker und Rechtsexperten stellen sich auf einen langen Streit vor den Gerichten ein.

Ein Seniorenzentrum in Los Angeles: im Gemeinschaftsraum folgen Rentner und Behinderte Gymnastikanleitungen eines Physiotherapeuten. Heben Arme und Beine, öffnen und schließen die Hände, klopfen mit den Fußspitzen auf den Boden. Frances Climaco ist von der Hüfte abwärts gelähmt und macht mit so gut sie kann. Bis zum September kam sie fünf Tage in der Woche in das Zentrum. Jetzt zahlt die staatliche Krankenhilfe nur noch für drei Tage. Die 29-Jährige hat Angst vor weiteren Kürzungen.

"Das hat starke Auswirkungen auf mein Leben gehabt, weil ich aktiv bleiben will. Arnold hat wirklich ein paar große Fehler gemacht. Hier bekomme ich Therapie, Beratung, Übungen für Geist und Körper, viel Hilfe. Wenn sie diese Programme streichen, wäre das schlimm für mich, weil ich zu Hause nichts zu tun habe."

Das Zentrum für Senioren und Behinderte "Circle of Friends" wird aus staatlichen Hilfen, Spenden und Beiträgen von Krankenkassen bezahlt. Sozialarbeiter, Ärzte, Diätberater, Krankenschwestern und Physiotherapeuten untersuchen und beraten an jedem Werktag die Besucher. Wegen der Kürzungen und gesunkenen Spendeneinnahmen musste die Leitung bereits Angebote streichen und Arbeitszeiten einiger Mitarbeiter reduzieren. Cleveland Jacobs hat Angst, seinen Arbeitsplatz zu verlieren. Der 64-Jährige, dem alle oberen Vorderzähne fehlen, verdient mit Hilfsarbeiten in dem Zentrum weniger als den Mindestlohn von 7,50 Dollar pro Stunde.

"Sie reden seit Neustem davon, alle von fünf auf drei Arbeitstage zu reduzieren. Das wäre ein Elend! Mein Einkommen ist sowieso schon sehr knapp. Wird es weiter gekürzt, wäre es unter dem Existenzminimum."

Die resolute Leiterin des Zentrums, Virginia Franco, hat sich einer Klage gegen die Kürzungen angeschlossen. Auch sie wirft den Politikern vor, kurzsichtig zu handeln. Die Alternativen zu der Versorgung von Alten und Behinderten durch Organisationen wie ihre seien teurere Einzelbetreuung zu Hause oder - aus ihrer Sicht viel schlimmer - teurere Unterbringung in Altersheimen und Krankenhäusern.

"Dies hier ist wie eine Krankenstation. Ein Modell, das mit Vorbeugung arbeitet und langfristig jede Menge Geld spart. Unsere Klienten wollen bei denen leben, die sie lieben, wollen unabhängig sein, über ihr Leben entscheiden. Sie wollen nicht in ein Altersheim!"

Angesichts der angespannten Situation bleibt der Westküstenstaat von der dringend notwendigen Lösung grundsätzlicher struktureller Probleme weit entfernt. Der Streit um das Haushaltsabkommen, das die Pleite Kaliforniens in letzter Sekunde und nur mit schmerzhaften Kürzungen verhinderte, ließ die Beliebtheit der Politiker bei kalifornischen Bürgern auf neue Tiefststände sinken. Nur noch 14 Prozent der befragten Kalifornier beurteilen die Leistung der Demokraten und Republikaner im Kapitol von Sacramento positiv. Das ergab die jüngste Erhebung des unabhängigen Politikforschungsinstituts "The Field Poll" aus San Francisco.

Auch Arnold Schwarzeneggers Popularität sank auf ein Rekordtief: Nur noch 33 Prozent der Kalifornier finden die Leistung des Gouverneurs gut. Die Überzeugungskraft Schwarzeneggers hat bei Parlamentarien wie Wählern gleichermaßen nachgelassen. Seine Appelle an die Kalifornier, den Bundesstaat wieder zum glänzenden Vorbild für den Rest der USA zu machen, hören sich nicht mehr an wie visionäre Reden, sondern eher wie verzweifelte Beschwörungen.

"Ich glaube an Euch! Ich glaube an unsere Fähigkeit, im Interesse unseres Bundesstaates zusammen zu kommen. Lasst uns vorwärts schauen und Kalifornien wieder auf den Weg zu Wohlstand bringen!"