Kaleidoskop absurder (Lebens-)Geschichten

Rezensiert von Michael Opitz · 04.04.2005
Adolf Endler, der bereits als Tarzan vom Prenzlauer Berg von sich Reden machte, belässt es schon seit einiger Zeit nicht bei einem Alter Ego, wie das in Dichterkreisen sonst die Regel ist, sondern er nimmt mit Bubi Blazezak und Bobbi Bergermann gleich zwei für sich in Anspruch. Diesen beiden Bekannten begegnen wir auch in Endlers jüngstem Buch "Nebbich. Eine deutsche Karriere".
Besonders in die sieben Seesäcke von Bobbi Bergermann hat Endler ordentlich frischen Wind hineinwehen lassen, so dass daraus zuweilen seltsam anmutende Blätter zum Vorschein gelangt sind, die in ihrer Verschiedenheit eine höchst imposante Biografie des Autors ergeben. Selbstverständlich ist es eine Lebensbeschreibung spezifisch Endlerscher Art geworden, in der der Humor und eine skurrile Weltsicht erstaunliche Blüten treiben. Vielleicht wird man dieser gänzlich ungewöhnlichen Textur deshalb am ehesten mit dem Begriff "Textgewirbel" gerecht.

Nichts wird in dieser Lebensgeschichte chronologisch abgeschritten, auf herkömmliche Gliederungen wie Elternhaus, Kindheit, Schule usw., verzichtet der Autor, der sein Leben wie eine Collage präsentiert. So ist ein Bild entstanden, in dem Porträts von Kollegen (Katja Lange-Müller, Inge Müller, Uwe Greßmann, Eberhard Häfner u.a.) neben den unverkennbaren Schilderungen Bubi Blazezaks zu finden sind, dessen absurd-fantastische Geschichten in Dialog mit Bobbi Bergermann treten, die wiederum abgelöst werden von Notizen aus Endlers Zettelkasten.

"Nebbich" weist , denn Endler schert sich nicht um das Faktische, das doch von einer ordentlichen Biografie zu erwarten wäre. Die biographischen Eckdaten tauchen in diesem Buch auf wie Fahrscheine oder Zeitungsausschnitte in surrealistischen Bildern – sie werden umrahmt von Traumsequenzen und gehen seltsam schöne Verbindung mit außergewöhnlichen Details ein. An solchen Beziehungen ist Endlers Biografie reich, in der sich zuweilen ans Wunderbare grenzende Entdeckungen machen lassen.

Das alles ist nicht geschrieben in der Geste eitler Selbstbespiegelung – Endler, der in den einzelnen Texten sehr unterschiedlich anwesend ist, entwirft vielmehr eine Biografie in Spiegelungen, indem er sich und der gelebten Zeit einen Spiegel vorhält. Darin sichtbar wird die Lebensgeschichte des Autors (Jahrgang 1930), der 1955 aus Düsseldorf in die DDR übersiedelte, um bald danach von der Staatssicherheit observiert zu werden, doch anders, als man das aus anderen Biografien kennt.

Zwar ziehen sich entscheidende Stationen des abwechslungsreichen Lebens wie ein roter Faden durch die Texte, aber zugleich bietet das Geschichtenkaleidoskop auch genügend Gelegenheit, ausgehend von der Individualgeschichte des Biografen, Einblicke in die spezifischen und teils tragisch-aberwitzigen Besonderheiten des Landes vorzunehmen, in dem zu leben sich Endler entschieden hatte. Es ist ein Rückblick geworden, der – wie bei Endler nicht anders zu erwarten – alles andere als nostalgisch klingt, vielmehr wird hier Zeitkritik mit den Mitteln der Ironie geübt.

Bereits bevor Endler seine gesammelte Biografie abgeschlossen hat – auch der vorliegende Abschnitt ist wiederum nur Teil eines in Aussicht gestellten Ganzen – ist sie bereits zum Mythos geworden. Denn einst mutmaßte die Staatssicherheit, dass Endlers opus magnum den Umfang von 85 Bänden annehmen würde. Dagegen spricht einiges und nicht nur die Endlersche Überzeugung: "Nichts kriegt man richtig fertig – und sein Leben schon gar nicht!" Gern würde man in nicht allzu ferner Zeit einen weiteren Blick in Proben aus dem nicht fertig Gewordenen werfen.

Adolf Endler: Nebbich. Eine deutsche Karriere
Wallstein Verlag. Göttingen 2005, 290 Seiten.