Kalauer-Metaphysik

Von Natascha Pflaumbaum · 28.11.2009
Mit dem Titel seines neuesten Theaterstücks gibt der Österreicher Ewald Palmetshofer seine Visitenkarte als Kalauerkönig im Reich der Theaterklassiker ab: "faust hat hunger und verschluckt sich an einer grete" heißt das Stück, in dem Palmetshofer – der neue Sprachzermalmer – abermals seine abstruse, aber durchaus denkwürdige Alltagsmetaphysik exponiert. Nun hatte das Stück am Nationaltheater Mannheim Premiere.
Drei Paare treffen sich zum Grillen auf dem Balkon, ein viertes Paar kommt nicht, obwohl es eingeladen ist. "Bring what you eat" ist die Devise, man gibt sich dementsprechend ungezwungen. Die sechs jungen Leute tanzen zu Musik aus dem Laptop, rauchen auf dem Balkon, reden vor allem über das fehlende vierte Paar: Und so sind Heinrich und Grete in ihrer Abwesenheit paradoxerweise gegenwärtiger als die anderen, über die man zwar einiges erfährt, aber nicht so viel wie über Heinrich, den Entwicklungshelfer und Grete, die nichts Besonderes ist. Zunächst jedenfalls.

Wie immer hat Palmetshofer sein dramatisches Personal banalisiert: Paul, Ines, Fritz, Anne, Robert und Tanja heißen diese Balkontänzer – ausstaffiert mit einer banalen Sprache: Sie sprechen verkünstelten Alltagsjargon, keine ganzen Sätze, sondern ein durchrhythmisiertes Staccato, in dem den Sätzen entweder das Subjekt oder das Prädikat fehlt. Zudem moderieren sie ihre Gespräche selbst, sprechen Nebentext wie Regieanweisungen und brechen so nach schöner Palmetshofer Manier mit den Standards des klassischen Erzähltheaters.

Überhaupt strotzt hier auf der Studiobühne des Mannheimer Nationaltheaters alles vor Banalität: die aufgetürmten Bierkästen, der Partnerlook der drei Paare, nur die vier toten, blätterlosen Bäume, die die Bühnenbildnerin Anke Niehammer kopfüber von der Bühnendecke baumeln lässt, hängen allzu sinnfällig herum. Es geht also um den Tod. Und das Lustige ist hier nur vorgespielt.

Allmählich setzt sich aus dem seltsamen Gequassel der jungen Leute, das mitunter in metaphysisch anmutende Exkurse über Glück, den Körper, die Liebe und die Welt abdriftet, eine schockierende Geschichte zusammen. Es ist die verkürzte "Faust"-Story: die Liebschaft von Heinrich und Grete – hier in kondensierter Form, also nur der tragische Teil: Lieben, Kind Kriegen, Kind Töten, Selbstmord. Grete ist doch was Besonderes.

Darum fließt am Ende auch eine Menge Theaterblut: Grete bringt das Kind um und tötet sich selbst kurze Zeit später. Die künstliche Abstraktion, die Palmetshofers Text über anderthalb Stunden zunächst krampfhaft, dann spielerisch aufrecht zu halten versucht, bricht der Mannheimer Regisseur Dieter Boyer allerdings ganz ungeniert ins Konkrete herunter, als wollte er dem Text mit seiner Regie assistieren.

Sein Einfall, dass die sechs Anwesenden abwechselnd die zwei Abwesenden spielen, indem sie sich vor dem Rollenwechsel helle Kleidung überstreifen, wirkt sehr didaktisch und bemüht. Zum Glück lassen die sechs Schauspieler den Text nicht durch den Körper laufen, sie sind eher agitierende Rezitatoren: so bleibt die befremdliche Künstlichkeit erhalten.

Die Geschichte ist sowieso marginal, sie scheint lediglich der Vorwand für Palmetshofer, seine philosophischen Fantasien in dramatisierter Form als Theaterstück vorzutragen. Und das ist mitunter sehr unterhaltsam.


faust hat hunger und verschluckt sich an einer grete
Von Ewald Palmetshofer
Deutsche Erstaufführung am Nationaltheater Mannheim

Inszenierung: Dieter Boyer
Bühne: Anke Niehammer
Video: Marc Reisner
Dramaturgie: Stefanie Gottfried
Kostüme: Janine Werthmann