Kaffeeklatsch der Marzipanschwein-Bande
Als Günter Grass vor einem Jahr erstmals Schriftstellerkollegen zur Diskussion an die Trave lud und nach einem Namen der Zusammenkunft gefragt wurde, sagte er: "Nennen Sie es doch Marzipanschwein-Bande". In diesem Jahr wird es auch darum gehen, wie die junge Literatengeneration die Meinungsführerschaft der Generation Grass in der intellektuellen Debatte ablösen kann.
Spinnen: "Autorentreffen haben ganz stark einen Kohortencharakter. Das heißt also, an denen ich teilgenommen habe, spielen sich in der Alterskohorte ab, plus minus fünf Jahre Lebensalter so in etwa."
Nicht so in Lübeck, das von Günter Grass initiierte Treffen an der Trave ist ein generationenübergreifendes, "Alterskohortengrenzen sprengendes" Projekt, um es mit Burckhard Spinnen zu sagen: Der jüngste Teilnehmer, Benjamin Lebert, ist 24, der älteste, Grass selbst, hat vor ein paar Tagen, immer noch gramerfüllt gegenüber "dem Feuilleton", seinen 79. Geburtstag gefeiert. Burckhard Spinnen liegt da mit seinen 49 Jahren in der Mitte. Er erwartet sich von der Autoren-"Zusammenrottung", dem Werkstattgespräch vor allem eines: abseits von "Gesprächsverhinderungsinstitutionen" wie der Buchmesse ein fruchtbares und auch kritisches Gespräch über Texte miteinander führen zu können.
"Destruktionsorgien haben sich immer nur abgespielt, wenn ich zu Bett gegangen bin."
35 Jahre alt ist Eleonora Hummel, die im selben Verlag wie der Literaturnobelpreisträger veröffentlicht: im Göttinger Steidl-Verlag, und so von Grass nun eingeladen ist in die ThomasMannNiedereggerMarzipanundaußerdemnatürlich-auchHanse-Stadt Lübeck. Im kleinen Kreis wird die Adelbert-von-Chamisso-Förderpreis-Trägerin Hummel Teile aus ihrem zweiten Buch, an dem sie gerade arbeitet, lesen und mit Kollegen wie Spinnen oder Jens Sparschuh diskutieren.
Hummel: "Erfahrungsaustausch, Anregungen, Kritik am eigenen Text natürlich auch - ich habe bisher mit meinem ersten Buch sehr gute Erfahrungen gemacht mit derartigen Workshops. Oft eröffnen sich dadurch Einsichten und Horizonte, die man wahrscheinlich allein im stillen Kämmerlein nie gehabt hätte."
Unter den acht in Lübeck versammelten Autoren sind neben Eleonora Hummel auch Eva Menasse und Michael Kumpfmüller. Das Berliner Autorenpaar hat sich in diesem Sommer erst mit einem Aufruf gegen die "intellektuelle Gerontokratie", also die Vorherrschaft der Alten, der Generation von Grass, Enzensberger und Walser in den großen Feuilleton-Debatten gewandt. Welches Thema sie auch aufbringen - ob es die sehr spät offenbarte Waffen-SS-Angehörigkeit, die sogenannte "Moralkeule" Auschwitz oder die Darstellung Saddam Husseins als Widergänger Adolf Hitlers ist - die alten Herren beherrschen die Debatte. Jüngere Autoren wie Hummel fühlen sich mit den Problemen ihrer Erfahrungswelt da kaum vertreten. In dieser Tatsache erkennt Burckhard Spinnen die große Herausforderung.
"Wir haben in der deutschen Nachkriegskultur und insbesondere im intellektuellen Bereich der deutschen Nachkriegskultur eine sehr starke Fixierung auf den Krieg und die Vorkriegsereignisse gehabt. Und intellektuelle Debatten, die ja immer auch ethisch-moralische Debatten sind, konnten ohne das ganz lange gar nicht auskommen, das war der ganz große Fixationspunkt. Nun aber fällt das allmählich aus, und das führt zu einer Zerstreuung der Debattenkultur. Kaum ist wie im Fall von Günter Grass noch einmal das Moment da, die Anwesenheit des Bösen im Leben eines Menschen, der sich nun sein ganzes Nachkriegsleben seine Energie dazu eingesetzt hat, das zu bekämpfen, peng!, ist die Debatte wieder so formiert wie vor 20, 25 Jahren. Das ist für mich das Problem, die strukturelle Herausforderung. Wie bekommen wir ähnliche existentielle Fixationspunkte in eine Debatte der dritten, vierten Generation, der Nachkriegsgeneration. Wo ist einmal dieselbe existentielle Leidenschaft oder Betroffenheit, wenn es um Fragen der Demokratie geht und nicht mehr um Fragen des Anti-Faschismus."
Problematisch daran findet Burckhard Spinnen auch, dass seine durchaus zum Engagement bereite und zu politischer Opposition willige Generation nie eine eigene Identität hat herausbilden können, weil die Generation der Vorgänger, der Grass, Enzensberger, Walser im Prinzip die großen Themenfelder besetzt hat.
Spinnen: "Als Folgegeneration dann immer nur zu sagen: Ja, toll, ihr habt recht, das das finden wir auch, - das bildet noch nicht das aus, was Robert Musil den 'Generationsstil' genannt hat."
Ohne einen solchen eigenen "Generationsstil" debattiert es sich schwer. In Lübeck aber soll auch politisch miteinander diskutiert werden. Den Charakter einer Manifestation will Spinnen indes nicht im Treffen der Lübecker Gruppe erkennen.
"Ich glaube auch nicht, dass wir jetzt auf die Idee kommen, zum Sturz der Regierung und zur Bildung einer gelb-lila Koalition aufzurufen, dennoch ist, wenn man sich auf dem Hintergrund der Vorgeschichte und dann auch noch mit Günter Grass trifft, da liegt es natürlich nahe, sich mit jemandem, der die längste Erfahrung unter deutschen Autorinnen und Autoren hat, darüber zu unterhalten, und das interessiert mich auch sehr, wie das heute im 21. Jahrhundert aussehen könnte, politisches Engagement von Künstlern, Schriftstellern, Intellektuellen."
Ob es die Äußerungen des aus Münster anreisenden Spinnen oder die der in Dresden lebenden Eleonora Hummel sind - sie alle halten sich bedeckt im Vorfeld des Treffens an der Trave, das mit dem von Telgte vielleicht doch nicht so viel gemein hat wie manche Feuilleton-Phantasie dies sich wünscht.
Hummel: "Nun, es wird eine Presse-Erklärung angestrebt mit dem Ergebnis dieses Treffens, aber was am Ende die Aussage sein wird, kann ich im Moment noch nicht sagen."
Thomas Brussig, auch er einer der Teilnehmer, sagt einem am Telefon, noch in Altenhagen, er freue sich auf eine Zusammenkunft "ohne großes Getöse", für ihn sei das Ganze auch nicht der "Saisonhöhepunkt". Und Burckhard Spinnen ergänzt:
"Ein bisschen kommt mir das schon so vor, dass das mediale Interesse Gespenster und Monster gebiert, während wir selbst da sitzen, Kaffee trinken und einander zuhören."
Nicht so in Lübeck, das von Günter Grass initiierte Treffen an der Trave ist ein generationenübergreifendes, "Alterskohortengrenzen sprengendes" Projekt, um es mit Burckhard Spinnen zu sagen: Der jüngste Teilnehmer, Benjamin Lebert, ist 24, der älteste, Grass selbst, hat vor ein paar Tagen, immer noch gramerfüllt gegenüber "dem Feuilleton", seinen 79. Geburtstag gefeiert. Burckhard Spinnen liegt da mit seinen 49 Jahren in der Mitte. Er erwartet sich von der Autoren-"Zusammenrottung", dem Werkstattgespräch vor allem eines: abseits von "Gesprächsverhinderungsinstitutionen" wie der Buchmesse ein fruchtbares und auch kritisches Gespräch über Texte miteinander führen zu können.
"Destruktionsorgien haben sich immer nur abgespielt, wenn ich zu Bett gegangen bin."
35 Jahre alt ist Eleonora Hummel, die im selben Verlag wie der Literaturnobelpreisträger veröffentlicht: im Göttinger Steidl-Verlag, und so von Grass nun eingeladen ist in die ThomasMannNiedereggerMarzipanundaußerdemnatürlich-auchHanse-Stadt Lübeck. Im kleinen Kreis wird die Adelbert-von-Chamisso-Förderpreis-Trägerin Hummel Teile aus ihrem zweiten Buch, an dem sie gerade arbeitet, lesen und mit Kollegen wie Spinnen oder Jens Sparschuh diskutieren.
Hummel: "Erfahrungsaustausch, Anregungen, Kritik am eigenen Text natürlich auch - ich habe bisher mit meinem ersten Buch sehr gute Erfahrungen gemacht mit derartigen Workshops. Oft eröffnen sich dadurch Einsichten und Horizonte, die man wahrscheinlich allein im stillen Kämmerlein nie gehabt hätte."
Unter den acht in Lübeck versammelten Autoren sind neben Eleonora Hummel auch Eva Menasse und Michael Kumpfmüller. Das Berliner Autorenpaar hat sich in diesem Sommer erst mit einem Aufruf gegen die "intellektuelle Gerontokratie", also die Vorherrschaft der Alten, der Generation von Grass, Enzensberger und Walser in den großen Feuilleton-Debatten gewandt. Welches Thema sie auch aufbringen - ob es die sehr spät offenbarte Waffen-SS-Angehörigkeit, die sogenannte "Moralkeule" Auschwitz oder die Darstellung Saddam Husseins als Widergänger Adolf Hitlers ist - die alten Herren beherrschen die Debatte. Jüngere Autoren wie Hummel fühlen sich mit den Problemen ihrer Erfahrungswelt da kaum vertreten. In dieser Tatsache erkennt Burckhard Spinnen die große Herausforderung.
"Wir haben in der deutschen Nachkriegskultur und insbesondere im intellektuellen Bereich der deutschen Nachkriegskultur eine sehr starke Fixierung auf den Krieg und die Vorkriegsereignisse gehabt. Und intellektuelle Debatten, die ja immer auch ethisch-moralische Debatten sind, konnten ohne das ganz lange gar nicht auskommen, das war der ganz große Fixationspunkt. Nun aber fällt das allmählich aus, und das führt zu einer Zerstreuung der Debattenkultur. Kaum ist wie im Fall von Günter Grass noch einmal das Moment da, die Anwesenheit des Bösen im Leben eines Menschen, der sich nun sein ganzes Nachkriegsleben seine Energie dazu eingesetzt hat, das zu bekämpfen, peng!, ist die Debatte wieder so formiert wie vor 20, 25 Jahren. Das ist für mich das Problem, die strukturelle Herausforderung. Wie bekommen wir ähnliche existentielle Fixationspunkte in eine Debatte der dritten, vierten Generation, der Nachkriegsgeneration. Wo ist einmal dieselbe existentielle Leidenschaft oder Betroffenheit, wenn es um Fragen der Demokratie geht und nicht mehr um Fragen des Anti-Faschismus."
Problematisch daran findet Burckhard Spinnen auch, dass seine durchaus zum Engagement bereite und zu politischer Opposition willige Generation nie eine eigene Identität hat herausbilden können, weil die Generation der Vorgänger, der Grass, Enzensberger, Walser im Prinzip die großen Themenfelder besetzt hat.
Spinnen: "Als Folgegeneration dann immer nur zu sagen: Ja, toll, ihr habt recht, das das finden wir auch, - das bildet noch nicht das aus, was Robert Musil den 'Generationsstil' genannt hat."
Ohne einen solchen eigenen "Generationsstil" debattiert es sich schwer. In Lübeck aber soll auch politisch miteinander diskutiert werden. Den Charakter einer Manifestation will Spinnen indes nicht im Treffen der Lübecker Gruppe erkennen.
"Ich glaube auch nicht, dass wir jetzt auf die Idee kommen, zum Sturz der Regierung und zur Bildung einer gelb-lila Koalition aufzurufen, dennoch ist, wenn man sich auf dem Hintergrund der Vorgeschichte und dann auch noch mit Günter Grass trifft, da liegt es natürlich nahe, sich mit jemandem, der die längste Erfahrung unter deutschen Autorinnen und Autoren hat, darüber zu unterhalten, und das interessiert mich auch sehr, wie das heute im 21. Jahrhundert aussehen könnte, politisches Engagement von Künstlern, Schriftstellern, Intellektuellen."
Ob es die Äußerungen des aus Münster anreisenden Spinnen oder die der in Dresden lebenden Eleonora Hummel sind - sie alle halten sich bedeckt im Vorfeld des Treffens an der Trave, das mit dem von Telgte vielleicht doch nicht so viel gemein hat wie manche Feuilleton-Phantasie dies sich wünscht.
Hummel: "Nun, es wird eine Presse-Erklärung angestrebt mit dem Ergebnis dieses Treffens, aber was am Ende die Aussage sein wird, kann ich im Moment noch nicht sagen."
Thomas Brussig, auch er einer der Teilnehmer, sagt einem am Telefon, noch in Altenhagen, er freue sich auf eine Zusammenkunft "ohne großes Getöse", für ihn sei das Ganze auch nicht der "Saisonhöhepunkt". Und Burckhard Spinnen ergänzt:
"Ein bisschen kommt mir das schon so vor, dass das mediale Interesse Gespenster und Monster gebiert, während wir selbst da sitzen, Kaffee trinken und einander zuhören."