"Kämpft weiter für eine freie Meinungsäußerung!"

Bei Ling im Gespräch mit Stephan Karkowsky · 09.12.2010
Für den chinesischen Schriftsteller Bei Ling ist die Verleihung des Friedensnobelpreises an seinen Weggefährten und Kollegen Liu Xiaobo ein wichtiges Signal: "Das macht vielleicht den Intellektuellen in China dann auch Mut, weiterzukämpfen", so der Liu Xiaobo-Biograf.
Stephan Karkowsky: Morgen wird in Oslo der Friedensnobelpreis vergeben an den chinesischen Demokratieaktivisten Liu Xiaobo. Doch wer den Preis entgegennimmt, ist noch völlig unklar. Der Preisträger selbst sitzt in China im Gefängnis. Am Tag der Preisverleihung erscheint Liu Xiaobos Biografie mit dem Titel "Der Freiheit geopfert", geschrieben hat sie sein Freund und langjähriger Weggefährte Bei Ling, den ich heute im Studio München begrüße. Guten Morgen!

Bei Ling: Guten Morgen!

Karkowsky: Sie selbst sind als Schriftsteller und Verleger in China verfolgt worden. Seit 2001 dürfen Sie dort nicht mehr einreisen, aber Sie haben natürlich noch viele Kontakte. Was berichten die Ihnen denn über die Lage der kritischen Intellektuellen seit Bekanntgabe des Friedensnobelpreises?

Ling: Ja, wie viele vielleicht wissen, ist zurzeit eine wirklich schreckliche Situation in China, weil seitdem am 8. Oktober bekanntgegeben wurde, dass Liu Xiaobo den Friedensnobelpreis gewinnen wird, hat die chinesische Regierung eine ziemlich schreckliche Entscheidung getroffen: überhaupt keine Intellektuellen und Wissenschaftler mehr ausreisen zu lassen. Die dürfen China nicht verlassen zurzeit, und das betrifft etwa 40 bis 50 Intellektuelle, die nicht einmal zu Konferenzen reisen dürfen. Sie werden praktisch schon am Flughafen daran gehindert, auszureisen. Das betrifft eben auch Künstler wie Ai Weiwei. Und am 4. November bin ich von Frankfurt nach Taipeh geflogen über Beijing, und die Polizei hat mich praktisch schon erwartet, hat mich zwei Stunden lang verhaftet und hat mich dann nach Frankfurt zurückgeschickt. Also zurzeit haben wir wirklich eine sehr schreckliche Situation in China, was das betrifft.

Karkowsky: Dennoch haben in Hong Kong letzten Freitag rund 400 Menschen für die Freilassung Liu Xiaobos demonstriert. Wie nimmt die chinesische Regierung solche Demonstrationen wahr?

Ling: Na, nun ist in Hong Kong die Lage immer ein bisschen speziell. Wir haben dort noch die Möglichkeit der freien Meinungsäußerung, es gibt sogar noch freie Wahlen, was den Kongress betrifft, und eine gewisse Form der Pressefreiheit. Und wenn 400 in Hong Kong demonstrieren, dann ist das der chinesischen Regierung wirklich total egal. Würden aber 400 Menschen in Peking demonstrieren, dann würde die chinesische Regierung ganz anders darauf reagieren. Das würde sie sehr betreffen, und sie wollen zurzeit nicht einmal, dass die Leute im Restaurant große Feiern stattfinden lassen seit dem 8. Oktober. Also es gibt eine große Repression zurzeit, und diese Freiheit, diese relative Freiheit, die Hong Kong noch genießt, wird auch einer immer größeren Kontrolle ausgesetzt. Also die Befürchtung ist schon da, dass in 20 bis 30 Jahren in Hong Kong eine ähnliche Situation sein wird wie in China, wie auf dem Festland. Andererseits haben wir natürlich auch die Hoffnung, dass vielleicht in 20 oder 30 Jahren China die Freiheiten genießt, die Hong Kong heute genießt.

Karkowsky: Wenn nun die Verleihung des Friedensnobelpreises an Liu Xiaobo eine so große Belastung darstellt für die chinesischen, kritischen Intellektuellen – würden Sie sagen, es war ein Fehler, ihm den Preis zu geben?

Ling: Was das betrifft, wie die Intellektuellen und Dissidenten in China darauf reagieren, so ist das irgendwo auch ein Zeichen für sie: Macht einfach weiter, kämpft weiter für eine freie Meinungsäußerung, kämpft weiter für Pressefreiheit. Selbst wenn Liu Xiaobo im Gefängnis ist, gibt es eine internationale Anerkennung für ihn, und das macht vielleicht den Intellektuellen in China dann auch Mut, weiterzukämpfen.

Karkowsky: Sie hören den chinesischen Dissidenten Bei Ling, der eine Biografie seines Freundes Liu Xiaobo geschrieben hat. Morgen soll sie erscheinen, am Tag der Verleihung des Friedensnobelpreises an Liu Xiaobo. Bei Ling, Sie waren bereits in der Zeit der Studentenrevolten 89 in China mit Liu Xiaobo befreundet. Damals waren Sie beide in New York. Sie erzählen in der Biografie, wie Liu Xiaobo sofort zurückflog nach Peking, als er von den Protesten hörte. War ihm klar, wie gefährlich das sein würde?

Ling: Nun, in dieser Woche vom 25. zum 27. April 1989, da hatte die chinesische Regierung sich schon durch ihr Organ, ihr Zentralorgan der kommunistischen Partei, die "Volkszeitung", sehr, sehr kritisch gegenüber dieser Studentenbewegung ausgesprochen und hatte gesagt, das ist konterrevolutionär, das kritisiert die kommunistische Partei, das muss gestoppt werden. Und als Liu Xiaobo abgereist ist, war er schon etwas ängstlich, weil er schon wusste, auf was er sich da einlässt, aber er hatte es versprochen, dass er zurückkehren würde, und er hatte das Gefühl, er muss zurück, während andere Intellektuelle, auch ich – wir haben ein bisschen abgewartet, wie sich die Situation entwickeln würde. Und als ich dann meinen Freund Liu Xiaobo zum Flughafen begleitet habe nach New York, da wusste ich schon, wie gefährlich das ist, dass er abfliegt.

Karkowsky: Er ist dann ja auch verhaftet worden. Bei diesen Studentenrevolten von 89 hat er aber das Massaker am Platz des himmlischen Friedens überlebt. Beide Ereignisse nehmen großen Raum ein in Ihrer Liu-Xiaobo-Biografie. Ist es für Sie beide das prägende Ereignis Ihres Lebens?

Ling: Nun, er ist nicht sofort verhaftet worden, als er zurück nach China kam. Er kam am 27. April in China an, und er ist erst am 6. Juni dann wirklich verhaftet worden, also in der Zeit, wo die Armee dann die Studenten auch niedergeschossen hat. Und man muss auch sagen, er hat Leute gerettet, wie er in Peking war, und ist dann eben verhaftet worden. Und diese Zeit, die er dann im Gefängnis verbracht hat, die nimmt in der Tat sehr viel Platz ein in meinem Buch. Er ist ja dann später freigekommen, allerdings, weil er ein Geständnis unterschrieben hat, und er hat sich später sehr, sehr dafür geschämt, dass er in dieser ersten Zeit im Gefängnis eben nicht so tapfer war, dass man ihn praktisch gezwungen hatte, dieses Geständnis zu unterschreiben. Und das war ihm dann doch sehr, sehr peinlich. Und diesen Ereignissen widme ich in der Tat sehr viel Platz in meiner Biografie.

Karkowsky: Wie würden Sie die Person Liu Xiaobo beschreiben, vor allen Dingen ihren Antrieb? Wie kommt es, dass er immer noch all die Jahre für das Richtige kämpft und auch bereit ist, dafür jetzt vermutlich zehn Jahre im Gefängnis zu sitzen?

Ling: Nun, er saß insgesamt drei Mal im Gefängnis in den letzten 20 Jahren, er hat immer Artikel veröffentlicht, er hat sich den Dissidenten in China angeschlossen, er war der Präsident des unabhängigen PEN-Zentrums in China, und er weiß letztendlich, worauf er sich eingelassen hat, und dass es sehr wenige Intellektuelle gibt, Literaturkritiker gibt, die sich dann auch so politisch geäußert haben. Er weiß, auf welche Einbahnstraße er sich begeben hat und zu was das führt. Das hat er in den letzten 20 Jahren konsequent... ist er diesen Weg in der Einbahnstraße gegangen.

Karkowsky: Bei Ling, Sie kennen Liu Xiaobo seit vielen Jahren, Sie nennen ihn einen Freund und haben nun seine Biografie geschrieben. Wann hatten Sie das letzte Mal Kontakt mit ihm?

Ling: Nun, ich sah ihn das letzte Mal im Sommer 2000 in Peking, und das ist auch etwas, was ich in dieser Biografie sehr ausführlich schildere. Ich habe damals eine unabhängige Literaturzeitschrift herausgeben wollen und hatte mich da noch mit ihm getroffen, und wir wollten das noch zu einem Buchladen bringen, und zwei Tage später bin ich dann verhaftet worden, weil man mir vorgeworfen hatte, dass ich mich der illegalen Publikation schuldig gemacht hätte. Und ich kam dann sofort ins Gefängnis und mehrere chinesische Intellektuelle haben sich sofort für mich eingesetzt und im Westen, unter anderem Susan Sontag und auch Günter Grass haben Briefe geschrieben an den damaligen chinesischen Präsidenten und haben gesagt, es handelt sich hier ja um ein unabhängiges Literaturmagazin, das ist ja keine dezidiert politische Zeitschrift gewesen. Und dann hat mich letztendlich die US-Regierung gerettet, indem ich dann ins amerikanische Exil gehen durfte. Aber seit dieser Zeit, seit 2000, Sommer 2000, habe ich dann Liu Xiaobo auch nicht mehr sehen können. Wir sind noch in Kontakt, ich habe sehr viele Telefonnummern von ihm bekommen, wir konnten auf diese Art und Weise auch das unabhängige PEN-Zentrum in China mit aufbauen. Also wir haben schon noch in einer gewissen Weise zusammengearbeitet, aber gesehen haben wir uns nicht mehr.

Karkowsky: "Der Freiheit geopfert", so heißt die Biografie des Friedensnobelpreisträgers Liu Xiaobo, geschrieben von seinem Freund und Weggefährten Bei Ling. Danke für das Gespräch!

Ling: Danke!

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