Kämpferin gegen Copyright-Fanatismus

Von Julia Macher · 23.10.2013
Seit sechs Jahren werden auf der sogenannten Oxcar-Verleihung Künstler ausgezeichnet, die im Internet arbeiten und ihre Werke ohne Copyright-Restriktionen vertreiben. Die Aktivistin Simona Levi sieht in der freien Zusammenarbeit im Netz große Chancen für gesellschaftliche Verbesserungen.
Simona Levi hat gerade die Probe beendet und ist noch voll mit Adrenalin. Die große, sehr schlanke Frau sprintet zur Tür, begrüßt überschwänglich einen Freund, stapft zurück zum Probenraum, die schwarzen Cowboy-Stiefel klappern, gibt ein paar knappe Anweisungen, lässt sich dann mit einem aufgekratzten Lachen auf den Stuhl fallen.

Sie stehe kurz vorm Kollaps, japst Levi, aber anders könne sie nicht arbeiten. Am allerwenigsten kurz vor der jährlichen Oxcar-Verleihung: Seit sechs Jahren organisiert die Theatermacherin eine Gala zu Ehren der Netzkultur, inklusive Preisverleihung an Künstler und Aktivisten, die erfolgreich gemäß des Imperativs des Netzes "Teile und kopiere" leben und aufs traditionelle Copyright pfeifen.

"Copyright-Fanatiker verhindern kulturelle Vielfalt. Ihre Verwertungsgesellschaften fördern nicht Künstler, sondern kommerzielle Produkte: Die meisten Einnahmen gehen an die Großen. Das Internet dagegen erlaubt freie Zirkulation von Kultur, so können auch kleine Künstler bekannt werden, Agenten, Vermittler, Zwischenhändler sind überflüssig. Dank Internet leben heute mehr Künstler von ihrer Arbeit als je zuvor!"

Simona Levi holt kurz Luft. Das Thema Copyright bringt sie in Rage. Als sie sich Anfang des Jahrhunderts im Wohnraumkollektiv V de Vivienda engagierte, nahm Youtube einen ihrer Filme vom Server – weil darin das Logo einer Sparkasse auftauchte, eine angebliche Verletzung des Copyrights:

"Etwas, was theoretisch zum Schutz meiner Rechte als Künstlerin existiert, wurde dazu benutzt, meine Arbeit zu zensieren: da habe ich angefangen darüber zu forschen und gemerkt, wie wichtig es ist, dass wir Künstler das Internet verteidigen, weil es uns endlich all jene Revolutionen ermöglichen wird, für die wir so lange gekämpft haben."

Politisches Familienerbe
Dass Gesellschaftsveränderung der Zweck jeden Berufes sein soll, hat die attraktive Frau mit den hellbraunen Augen und dem kinnlangen Haar von zu Hause mitbekommen. Die gebürtige Italienerin stammt aus einer Turiner Intellektuellenfamilie: Der Vater Historiker, die Mutter Ethnologin, die Großtante eine der ersten Psychiaterinnen Italiens. Auch Schriftsteller Primo Levi saß mit am Küchentisch.

"Meine Großeltern, meine Tanten, meine Eltern waren zutiefst politische Menschen. Sie haben das immer auf eine fröhliche, lustvolle Art und Weise gelebt. Wenn wir am Esstisch über Politik diskutiert haben, dann nie pedantisch, sondern lebensweise, voller Esprit und Ironie – ein sehr schöpferisches Ambiente."

Diesen Esprit atmen auch die Performances der leidenschaftlichen Theaterfrau. Da werden die Liedtexte von spanischen Softpopgrößen wie Miguel Bosé verlesen – und so deren absolute Sinnlosigkeit vorgeführt oder das Klicken einer Computermaus als illegal gebrandmarkt, schließlich ist der Sound patentiert.

Simona Levi liebt es, Regeln zu brechen, auf ihren Schulverweis wegen "Missachtung von Autoritäten" ist sie noch heute stolz. Mehr als das Studium der Darstellenden Kunst in Paris haben sie die Arbeit im besetzten Kunstzentrum L’oeil du Cyclon und Wanderjahre in Amsterdam und Großbritannien geprägt. Zurück nach Italien wollte sie nie. Nach 20 Jahren in Barcelona hat sie die spanische Staatsbürgerschaft beantragt.

"In Italien zu kämpfen ist hoffnungslos, deswegen bin ich auch gegangen. Dort haben die Menschen jahrelang sechs Fernsehsender gesehen, die alle Berlusconi gehörten. Das war eine radikale Gehirnwäsche, die man der ganzen Gesellschaft anmerkt. Bis sich das normalisiert, werden Jahrhunderte vergehen.

Spanien dagegen gehört zur revolutionären Avantgarde des 21. Jahrhunderts. Es ist das Land mit den meisten Creative-Commons-Lizenzen. Hier hat man verstanden, was das Internet so gut macht: Wir können uns im Netz finden und zusammenarbeiten, ohne deswegen gleich sein zu müssen. Das hat den 15. Mai 2011 ermöglicht."

Als im Mai 2011 spanische Jugendliche die öffentlichen Plätze besetzten, hatte die Aktivistin den Protest mitorganisiert. Aus Teilen der "Empörtenbewegung" ist nun die X-Partei entstanden, eine Art Bürgerparlament jenseits von parteipolitischen Interessen, für das sie die Nächte durcharbeitet.

Wenn in ihrer Altbauwohnung nahe der Ramblas noch nachts um drei der Computermonitor flackert, stört das niemanden: Simona Levi lebt allein. Auch darin ist sie eine Überzeugungstäterin.

"Ich habe sehr viele Kampfgefährten, die ich heiß und innig liebe. Ich habe keine Familie, keine Kinder, keine Haustiere – ich liebe nur die Menschen, die mit mir gemeinsam kämpfen. Ich verstehe mich als eine Art Handwerkerin, die gemeinsam mit vielen anderen ihre Fähigkeiten einem großen Werk zur Verfügung stellt: den Wandel der Gesellschaft hin zu einer besseren."


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