Kämpfer für ein politisch relevantes Theater

Von Tobias Barth · 31.03.2005
Am 31.März wäre Adolf Dresen 70 Jahre alt geworden. Als er im Sommer 2001 starb, verlor die deutsche Bühnenwelt einen großen Regisseur, begnadeten Operninszenator und philosophischen Essayisten. Dresen, 1935 im vorpommerschen Eggesin geboren, studierte in Leipzig bei Hans Mayer und Ernst Bloch und fand bald zum Theater als der ihm gemäßen Ausdrucksform.
Adolf Dresen singt: "Auf einem Baum ein Kuckuck… simsambimsambasaladusaladim…"

Deutsches Theater Berlin 1975. Adolf Dresen singt ein deutsches Volkslied. Das Programm "Deutsche Lieder am Deutschen Theater" wird Theatergeschichte schreiben – ein unkonventioneller und erfrischender Versuch, einen nationalen Anspruch gegen die provinzielle Enge zu behaupten:

Adolf Dresen, Dresdener Rede: "Abends sangen wir dann auf der Bühne unter der Überschrift "Deutsche Volkslieder im Deutschen Theater" - das doppelte "deutsch" schon im Titel war natürlich eine Provokation. "

Sagt Adolf Dresen rückblickend in seiner letzten großen Rede im Februar 2001 in Dresden. Provokation aber war bei Dresen nie Selbstzweck. Ihm ging es um ein politisch relevantes Theater.

"Nationalgefühl war für mich damals dasselbe wie Nationalismus, und damit war es, glaubte ich, seit dem Untergang der Nazis für immer vorbei. Dann aber geschah etwas Sonderbares. Die Nationalhymne von Johannes R. Becher wurde nicht mehr gesungen, auch nicht, wie bis dahin üblich, um Mitternacht zum Sendeschluss der DDR-Sender. Es dauerte eine Weile, bis ich es überhaupt bemerkte, denn gesagt wurde nichts. Ohne dass ich oder meine Freunde recht begriffen, was wir eigentlich taten, leisteten wir Widerstand. Wir inszenierten im Deutschen Theater Kleist Aufführungen, darunter den "Prinzen von Homburg", der wegen seines angeblichen Preußentums in der DDR nicht beliebt war. "

Viele Theatergänger in Ostdeutschland erinnern sich noch des Kleistprojektes – Dresen inszenierte "Prinz Friedrich von Homburg" und "Der zerbrochene Krug" an einem Abend und erprobte die für das DDR-Theater neue Form der Doppelaufführung. Vor allem aber ist er mit seinem "Faust" von 1968 im Gedächtnis geblieben. Eine schnelle, drastische und komödiantische Inszenierung mit Fred Düren als Faust und Dieter Franke als Mephistopheles.

Dresens "Faust"-Inszenierung wendete sich gegen die offizielle Goethe-Auffassung, nach der Faust ein Visionär des Sozialismus sei und Goethe erst in der DDR den dritten, glücklich endenden Teil des "Faust" hätte schreiben können. Gegen diese von Ulbricht geäußerte Ansicht stellte Dresen die Dialektik der Aufklärung – Faust also in seinen Widersprüchen, mit seinen Irrtümern, mit seinen dunklen Seiten. Sofort nach der Premiere veranlasste das Kulturministerium tief greifende Einschnitte. Der Walpurgisnachtstraum wurde komplett gestrichen, eine Szene, in die Dresen nach bester Goethe-Manier Spottverse auf den zeitgenössischen Kulturbetrieb eingebaut hatte.

Es waren auch diese Zensur-Erfahrungen, die Adolf Dresen nach der Biermann-Affäre 1977 in den Westen trieben. Er floh über Basel nach Wien ans Burgtheater. 1981 wurde er Schauspieldirektor in Frankfurt am Main, zerschlug dort das Mitbestimmungsmodell und scheiterte dann am Desinteresse der Linken an seinem Konzept eines Nationaltheaters. Mitte der 80er ging Adolf Dresen - in einer wie er sagt "zweiten Emigration" - als Opernregisseur an die großen Häuser von Brüssel, Paris und London.

Sigrid Löffler: "Ich würde sagen, er war am Ende ein heimatloser Linker, der die DDR genauso kritisiert hat wie die Linken im Westen…"

Sigrid Löffler war während Dresens Wiener und Frankfurter Zeit Feuilleton-Chefin beim österreichischen Nachrichtenmagazin Profil. Für sie war der DDR-Regisseur eine Entdeckung:

"Dieses Beharren darauf, das ein bestimmter Ernst und eine bestimmte Relevanz dem Theater zusteht und auch dem Publikum abverlangt wird, eine bestimmte Konzentration und Aufmerksamkeit für das, was hier am Abend passiert, das ist eben nicht nur Jux und Dollerei, sondern es hat was mit dem eigenem Leben zu tun und ist daher verpflichtend - das war schon ein Kontinuum in seinem Denken und auch in seinem Schreiben."

Geschrieben hat Dresen Zeit seines Lebens: Gedichte und Erzählungen vor allem aber hoch komprimierte Essays zu Kunst und Politik. Sie zeichnen sich durch Scharfsinnigkeit und dialektisches Denken aus – versammelt sind sie in den Bänden "Siegfrieds Vergessen" und "Wieviel Freiheit braucht die Kunst?"

Christoph Hein: "Zum Ende seines Lebens war diese theoretische Neigung umfänglicher geworden. Es interessierte ihn weit aus mehr, aber es war eigentlich lebenslang beides und er wusste beides zu trennen. Das also diese Bühnenarbeiten nie von des Gedankens Blässe angekränkelt waren. "

Der Schriftsteller Christoph Hein war am Anfang seiner Karriere bei Benno Besson am Deutschen Theater Regieassistent und seither mit Adolf Dresen befreundet. Es ist spannend und aufschlussreich, die Essays Dresens auf die Texte Christoph Heins zu beziehen – gerade die Gedanken zu Realismus und Modernismus in der Kunst und die Texte zur nationalen Identität der Deutschen spiegeln eine Wahlverwandtschaft zwischen Dresen und Hein.

Christoph Hein: "Er war ein sehr humorvoller Mensch, ja sehr komisch auch durch die enorme Heftigkeit. Das war so ein Mensch, wie man sagt, der seine Kerze an beiden Seiten abbrennt. Sein früher Tod war, ist schrecklich, aber es kam irgendwie nicht ganz überraschend, weil er, er lebte eben sehr heftig, das gehört dazu und das war eben auch diese große Komik, er konnte unendlich lachen. "

Adolf Dresen starb im Juli 2001 in Leipzig. Für viele ist er als Regisseur mit kräftiger, musikalischer Handschrift in Erinnerung geblieben, als Inszenator, der analytische Schärfe und dialektisches Denken zu verbinden wusste mit sinnlichem Theater und lebendigem Schauspiel. Ein Mann des Sowohl-als-Auch, dem die Alternative eines Entweder-Oder genauso verhasst war wie ein Weder-Noch.