Kämpfe in der Ukraine

"Im Moment die Füße stillhalten"

Militärisches Gerät außerhalb von Debalzewo in der Ukraine
Militärisches Gerät außerhalb von Debalzewo in der Ukraine © dpa / picture alliance / Dan Levy
Der Europaparlamentarier Knut Fleckenstein (SPD) im Gespräch mit Korbinian Frenzel · 18.02.2015
Kein Waffenstillstand im Osten der Ukraine: Die pro-russischen Separatisten haben den strategisch wichtigen Ort Debalzewe eingenommen. Dennoch sollte die EU noch nicht sofort mit härteren Sanktionen reagieren, meint der SPD-Europaabgeordnete Knut Fleckenstein.
Eigentlich sollten gestern die ukrainische Armee und die pro-russischen Separatisten damit beginnen, ihre schweren Waffen von der Front abzuziehen. So sah es der Friedensplan von Minsk vor. Statt dessen lieferten sich beide Seiten heftige Kämpfe in Debalzewe. Nun haben die Rebellen weitgehende Kontrolle über den strategisch wichtigen Ort.
Mit einer unmittelbaren Reaktion sollte der Westen dennoch etwas warten, meint der SPD-Europaparlamentarier Knut Fleckenstein:
"Ich würde im Moment die Füße stillhalten - aber im Moment heißt nicht über Wochen oder Monate, sondern wir werden in den nächsten ein bis zwei Wochen sehen, ob das Ganze sich im Sinne von Minsk weiterentwickelt - wenn auch vielleicht langsamer als gedacht - oder ob es sich im Gegenteil verhärtet. Wenn es sich verhärten sollte, (...) dann wird die Europäische Union auch entsprechend reagieren und ihre Sanktionen ausbauen."

Noch sieht der Russlandkenner den Minsker Friedensplan nicht als gescheitert an. "Aber ich gebe zu, dass die Hoffnung immer ein bisschen kleiner wird, je länger geschossen wird."

Das Interview im Wortlaut:
Korbinian Frenzel: Die Waffen sollten ruhen im Osten der Ukraine, das war der große diplomatische Erfolg der letzten Woche. Jetzt haben sie doch gesprochen, neue Fakten geschaffen am wichtigen Knotenpunkt Debalzewe, der wohl von den Separatisten eingenommen wurde. Ist die Einigung von Minsk damit schon tot? Diese Frage geht an den Fraktionsvizevorsitzenden der Sozialdemokraten im Europaparlament, an Knut Fleckenstein. Die letzten beiden Tagen war er zu Gesprächen in Moskau. Jetzt erreichen wir ihn dort in Moskau am Telefon. Guten Morgen!
Knut Fleckenstein: Schönen guten Morgen!
Frenzel: Herr Fleckenstein, ist die Einigung von Minsk schon gescheitert?
Fleckenstein: Ich hoffe, nicht, aber ich gebe zu, dass die Hoffnung immer ein bisschen kleiner wird, je länger geschossen wird. Wir haben gewusst oder geahnt, dass nicht vom ersten Tag an überall die Waffen schweigen, aber wenn sie es jetzt nicht bald wirklich tun, ja, dann ist es wohl gescheitert. Aber noch würde ich nicht so weit gehen.
Frenzel: Sie sagen, Sie haben gewusst, Sie haben geahnt – war diese letzte Niederlage der ukrainischen Armee schon still in Kauf genommen worden in Minsk, ein stilles Zugeständnis an Moskau?
Fleckenstein: Das kann ich Ihnen nicht genau sagen, da müssen Sie mit denen sprechen, die dort in Minsk waren. Allerdings ist es ja sicher auch kein Zufall, dass die Waffenruhe erst nach etwas mehr als einem Tag eingetreten ist oder eintreten sollte. Dass da noch Kämpfe auszufechten waren, ist, glaube ich, allen bewusst gewesen. Ob das nun so weit gehen sollte wie jetzt, da bin ich mir nicht sicher, das glaube ich eher nicht.
Wenn es Waffennachschübe gibt, wird die EU die Sanktionen ausbauen
Frenzel: Herr Fleckenstein, der ukrainische Präsident Poroschenko hat reagiert auf das, was da in Debalzewe passiert, und hat gesagt, er fordert eine entschiedene Reaktion des Westens. Hat er recht oder heißt es jetzt erst mal, Füße still halten, abwarten, hoffen, dass sich die Dinge doch noch beruhigen?
Fleckenstein: Also ich würde im Moment die Füße still halten, aber im Moment heißt jetzt nicht, über Wochen und Monate, sondern wir werden in den nächsten ein, zwei Wochen sehen, ob das Ganze sich im Sinne von Minsk weiterentwickelt, wenn auch vielleicht langsamer als gedacht, oder ob es im Gegenteil sich verhärtet. Und wenn es sich verhärten sollte, wenn es an den Separatisten weiterhin liegt, wenn es wirkliche Waffennachschübe gibt, dann wird die Europäische Union, da bin ich ganz sicher, auch entsprechend reagieren und ihre Sanktionen ausbauen.
Frenzel: Sie sind in Moskau, weil Sie das Gespräch gesucht haben, auch mit Vertretern der Regierungsseite, in der Duma, im Parlament. Haben Sie den Eindruck, wenn wir auf diese Gespräche schauen, wenn Sie auf diese Gespräche zurückschauen, dass es einen ernsten Willen gibt auf offizieller russischer Seite, den Konflikt friedlich zu lösen?
Fleckenstein: Mein Gefühl ist, dass es diesen Willen gibt, dass auch die russische Seite sicher ist, dass es keine militärische Lösung am Ende aller Probleme geben wird. Aber es ist natürlich – wir gehen von unterschiedlichen Ausgangspunkten aus, insofern ist es schwierig, Gemeinsamkeiten festzustellen. Aber der Wille, die militärische Lösung nicht weiter zu suchen, den habe ich hier getroffen, ja.
Die russische Seite weiß, dass sie auch Zugeständnisse machen muss
Frenzel: Haben Sie denn auch den Eindruck, dass man dafür bereit ist, Zugeständnisse zu machen?
Fleckenstein: Ich bin sicher, dass die russische Seite weiß, dass sie ihre Lösung nicht hundertprozentig durchkriegen kann und dass sie auch Zugeständnisse machen muss. Ich hab hier auch Fragen bekommen wie, muss man gemeinsam über etwas, was die wirtschaftliche Zukunft der Ukraine angeht, nachdenken, und auch über die Frage, wie man denn die Propaganda in den Griff kriegt, die man selbst losgelöst hat, nicht nur auf russischer Seite, aber dort ganz besonders, wie man damit umgeht, um einen Kurswechsel eben auch in der Bevölkerung klar machen zu können. Das sind zumindest erste Überlegungen, die mir ein bisschen Hoffnung gegeben haben, dass wir in die richtige und gemeinsame Richtung diskutieren.
Frenzel: Haben Sie denn den Eindruck – ich bin über ein Zitat gestolpert der UN-Botschafterin der Amerikaner in New York, die über das Verhalten der Russen gesagt hat, die Resolution, die heute im UN-Sicherheitsrat beschlossen wurde auf Antrag der Russen, wo ja gefordert wurde, wir wollen einen Waffenstillstand und wir wollen ihn unterstützen, wir wollen, dass alle beteiligten Parteien und die, die dahinter stehen, das unterstützen – sie hat darauf bezogen gesagt, mit Blick auf Debalzewe: Das ist, gelinde gesagt, ironisch. Haben Sie das auch erlebt in diesen Gesprächen, die Sie geführt haben, dass es da eine Art "Doppelsprech" gibt, eine Sprache, die nicht zu den Taten passt?
Fleckenstein: Nein, habe ich nicht erlebt, in dem Sinne, dass ich das nicht ernst genommen habe, was man mir hier gesagt hat. Es passt allerdings natürlich nicht dazu, dass die Separatisten in bestimmten Teilen der Ostukraine weiterhin schießen. Und man muss sich jetzt entscheiden hier, ob man diese neue Politik nur mit dem Mund machen will oder ob man wirklich Taten folgen lassen will. Lange Zeit gibt es dafür leider nicht mehr.
Frenzel: Der SPD-Politiker Knut Fleckenstein live aus Moskau am Flughafen, nach zwei Tagen voller intensiver Gespräche. Herr Fleckenstein, vielen Dank und gute Reise!
Fleckenstein: Recht herzlichen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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