Kältebus für Obdachlose in Berlin

Retter in eisigen Nächten

Der Kältebus der Berliner Stadtmission und ein Obdachloser, der in eine Notunterkunft gebracht werden soll.
Der Kältebus der Berliner Stadtmission hilft Obdachlosen in kalten Nächten. © imago / epd
Von Josefine Janert · 03.02.2019
Bis zu 10.000 Obdachlose soll es in Berlin geben. Bei niedrigen Temperaturen laufen die Menschen Gefahr, draußen zu erfrieren. Deshalb sind vom 1. November bis zum 31. März jeden Jahres zwei Kältebusse der Berliner Stadtmission unterwegs.
Kurz nach 21 Uhr. Christina Otte sitzt auf dem Beifahrersitz und telefoniert, während Yannick Büchle den Kältebus durch die Innenstadt steuert. Die beiden Studenten sind Anfang zwanzig und Ehrenamtliche bei der Berliner Stadtmission, die unter dem Dach der evangelischen Kirche tätig ist. Seit 24 Jahren betreibt die Stadtmission den Kältebus. Er bringt Obdachlose in Notunterkünfte, wo sie vor der Kälte geschützt sind. So auch in dieser Nacht, in der die Außentemperatur etwa null Grad beträgt.
"Wenn man sich vorstellt: In kalten Nächten kommen bis zu 100 Anrufe", sagt Yannick Büchle. "Und wir können in einer Nacht nicht 100 verschiedene Stellen in Berlin anfahren. Und deswegen, wie das Tina grad so schön gemacht hat, versuchen wir, anhand von ein paar Leitfragen herauszufinden, wie akut das ist, und ob wir da heute Abend hinfahren oder nicht."
Yannick Büchle und Christina Otte vom Kältebus der Stadtmission Berlin.
Yannick Büchle und Christina Otte vom Kältebus.© Josefine Janert
Mehrere Träger betreiben Notunterkünfte, wo Obdachlose schlafen oder sich wenigstens in einen Aufenthaltsraum setzen können. Wenn sie von dem Angebot erfahren, begeben sich viele allein oder mit dem Kältebus in so eine Unterkunft. Andere Obdachlose haben sich an einem Stammplatz eingerichtet, den sie nicht an andere verlieren wollen. Das Team vom Kältebus versorgt sie mit Tee oder Kaffee und, wenn nötig, mit einem Schlafsack oder einer Isomatte.

Im Rausch erkennen Menschen die Gefahr zu erfrieren kaum

Wieder andere Obdachlose sind psychisch beeinträchtigt oder im Rausch und können die Gefahr, draußen zu erfrieren, kaum noch erkennen. In diesen Fällen greifen Yannick Büchle und Christina Otte sofort ein. Gegebenenfalls rufen sie den Notarzt.
"Also im Positiven ist es immer wieder so, dass wir auf Menschen treffen, die zum Teil in Tränen ausbrechen, weil sie sagen: Ihr seid die Ersten und die Einzigen, die in dieser Woche auf mich zugekommen sind und mich fragen, wie's mir geht", erzählt Yannick Büchle. "Andererseits gab's auch Situationen, wo ich auf einen jungen Mann getroffen bin. Der ist jünger gewesen als ich, 20 Jahre alt, und hat mir erzählt, dass er in den letzten zehn Tagen versucht hat, sich ein paar Mal das Leben zu nehmen, weil er mit der Situation nicht klarkam. Ich hab einfach gesagt, dass wir im Gebet an ihn denken und dass wir – ja, wenn wir ihm helfen können, dann tun wir das gerne, aber unsere Hilfe stößt auch auf Grenzen. Einfach Dinge an Gott abzugeben, wo ich selber nicht fertig mit werde, das hilft enorm. Und ich glaube, sonst könnten wir diese Arbeit auch nicht so machen, wie wir sie machen."
Die Stadtmission hat die Mobilnummer des Kältebusses überall in der Stadt verbreitet. Meist sind es Passanten, die anrufen, weil ihnen eine hilfsbedürftige Person aufgefallen ist, jedoch auch Angestellte der Bahn und anderer Einrichtungen. Außerdem fahren Yannick Büchle und Christina Otte Orte ab, von denen sie wissen, dass sich dort Obdachlose aufhalten. So wie jetzt. Der Bus hält vor der Kongresshalle in der Nähe des Regierungsviertels.
In einer Nische an dem Gebäude liegt ein Mann. Yannick Büchle überzeugt sich davon, dass er atmet.
"Man sieht es an der Bewegung, und ich hab dann auch ins Gesicht geguckt", sagt Büchle. "Er sah jetzt auch gut eingepackt aus, er hatte Schlafsack, Isomatte. Ich glaube, wenn da jemand liegen würde, der nichts davon hat, dann hätte ich noch mal anders gehandelt, aber so können wir die Person jetzt ruhigen Gewissens schlafen lassen."

Manche stranden in der Rettungsstelle der Charité

Ein Mann ruft an. Er stammt aus Polen, spricht kaum Deutsch. Er bittet um Hilfe für sich und seinen Landsmann. Das Gespräch bricht ab. Ein weiterer Anruf – die Charité. In der Rettungsstelle sind unabhängig voneinander zwei Männer gestrandet.
Beide Männer sind verwahrlost. Der eine schreit herum. In eine Notunterkunft kann er nicht aufgenommen werden. Ein Mitarbeiter der Charité entscheidet, dass er in die Psychiatrie transportiert wird, was aber nicht Aufgabe des Kältebusses ist. Der andere ist gestürzt und daraufhin in der Rettungsstelle behandelt worden. Er lebt in einer Wohnungslosenunterkunft. Dorthin wird ihn der Kältebus jetzt bringen.
"Bin von meinem eigenen Stiefvater rausgeschmissen worden", erzählt der Mann. "Und dann bin ich raus auf die Straße. Ich hab keinen Kontakt. Ich hab elf Geschwister! Was mach ich jetzt?"
Nachdem der Kältebus den Mann abgesetzt hat, steuert er durch eine belebte Straße. Dort hat ein Passant eine schlafende Person entdeckt. Ob Frau oder Mann ist nicht erkennbar, so sehr hat sie sich in den Schlafsack eingemummelt. Yannick Büchle stellt ihr eine Isomatte hin.

Frauen sind für den Kältebus schlechter erreichbar als Männer

Deutschlandweit gibt es weit mehr obdachlose Männer als Frauen. Aus Angst vor sexueller Gewalt verkriechen sich die wenigen Frauen – und sind für Angebote wie den Kältebus oft nicht erreichbar. Einige verkleiden sich als Männer, um nicht belästigt zu werden.
Der Pole, der vor einer Stunde angerufen hat, meldet sich jetzt vom U-Bahnhof Amrumer Straße. Unterwegs dorthin sagt Yannick Büchle:
"Also, es ist erstaunlich, wie viele Menschen trotz ihres Schicksals noch einen Glauben haben. Ich gehe davon aus, dass Menschen, die so vom Schicksal gebeutelt sind, dann oft an einem Gott zweifeln. Aber ich komme dann immer wieder über den Glauben ins Gespräch mit Menschen, die mir auch sagen, dass sie an Gott glauben. Und das find ich schon auch krass in so einer Lebenssituation. Das kann gut sein, dass das etwas ist, woran sie sich klammern können, wenn sonst alles nicht hinhaut."

Hilfe in kleinen Schritten

Auf dem U-Bahnhof warten Krysztof und Robert. Sie sind Mitte Dreißig, sehen aber viel älter aus. Kleidung und Haut starren vor Dreck, und sie riechen nach Alkohol. Robert sitzt im Rollstuhl. Seine Hand ist mit einem schmutzigen Verband umwickelt - ein Abszess. Und keine Krankenversicherung.
Der Kältebus bringt Krysztof und Robert in eine Notunterkunft der Berliner Stadtmission. Dort bekommt Robert auch medizinische Hilfe. Christina Otte sagt:
"Wenn man einmal das Leid gesehen hat und auch gesehen hat, wie man in kleinen Schritten helfen kann, dann will man gerne mithelfen und kann auch sehen, wenn sich die Leute freuen, ja wie's in kleinen Dingen schon viel Freude und Hilfe ist. Also mir hilft persönlich viel Austausch mit anderen Leuten, die auch in der gleichen Arbeit sind. Ja, im Gebet viel abzugeben, das hilft mir auch."
In dieser Nacht werden Yannick Büchle und Christina Otte insgesamt acht Schlafsäcke und acht Isomatten verteilen und zehn Männer und eine Frau in Notunterkünfte fahren. Um vier Uhr morgens ist dann die Schicht für die beiden Studenten vorbei.
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