Kadri Voorands Album "Armupurjus"

Experimenteller Folk und meditativer Jazz aus Estland

Kadri Voorand
Die Sängerin und Pianistin Kadri Voorand © Stina Kase
Von Martin Risel · 17.12.2018
Ihre Ausdrucksmöglichkeiten zwischen estnischem Folk, Elektro, Rock und Jazz scheinen endlos. Kadri Voorand ist in Estland eine sehr bekannte Musikerin, in Deutschland noch ein Geheimtipp. Doch das könnte sich mit ihrem neuen Album "Armupurjus" ändern.
"Das Klavier ist das Instrument, mit dem ich aufgewachsen bin und gerne improvisiere. Nach dem Studium konnte mir dann keiner mehr sagen: ’So spielt man Jazz aber nicht!’ Und bei den Aufnahmen für dieses Album habe ich mich dem Piano wieder geöffnet."

Ihr lautmalerisch wühlendes Klavier erzählt von den stürmischen Winden ihres Heimatdorfes nahe dem Finnischen Meerbusen. Wo Kadri Voorand – wenn sie nicht in Tallinn oder der Welt unterwegs ist - möglichst viel Zeit verbringt. Wo ihr Vater, Großvater, Groß-Großvater herkommen. Die wie die Mutter schon immer die dörfliche Folkmusik-Tradition gelebt haben. Also: die Tochter auch - jedes Wochenende in Folklore-Tracht: gesungen, gegeigt.

Ungeheuer vielseitiges Album

"Ich musste auf der Geige das Improvisieren lernen, denn meine Mutter hatte mir verboten, die Melodie zu spielen. Ich sollte nur nach Gehör drum herum spielen, das war meine Aufgabe in diesem Ensemble.
Geige spielen kann ich eigentlich immer noch nicht. Aber einmal im Jahr musiziere ich noch mit denen."
Diese Wurzeln in der estnischen Folkmusik und diese natürliche Improvisationsgabe dringen deutlich durch auf ihrem ungeheuer vielseitigen Album. Neben ihrer estnischen Rhythmusgruppe spielt Kadri Voorand Piano und Electronics, Kalimba und Wot, die kreisförmige asiatische Panflöte. Im Zentrum ihrer Improvisationen steht hier nicht die Geige, sondern ihre Stimme. Expressiv oder schmeichelnd, experimentell wie Björk, warm wie Cassandra Wilson. Extrem wandelbar – wie die musikalischen Stile zwischen Folk und Jazz, Pop und Rock.

"Versuche immer, echte Geschichten zu erzählen"

"Wenn ich an die verschiedenen Stücke des Albums denke – da sind einige mit sehr folkigem Hintergrund. Dann modernere polyrhythmische Jazznummern mit Improvisation. Oder so etwas wie ein Folk-Metal-Stück."

Durchzogen sind die 17 Stücke von kurzen Improludes: ein-, zweiminütigen Ausschnitten aus Einstunden-Improvisationen, die jeweils am Ende eines Aufnahmetages entstanden sind. Dann war sie, erzählt Kadri Voorand, dem Album-Titel "Armupurjus" vielleicht am nächsten. So etwas wie Liebestrunkenheit bedeutet er, meint auch die Liebe zur Musik und entstammt dem Poem eines estnischen Dichters. Wie auch dieser Text:
"Ich versuche immer, echte Geschichten zu erzählen – egal, ob ich sie selbst geschrieben habe oder Gedichte von anderen verwende. Was ich wirklich fühle in diesem Moment, das ist mir das Wichtigste dabei."
Meditativ fernöstlich versunken kann das klingen und das Estnische wie eine Kunstsprache. Die Ausdrucksmöglichkeiten von Kadri Voorand scheinen unendlich zu sein. Die Welt wird ihr ungeheures Talent noch entdecken. In Deutschland sind wir, ist sie mit diesem Album schon mal einen Schritt weiter.
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