"Kaczynski war sehr kontrovers"
Der Verwaltungsdirektor des Collegium Polonicum, Krzysztof Wojciechowski, hält den verstorbenen polnischen Präsidenten Lech Kaczynski für einen großen Patrioten. Im Ausland habe seine Politik allerdings mehr Gegner als Befürworter gehabt, sagte Wojciechowski.
Nana Brink: Es ist eine Tragödie – so kann man es wohl formulieren –, die über Polen hinausgeht: der Tod des polnischen Präsidenten Lech Kaczynski und großer Teile der politischen und militärischen Elite bei einem Flugzeugabsturz in Russland. Seitdem trauern unsere Nachbarn, und auch hier herrscht allgemeine Bestürzung, wie man zum Beispiel in Berlin sehen kann, da viele Menschen Kerzen und Blumen am Brandenburger Tor abgelegt haben.
Doch in die Trauer mischt sich natürlich auch die Frage: Welche Auswirkungen hat diese Tragödie auf die Politik Polens, gerade auch in Europa? Und genau darüber möchte ich jetzt sprechen mit Krzysztof Wojciechowski, er ist Direktor des Collegium Polonicum, das ist ein Institut der Europauniversität Frankfurt/Oder. Einen schönen guten Morgen, Herr Wojciechowski!
Krzysztof Wojciechowski: Guten Morgen, Frau Brink!
Brink: Welche Rolle spielt denn der Präsident in der polnischen Politik?
Wojciechowski: Eine wichtige Rolle, gerade dieser Präsident, obwohl: Unsere Verfassung klärt nicht genau, welche Kompetenzen der Präsident und der Premier haben. Wir haben weder ein klares Kanzlersystem, noch ein präsidentielles System, und das führte zu gewissen Auseinandersetzungen in der letzten Zukunft zwischen dem Präsidenten und dem Premier Donald Tusk. Der Präsident, eine starke Persönlichkeit, beanspruchte mehr Rolle als die früheren Präsidenten, er wollte die Außenpolitik machen, er wollte viel mehr die Innenpolitik bestimmen, und das dynamisierte natürlich das politische Leben in den letzten Jahren.
Brink: Wie bedeutend ist er dann? Sie haben gesagt, er ist sehr bedeutend auch bei der Bestimmung der Außenpolitik. Wie hat denn Kaczynski die polnische Außenpolitik bestimmt?
Wojciechowski: Erstens wollte er die europäische Politik machen. Er hat den Ton angegeben, und er hat immer die Initiative ergriffen in Sachen Europa und polnische EU ... die polnische Rolle in der EU. Er wollte immer dabei sein, zu allen europäischen Gipfeln wollte er fahren, selbst wenn Tusk eingeladen war und sozusagen hat den Ton angegeben.
Sie können sich erinnern, wie es vor zwei Jahren war: Als die EU einen Vertrag mit Russland erarbeiten wollte, hat er ein Veto eingegeben, eingelegt, weil die Verhältnisse damals mit Russland, zwischen Russland und Polen, gespannt waren. Es ging um ein Fleischexportproblem und er sagte: Nein, ohne uns wird die EU sich mit Russland nicht vertraglich einigen.
Brink: Es gibt ja das Sprichwort: De mortuis nihil nisi bene, über Tote soll man nur Gutes sprechen oder schweigen. Welches Erbe hinterlässt Lech Kaczynski außenpolitisch, gerade auch im Hinblick auf die EU und die Rolle Polens?
Wojciechowski: Lech Kaczynski war sehr kontrovers. Er hatte Befürworter und Gegner, in Polen sowohl Befürworter als auch Gegner, im Ausland mehr Gegner als Befürworter. Aber eins muss man sagen: Er war eine sehr starke Persönlichkeit, und auf eine seltsame Weise hat er doch zur Bedeutung Polens im Ausland beigetragen.
Die europäischen Länder haben begriffen, dass die wichtigsten Probleme des Kontinents nur mit den Polen gelöst werden müssen, und wenn Polen ignoriert wird, dann gibt es Probleme. Man kann die Sache so oder so sehen, natürlich - man möchte lieber mit einem kooperativen Partner zu tun haben, aber in der Tat hat er den Respekt und die Achtung vor dem polnischen Volk eingefordert und durchgesetzt.
Brink: Der Präsident war, so sahen es ja auch viele deutsche Politiker, ein schwieriger Verhandlungspartner in Sachen Europa. Sie haben es angedeutet: Er setzte stark auf die nationale Karte, er hatte Misstrauen sowohl gegen Deutschland wie auch gegen Russland artikuliert, zu sehen war das auch wieder bei seiner Kritik an der Ostsee-Pipeline zwischen Russland und der EU. Sah er sich von Feinden umzingelt?
Wojciechowski: Ja, ich würde nicht sagen, dass er sich nur von Feinden umzingelt sah, er war ein Mensch des 19. Jahrhunderts, im positiven Sinne. Er war ein glühender Patriot, er war ein Staatsmann, ein staatstragender Politiker, der behauptete, der Staat ist die wichtigste Säule einer Gesellschaft. Er war auch ein Mensch, der sehr stark das Selbstwertgefühl aus der Geschichte geschöpft hat. Das sind die Ursachen, warum er so oft Konflikte mit den Nachbarn hatte.
Und die Polen, das müssen Sie wissen, teilen sich nach dem EU-Beitritt, schon infolge der Globalisierung: Ein Drittel der Gesellschaft sind klare Gewinner, ein Drittel sind einigermaßen zufrieden, und ein Drittel sind Verlierer der Globalisierung und des EU-Beitritts. Dieses eine Drittel der Gesellschaft hat starke Einbußen im Bereich Selbstwertgefühl hinnehmen müssen, und Kaczynski hat ihnen das rekompensiert.
Durch seine Politik hat er ihnen immer wieder gezeigt und erklärt: Wir sind was Wichtiges und selbst, wenn wir mit den Nachbarn Spannungen haben – wir können diese Politik bestimmen, wir zeigen, dass wir wichtig sind. Deswegen war er bei gut einem Drittel populär und deswegen wird er vermutlich in die Geschichte eingehen als ein starker, patriotischer Präsident.
Brink: Wie wird es weitergehen, wird seine Politik Nachwirkungen haben?
Wojciechowski: Ich denke nicht. Eher wird sich, sagen wir, seine Wirkung in den Bereich nationaler Mythos verlagern. Ich weiß nicht, wie weit dieser Mythos die zukünftige Politik bestimmen wird, ich hoffe sehr, dass nicht zu stark – wir Polen haben einen Hang zum Märtyrertum, zum Betrachten des alltäglichen Geschehens durch das Prisma des Leidens des Volkes, der irgendwie tragischen Rolle in der Geschichte, und dieses Märtyrertum ist kontraproduktiv. Man kann ... zwei Märtyrer können zum Beispiel keine guten Geschäfte machen.
Und vielleicht werden die Historiker Kaczynski einschätzen eben als einen, sagen wir, Leuchtturm, patriotischen Leuchtturm in der neuesten Geschichte, aber ich hoffe sehr, dass die gegenwärtige Alltagspolitik nicht durch sein Erbe bestimmt wird.
Brink: Krzysztof Wojciechowski, Direktor des Collegiums Polonicum an der Europauniversität in Frankfurt/Oder, und wir sprachen über die Ausrichtung der polnischen Politik nach dem Tod des Präsidenten. Vielen Dank für das Gespräch!
Wojciechowski: Dankeschön!
Links auf dradio.de:
Polen trauert um Präsident Kaczynski
Staatstrauer in Polen - Präsident Lech Kaczynski stirbt bei Flugzeugabsturz
Versöhnung nach dem Unglück? Russland bekundet Polen sein Mitgefühl
Doch in die Trauer mischt sich natürlich auch die Frage: Welche Auswirkungen hat diese Tragödie auf die Politik Polens, gerade auch in Europa? Und genau darüber möchte ich jetzt sprechen mit Krzysztof Wojciechowski, er ist Direktor des Collegium Polonicum, das ist ein Institut der Europauniversität Frankfurt/Oder. Einen schönen guten Morgen, Herr Wojciechowski!
Krzysztof Wojciechowski: Guten Morgen, Frau Brink!
Brink: Welche Rolle spielt denn der Präsident in der polnischen Politik?
Wojciechowski: Eine wichtige Rolle, gerade dieser Präsident, obwohl: Unsere Verfassung klärt nicht genau, welche Kompetenzen der Präsident und der Premier haben. Wir haben weder ein klares Kanzlersystem, noch ein präsidentielles System, und das führte zu gewissen Auseinandersetzungen in der letzten Zukunft zwischen dem Präsidenten und dem Premier Donald Tusk. Der Präsident, eine starke Persönlichkeit, beanspruchte mehr Rolle als die früheren Präsidenten, er wollte die Außenpolitik machen, er wollte viel mehr die Innenpolitik bestimmen, und das dynamisierte natürlich das politische Leben in den letzten Jahren.
Brink: Wie bedeutend ist er dann? Sie haben gesagt, er ist sehr bedeutend auch bei der Bestimmung der Außenpolitik. Wie hat denn Kaczynski die polnische Außenpolitik bestimmt?
Wojciechowski: Erstens wollte er die europäische Politik machen. Er hat den Ton angegeben, und er hat immer die Initiative ergriffen in Sachen Europa und polnische EU ... die polnische Rolle in der EU. Er wollte immer dabei sein, zu allen europäischen Gipfeln wollte er fahren, selbst wenn Tusk eingeladen war und sozusagen hat den Ton angegeben.
Sie können sich erinnern, wie es vor zwei Jahren war: Als die EU einen Vertrag mit Russland erarbeiten wollte, hat er ein Veto eingegeben, eingelegt, weil die Verhältnisse damals mit Russland, zwischen Russland und Polen, gespannt waren. Es ging um ein Fleischexportproblem und er sagte: Nein, ohne uns wird die EU sich mit Russland nicht vertraglich einigen.
Brink: Es gibt ja das Sprichwort: De mortuis nihil nisi bene, über Tote soll man nur Gutes sprechen oder schweigen. Welches Erbe hinterlässt Lech Kaczynski außenpolitisch, gerade auch im Hinblick auf die EU und die Rolle Polens?
Wojciechowski: Lech Kaczynski war sehr kontrovers. Er hatte Befürworter und Gegner, in Polen sowohl Befürworter als auch Gegner, im Ausland mehr Gegner als Befürworter. Aber eins muss man sagen: Er war eine sehr starke Persönlichkeit, und auf eine seltsame Weise hat er doch zur Bedeutung Polens im Ausland beigetragen.
Die europäischen Länder haben begriffen, dass die wichtigsten Probleme des Kontinents nur mit den Polen gelöst werden müssen, und wenn Polen ignoriert wird, dann gibt es Probleme. Man kann die Sache so oder so sehen, natürlich - man möchte lieber mit einem kooperativen Partner zu tun haben, aber in der Tat hat er den Respekt und die Achtung vor dem polnischen Volk eingefordert und durchgesetzt.
Brink: Der Präsident war, so sahen es ja auch viele deutsche Politiker, ein schwieriger Verhandlungspartner in Sachen Europa. Sie haben es angedeutet: Er setzte stark auf die nationale Karte, er hatte Misstrauen sowohl gegen Deutschland wie auch gegen Russland artikuliert, zu sehen war das auch wieder bei seiner Kritik an der Ostsee-Pipeline zwischen Russland und der EU. Sah er sich von Feinden umzingelt?
Wojciechowski: Ja, ich würde nicht sagen, dass er sich nur von Feinden umzingelt sah, er war ein Mensch des 19. Jahrhunderts, im positiven Sinne. Er war ein glühender Patriot, er war ein Staatsmann, ein staatstragender Politiker, der behauptete, der Staat ist die wichtigste Säule einer Gesellschaft. Er war auch ein Mensch, der sehr stark das Selbstwertgefühl aus der Geschichte geschöpft hat. Das sind die Ursachen, warum er so oft Konflikte mit den Nachbarn hatte.
Und die Polen, das müssen Sie wissen, teilen sich nach dem EU-Beitritt, schon infolge der Globalisierung: Ein Drittel der Gesellschaft sind klare Gewinner, ein Drittel sind einigermaßen zufrieden, und ein Drittel sind Verlierer der Globalisierung und des EU-Beitritts. Dieses eine Drittel der Gesellschaft hat starke Einbußen im Bereich Selbstwertgefühl hinnehmen müssen, und Kaczynski hat ihnen das rekompensiert.
Durch seine Politik hat er ihnen immer wieder gezeigt und erklärt: Wir sind was Wichtiges und selbst, wenn wir mit den Nachbarn Spannungen haben – wir können diese Politik bestimmen, wir zeigen, dass wir wichtig sind. Deswegen war er bei gut einem Drittel populär und deswegen wird er vermutlich in die Geschichte eingehen als ein starker, patriotischer Präsident.
Brink: Wie wird es weitergehen, wird seine Politik Nachwirkungen haben?
Wojciechowski: Ich denke nicht. Eher wird sich, sagen wir, seine Wirkung in den Bereich nationaler Mythos verlagern. Ich weiß nicht, wie weit dieser Mythos die zukünftige Politik bestimmen wird, ich hoffe sehr, dass nicht zu stark – wir Polen haben einen Hang zum Märtyrertum, zum Betrachten des alltäglichen Geschehens durch das Prisma des Leidens des Volkes, der irgendwie tragischen Rolle in der Geschichte, und dieses Märtyrertum ist kontraproduktiv. Man kann ... zwei Märtyrer können zum Beispiel keine guten Geschäfte machen.
Und vielleicht werden die Historiker Kaczynski einschätzen eben als einen, sagen wir, Leuchtturm, patriotischen Leuchtturm in der neuesten Geschichte, aber ich hoffe sehr, dass die gegenwärtige Alltagspolitik nicht durch sein Erbe bestimmt wird.
Brink: Krzysztof Wojciechowski, Direktor des Collegiums Polonicum an der Europauniversität in Frankfurt/Oder, und wir sprachen über die Ausrichtung der polnischen Politik nach dem Tod des Präsidenten. Vielen Dank für das Gespräch!
Wojciechowski: Dankeschön!
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