Kabarett

Komiker, Outlaw und Stichler

Wolfgang Neuss 1959
Wolfgang Neuss 1959 © picture alliance / dpa
Von Tarik Ahmia · 03.12.2013
Wolfgang Neuss wurde geliebt und gehasst – wegen seiner scharfen Zunge und seiner Witze gegen Altnazis und den Muff der Adenauer-Ära. Er war aber auch Filmstar und ein leidenschaftlicher Sänger. Heute vor 90 Jahren wurde "der Mann mit der Pauke" geboren.
Wolfgang Neuss hatte viele Gesichter. Geboren in Breslau, aufgewachsen in der Kneipe seiner Großeltern zwischen Pferdehändlern, Bauern und Tagelöhnern, soll er eigentlich Landwirt werden. Als Kind träumt Wolfgang Neuss von einem Leben als Clown.
Doch dann kommt der Zweite Weltkrieg. Neuss überlebt als Wehrmachtssoldat an der Front in Russland.
Im Internierungslager tritt Neuss bei bunten Abenden als Komiker auf. Er tingelt durch Deutschland und wird als Filmschauspieler entdeckt. Der Autodidakt mit der komischen Note bringt frischen Wind in den Muff des deutschen Nachkriegsfilms und ist bald auch auf der Theaterbühne zu Hause.
[Musik: "Zusammenbruch-Song"]
Der große Durchbruch kommt 1957 mit dem Kinohit "Das Wirtshaus im Spessart", eine freche und übermütige Geschichte von zwei berufsmüden Straßenräubern.
[Musik: "Ich hab doch so 'ne schöne Stimme"]
Die Musik wird zu seinem ständigen Begleiter. Auf der Bühne sorgt Neuss mit seiner Pauke für manchen Skandal. Er ist der Lieblingsfeind des politischen Establishments, immer wieder lassen einflussreiche Leute seine Fernsehauftritte zensieren oder absetzen. Die Pauke wird zu seinem Markenzeichen; mit ihr weist er auf Missstände hin.
[Musik: "Ich hab einen Nazi gesehn"]
Aber Neuss legt sich nicht nur mit den Rechten an.
[Musik: "Pauken für 1,30", "Adolf-Tango"]
Seine Programme werden immer politischer. 1960 verfilmt er sein Drehbuch "Wir Kellerkinder".
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Sein Markenzeichen war die Pauke: Wolfgang Neuss 1960© picture alliance / dpa
In Wort und Ton stichelt Neuss gegen die Nachkriegs-Idylle. Ein Teil der Deutschen sieht in ihm einen Feind. 1962 zieht Neuss offenen Hass auf sich, als er vorzeitig den Namen eines Mörders in einer beliebten Fernsehkrimi-Serie ausplaudert. Es hagelt Morddrohungen und Beschimpfungen als "Vaterlandsverräter".
[Musik: "Schlag nach bei Shakespeare"]
Neuss' Popularität gewinnt an Fahrt, die Tourneen sind ausverkauft. Er wird zur Überfigur des deutschen Kabaretts. Während der Studentenrevolte 1968 verlässt Neuss die Bühne, solidarisiert sich mit den Aufständischen auf der Straße. Das Publikum wendet sich in den folgenden Jahren immer mehr von ihm ab. Neuss fällt durch Drogenkonsum auf.
[Musik: "Und der Haifisch, der hat Zähne"]
Es wird still um den Sprachakrobaten. Ein letztes Mal macht Neuss von sich reden, als er 1983 im Fernsehen Richard von Weizsäcker erklärt: "Auf deutschem Boden darf nie wieder ein Joint ausgehen, Ritchie." Der Bundespräsident schätzt ihn:
"Der Kerl war von einer Souveränität in seinem Charakter und auch in seinem Verstand, das ist mir eben ganz und gar unvergessen geblieben, obwohl das jetzt 25 Jahre her ist."
In seinen letzten Lebensjahren wird Neuss zum zahnlosen Späthippie, der von Spenden seiner Freunde lebt. Er erkrankt an Krebs und stirbt, wie er lebte, aufrecht im Sitzen, am 5. Mai 1989 in Berlin.
Der Autor Volker Kühn, Freund und Kollege von Wolfgang Neuss, erinnert sich an einen Hochbegabten, der scheitern wollte:
"Wir haben uns gestritten von morgens bis abends, immer sehr kreativ und sehr freundschaftlich. Aber ich war fasziniert von diesem Typen, der ein Outlaw war, der völlig anders dachte als andere, der, wie ich immer sagte, mit dem Bauch denken konnte, der geliebt werden wollte vom Publikum und alles dafür tat, dass das nicht stattfand."
[Musik: "Tu's nicht ohne Liebe"]
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