(K)eine Weihestunde deutscher Kunst

Von Carsten Probst |
Für die Elisabethkapelle in Naumburg hat der Leipziger Maler Neo Rauch drei Glasfenster gestaltet. Mit den gewählten Motiven thematisiert er das Leben der Heiligen Elisabeth aus dem 14. Jahrhundert.
Wer von Naumburg spricht, der spricht von deutscher Kunst und Denkungsart. Zumindest war es einmal so, insbesondere während des Dritten Reiches, als die berühmte Stifterfigur der Uta im Naumburger Dom zur Personifikation der volksdeutschen Seele und des alten deutschen Reiches in seinen mittelalterlichen Grenzen hochstilisiert wurde. Jeder gutbürgerliche Haushalt verfügte über das Bild. Nietzsche, Goethe, Luther – sie alle waren ja hier: ein reicher Boden für die Mythen der Nation. Nach dem Zweiten Weltkrieg verblasste der nationale Ruhm Naumburgs. Das soll sich nach dem Willen von Georg Graf von Zech, dem Dechant der Vereinigten Domstifter zu Merseburg und Naumburg endlich ändern:

"Ich hab das gerade diese Woche wieder erlebt, ich war bei einem Rechtsanwalt in Dortmund, der ein tolles Büro und alles hat, der hatte keine Ahnung von Naumburg und den Stifterfiguren, und ich hoffe natürlich auch jetzt, dass dadurch Neo Rauch auch, weil Neo Rauch ja nun auch hochaktuell ist und das wird sicherlich Naumburg und der Region hier auch helfen. Wirtschaftlich gesehen ist das sicherlich auch gerade für die Region hier interessant."

Neo Rauchs drei Glasfenster für die Elisabethkapelle sind ein delikates Stück Kultur an einem delikaten Ort. Ursprünglich waren dem Leipziger Maler sehr große Fensterflächen im Ostchor des Domes zur Verfügung gestellt worden. Doch er entschied sich für die kleine Elisabethkapelle, wählte freiwillig das kleinere Maß, um diesen in der ostdeutschen Regionalkultur immer noch überaus beliebten Ort nicht mit protzigen Gesten zu überlagern. So Rauchs Galerist Judy Lybke:

"Die meisten kennen das wahrscheinlich auch aus der Kinderzeit, so wie ich das auch kenne, das ist ja so ein Sehnsuchtspotenzial immer gewesen: Der Dom, hierherzureisen, und wenn man dann als Künstler wie Neo Rauch oder überhaupt als Künstler beauftragt wird, sich das anzusehen, und wenn ihr da nachher mal reingeht und guckt euch die großen, großen Fenster an, die ganz am Anfang eigentlich gewünscht waren, die sind halt 15 Meter hoch, so breit und direkt in diesem Schiff drin. Diese Möglichkeit habt ihr, euch zu verewigen auf dieser Riesenfläche, links wie rechts, und dann macht ihr nen Rundgang und guckt euch die Kapelle an, und dann in dieser Kapelle die Entscheidung zu treffen, es dann doch für diese Kapelle zu machen, in einem ganz kleinen, privaten, engen Raum eigentlich. Das ist schon mal der Beginn von etwas ganz Großem, glaub ich. Denn jeder andere, und da muss ich mich mit einbeziehen, hat gesagt, wieso machst du das, wieso gehst du von diesen großen Fenstern weg in so ne kleine Kapelle rein. Ich glaub, diese Entscheidung, das so zu machen, ist ne Grundentscheidung gewesen, die auch viel aussagt über vielleicht auch die Person von Neo Rauch."

Rauchs ahnungsvolle Entscheidung für das kleine Format hat Naumburg womöglich davor bewahrt, sich mit den Fenstern in eine Art Weihestätte neuer deutscher Kunst zu verwandeln. Denn für den Umgang mit dem mittelalterlichen Erbe und seiner neuzeitlichen Ausdeutung gibt es bislang zwischen schräger Nationaleuphorie und Ignoranz keine Form bei einem breiten Publikum. Die kleine, intime Elisabethkapelle, die erst im Frühling dieses Jahres überhaupt wieder für den Publikumsverkehr freigegeben wurde, liegt versteckt und wird von einer grandiosen Skulptur der Heiligen Elisabeth aus dem 14. Jahrhundert geschmückt, aus deren Vita Neo Rauch Szenen ausgewählt hat, die dem Missbrauch des kirchlichen Kulturschatzes, wie in der Nazizeit, entgegenstehen sollen. Sie thematisieren Mildtätigkeit, Krankenfürsorge und die Sinnlosigkeit des Krieges. So wird im ersten Fenster gezeigt, wie Elisabeth von ihrem Gatten Abschied nimmt, der sich den Kreuzzügen anschließt.

"Er trägt einen Stock oder hält einen Stock, der ihn eigentlich damit als Blinden oder Verblendeten ausweist. Nun würde man das im Original natürlich nicht für die Kreuzzugsteilnehmer so sagen, aber wie viele ziehen verblendet in den Krieg, und das ist eben genau die Dimension, die Neo Rauch fasziniert hat, eben genau das herauszuarbeiten, was aus der Biographie der Heiligen bis auf den heutigen tag von Allgemeinmenschlichem Anspruch ist."

So der Naumburger Stiftskustos Holger Kunde. Die Figuren der nur 170 mal 40 Zentimeter großen Fenster sind deutlich erkennbar, dadurch gewissermaßen wieder mittelalterlich in ihrem didaktischen Anspruch, leicht erkennbar für Leseunkundige zu sein, die heute aber trotz PISA-Misere in der Minderheit sein sollten. Da heute andererseits nicht jeder Besucher die Elisabethgeschichte parat haben wird, erklären Publikationen die Bedeutung der Figuren. Bemerkenswert und vieldeutig ist die tiefrote Farbe der Fenster, die Neo Rauch selbst gewählt hat. Sie erinnert an den Purpur von Heiligengewändern in der Ikonographie, aber auch an die Farbe der Totenlichter an Gräbern und verbreitet ein leichtes, jenseitiges Glühen im Raum. Gerade auf den unteren Teilen der Fenster wirkt die Farbe auch wie Blut.

Stiftkustos Holger Kunde verwahrt sich allerdings gegen Unterstellungen, man habe mit Neo Rauch einen figürlichen Künstler ausgewählt, um sich nicht erneut Debatten wie in Köln auszusetzen, wo der Domkardinal Meissner die abstrakten Glasmalereien des Malers Gerhard Richter als unangemessen kritisiert hatte:

"Die Äußerung von Kardinal Meissner hat mit dieser Entscheidung bei uns jedenfalls nicht das Geringste zu tun. Sondern es war zunächst einmal der Gedanke bei den Ostchorfenstern, wenn wir die wieder neu gemacht hätten, hätten wir ja auf bestimmte historische Vorgaben zurückgehen können, deswegen blieb uns zunächst einmal nur die Entscheidung für eine figürliche Darstellung."