"Justiz kommt völlig an ihre Grenzen"
Klaus Nieding, Rechtsanwalt und Präsident des Deutschen Anlegerschutzbundes, fordert angesichts der weltweiten Bankenkrise mehr Transparenz bei der deutschen Gesetzgebung. Die Chancen der Klage gegen die Telekom sieht er "verhalten" und setzt auf eine Sonderausschüttung an die Aktionäre im Rahmen eines Vergleichs.
Birgit Kolkmann: In Frankfurt sitzt Klaus Nieding. Er ist Rechtsanwalt. Seine Kanzlei ist eine der führenden in der Vertretung geschädigter Kapitalanleger. Sie vertritt auch mehrere Hundert der Kläger im Telekom-Verfahren. Und er ist Präsident des Deutschen Anlegerschutzbundes. Schönen guten Morgen, Klaus Nieding!
Klaus Nieding: Ich grüße Sie!
Kolkmann: Herr Nieding, wie groß sind die Chancen der Kläger, Recht zu bekommen?
Nieding: Wir sind da etwas verhalten, was die Chancen angeht, denn man muss doch sehen, vor welchen Schwierigkeiten dieses Verfahren steht. Die Kläger müssen schon verschiedene Dinge nachweisen und es wird zweifelhaft sein oder es wird zumindest sehr schwierig sein, ob man heute noch nachweisen kann, dass etwa VoiceStream völlig außer Kontrolle gekauft worden ist, dass die Immobilien in der Tat überbewertet waren. Letztlich stehen ja auch hohe Sachverständigengutachterkosten im Raume, die dann möglicherweise dazu führen können, dass die Kläger allesamt noch mal ordentlich drauflegen müssen.
Kolkmann: Kann sich das im Extremfall mehr als zehn Jahre lang hinziehen?
Nieding: Das kann sich durchaus sehr, sehr lange hinziehen, denn wir sprechen da ja nicht von drei oder vier Immobilien, sondern von einer Vielzahl von Immobilien. Da sind fünf- bis sechsstellige Zahlen im Raum. Wenn die alle ordnungsgemäß bewertet werden müssen - und sie müssen ja im Grunde genommen ex ante bewertet werden, das heißt mit ihrem Wert, den sie seinerzeit zum Börsengang der dritten Tranche gehabt haben -, dann zieht sich dies ausgesprochen lange hin.
Kolkmann: Die Telekom hatte sich ja mit Klägern in den USA verglichen und dort auch gezahlt (120 Millionen Dollar). Warum sträubt sich der Konzern hier so gegen einen Vergleich?
Nieding: Zum einen muss man natürlich die Besonderheiten und die Unterschiede des amerikanischen Rechtssystems gegenüber unserem deutschen Rechtssystem sehen. Es ist natürlich einfacher und leichter und wirtschaftlicher auch für die Telekom, obwohl sie möglicherweise nicht einsieht, Fehler gemacht zu haben, sich in den USA zu vergleichen, um eben dort eine dauerhafte Blockade und weitaus höhere Kosten rein wirtschaftlich zu vermeiden, als dies in Deutschland der Fall ist. In der Tat muss man hier auch die Frage stellen: Wäre es fair, sich mit denen zu vergleichen die geklagt haben, denn letztlich hätten ja alle Aktionäre, die bei diesen Börsengängen gezeichnet haben, die gleichen Schäden gehabt. Ich rege daher an, dass die Telekom über eine Sonderausschüttung an ihre Aktionäre nachdenkt, um dies im Rahmen dieses Vergleiches dann einzuführen und die Angelegenheit so zu erledigen.
Kolkmann: Und damit wären dann alle mehr oder weniger befriedigt?
Nieding: In der Tat, ja!
Kolkmann: Wie können denn Anleger künftig vor solchen Risiken geschützt werden?
Nieding: Die Problematiken, die wir im deutschen Anlegerrecht haben, sind ja vielschichtiger Natur. Trotz des seinerzeitigen, ich sage mal, großmundig angekündigten Zehn-Punkte-Programms Anlegerschutz der ehemaligen Bundesregierung Schröder sind von diesen zehn Punkten ja nur einige wenige tatsächlich umgesetzt worden. Was uns zum Beispiel fehlt, ist ein Kapitalmarktinformationshaftungsgesetz, also ein Gesetz, wonach Vorstände direkt gegenüber Aktionären, gegenüber Anlegern, gegenüber Dritten für falsche Meldungen haften.
Das haben wir nach wie vor nicht. Wir müssen Erleichterungen bei der Beweislastregelung bekommen. Es kann nicht sein, dass der Anleger immer nachweisen muss, dass das Unternehmen schon wusste zum Zeitpunkt der Prospekterstellung, dass die Angaben dort falsch sind. Diesen Beweis kann man de facto nur unter äußerst schwierigen Umständen führen. Und wir brauchen vor allen Dingen auch eine Erstreckung der Verjährungsregeln. Die kurze Verjährungsregel von einem Jahr ab Kenntnis beziehungsweise drei Jahren ab Zeichnung ist in diesem Zusammenhang eindeutig zu kurz.
Kolkmann: Also braucht es insgesamt mehr Transparenz für die Anleger, aber auch für die größeren Anleger, für die Fonds-Manager, denn die internationale Finanzkrise hat ja die Aktienmärkte gewaltig ins Trudeln gebracht. Müsste der Staat entschiedener intervenieren, die Banken mehr kontrollieren, also da auch mehr Transparenz hinein bringen?
Nieding: Der Staat muss vor allen Dingen mehr Transparenz hinein bringen in Sachen Rechtsprechung und Gesetzgebung. Da haben Sie vollkommen Recht. Wir brauchen eben weitere Gesetze, die in diese Richtung führen. Wir brauchen ganz eindeutig eine Vertrauensoffensive am Kapitalmarkt und wir brauchen vor allen Dingen ein Kapitalanlegermusterverfahrensgesetz, was seinen Namen verdient, denn der Telekom-Prozess zeigt ja wie kein anderer Prozess auch, dass die Justiz völlig an ihre Grenzen kommt.
Kolkmann: Die führenden Banken des Internationalen Bankenverbandes wollen ja ganz offenbar auch das angekratzte Image versuchen zu retten und mehr Vertrauen, wie Sie eben schon ansprachen, wieder herstellen. Sie wollen übermorgen einen Kodex vorstellen. Das macht der Deutsche-Bank-Chef Ackermann als Verbandspräsident des Internationalen Bankenverbandes. Ist das ein Versuch, einer möglichen staatlichen Intervention, wie es ja die EU eigentlich auch möchte, zuvorzukommen?
Nieding: Absolut! Ich habe mich zu dem Thema auch schon entsprechend geäußert. Natürlich versucht man hier wieder, möglichen staatlichen Dingen den Wind aus den Segeln zu nehmen, "um das Schlimmste für die Branche zu vermeiden". Aber letztlich: So sehr man solche Schritte auch im Einzelnen begrüßen kann, wird abzustellen sein darauf, wie verbindlich ist denn ein solcher Kodex? Schauen Sie sich nur den Corporate Governance Kodex an, den wir seit einigen Jahren haben. Da gibt es Sollvorschriften, da gibt es Solltevorschriften, da gibt es Ausnahmen, da gibt es Erklärungen und so weiter. Solange diese ganzen Dinge nicht justiziabel sind, solange der Anleger kein richtiges Schwert in die Hand bekommt, solange habe ich auf der anderen Seite nicht das nötige Vertrauen was ich brauche.
Kolkmann: Nun hat es ja immer so einen negativen Beigeschmack, wenn man von einer staatlichen Intervention spricht. Die Notenbankchefs und Finanzminister der EU haben am Freitag in Slowenien beschlossen, sogenannte Stabilitätsgruppen zu bilden, also öffentliche Expertengremien, die den Banken zur Seite gestellt werden sollen. Das ist eigentlich ein gutes Beispiel aus Schweden; das hat dort Anfang der 90er Jahre das Finanzsystem gerettet. Sollte man es eins zu eins übernehmen?
Nieding: Ob man es jetzt eins zu eins übernimmt, muss man sich im Einzelfall ansehen. Aber es ist ein Schritt in die richtige Richtung. Ich bekomme so eben durch zusätzliche Beratung auch nochmals Sicherheit in diesem Bereich. Die Anleger können auf ein weiteres Gremium vertrauen und sie sehen vor allen Dingen, dass sich etwas bewegt, dass etwas getan wird, dass dieser momentanen Krise nicht einfach tatenlos zugeschaut wird und sie ausgesessen wird. Das halte ich generell für einen positiven Aspekt.
Kolkmann: Vielen Dank! - Klaus Nieding, Rechtsanwalt in Frankfurt und Präsident des Deutschen Anlegerschutzbundes, zum Telekom-Mammutverfahren und zum Schutz für die Anleger beim Handel im Kapitalmarkt.
Klaus Nieding: Ich grüße Sie!
Kolkmann: Herr Nieding, wie groß sind die Chancen der Kläger, Recht zu bekommen?
Nieding: Wir sind da etwas verhalten, was die Chancen angeht, denn man muss doch sehen, vor welchen Schwierigkeiten dieses Verfahren steht. Die Kläger müssen schon verschiedene Dinge nachweisen und es wird zweifelhaft sein oder es wird zumindest sehr schwierig sein, ob man heute noch nachweisen kann, dass etwa VoiceStream völlig außer Kontrolle gekauft worden ist, dass die Immobilien in der Tat überbewertet waren. Letztlich stehen ja auch hohe Sachverständigengutachterkosten im Raume, die dann möglicherweise dazu führen können, dass die Kläger allesamt noch mal ordentlich drauflegen müssen.
Kolkmann: Kann sich das im Extremfall mehr als zehn Jahre lang hinziehen?
Nieding: Das kann sich durchaus sehr, sehr lange hinziehen, denn wir sprechen da ja nicht von drei oder vier Immobilien, sondern von einer Vielzahl von Immobilien. Da sind fünf- bis sechsstellige Zahlen im Raum. Wenn die alle ordnungsgemäß bewertet werden müssen - und sie müssen ja im Grunde genommen ex ante bewertet werden, das heißt mit ihrem Wert, den sie seinerzeit zum Börsengang der dritten Tranche gehabt haben -, dann zieht sich dies ausgesprochen lange hin.
Kolkmann: Die Telekom hatte sich ja mit Klägern in den USA verglichen und dort auch gezahlt (120 Millionen Dollar). Warum sträubt sich der Konzern hier so gegen einen Vergleich?
Nieding: Zum einen muss man natürlich die Besonderheiten und die Unterschiede des amerikanischen Rechtssystems gegenüber unserem deutschen Rechtssystem sehen. Es ist natürlich einfacher und leichter und wirtschaftlicher auch für die Telekom, obwohl sie möglicherweise nicht einsieht, Fehler gemacht zu haben, sich in den USA zu vergleichen, um eben dort eine dauerhafte Blockade und weitaus höhere Kosten rein wirtschaftlich zu vermeiden, als dies in Deutschland der Fall ist. In der Tat muss man hier auch die Frage stellen: Wäre es fair, sich mit denen zu vergleichen die geklagt haben, denn letztlich hätten ja alle Aktionäre, die bei diesen Börsengängen gezeichnet haben, die gleichen Schäden gehabt. Ich rege daher an, dass die Telekom über eine Sonderausschüttung an ihre Aktionäre nachdenkt, um dies im Rahmen dieses Vergleiches dann einzuführen und die Angelegenheit so zu erledigen.
Kolkmann: Und damit wären dann alle mehr oder weniger befriedigt?
Nieding: In der Tat, ja!
Kolkmann: Wie können denn Anleger künftig vor solchen Risiken geschützt werden?
Nieding: Die Problematiken, die wir im deutschen Anlegerrecht haben, sind ja vielschichtiger Natur. Trotz des seinerzeitigen, ich sage mal, großmundig angekündigten Zehn-Punkte-Programms Anlegerschutz der ehemaligen Bundesregierung Schröder sind von diesen zehn Punkten ja nur einige wenige tatsächlich umgesetzt worden. Was uns zum Beispiel fehlt, ist ein Kapitalmarktinformationshaftungsgesetz, also ein Gesetz, wonach Vorstände direkt gegenüber Aktionären, gegenüber Anlegern, gegenüber Dritten für falsche Meldungen haften.
Das haben wir nach wie vor nicht. Wir müssen Erleichterungen bei der Beweislastregelung bekommen. Es kann nicht sein, dass der Anleger immer nachweisen muss, dass das Unternehmen schon wusste zum Zeitpunkt der Prospekterstellung, dass die Angaben dort falsch sind. Diesen Beweis kann man de facto nur unter äußerst schwierigen Umständen führen. Und wir brauchen vor allen Dingen auch eine Erstreckung der Verjährungsregeln. Die kurze Verjährungsregel von einem Jahr ab Kenntnis beziehungsweise drei Jahren ab Zeichnung ist in diesem Zusammenhang eindeutig zu kurz.
Kolkmann: Also braucht es insgesamt mehr Transparenz für die Anleger, aber auch für die größeren Anleger, für die Fonds-Manager, denn die internationale Finanzkrise hat ja die Aktienmärkte gewaltig ins Trudeln gebracht. Müsste der Staat entschiedener intervenieren, die Banken mehr kontrollieren, also da auch mehr Transparenz hinein bringen?
Nieding: Der Staat muss vor allen Dingen mehr Transparenz hinein bringen in Sachen Rechtsprechung und Gesetzgebung. Da haben Sie vollkommen Recht. Wir brauchen eben weitere Gesetze, die in diese Richtung führen. Wir brauchen ganz eindeutig eine Vertrauensoffensive am Kapitalmarkt und wir brauchen vor allen Dingen ein Kapitalanlegermusterverfahrensgesetz, was seinen Namen verdient, denn der Telekom-Prozess zeigt ja wie kein anderer Prozess auch, dass die Justiz völlig an ihre Grenzen kommt.
Kolkmann: Die führenden Banken des Internationalen Bankenverbandes wollen ja ganz offenbar auch das angekratzte Image versuchen zu retten und mehr Vertrauen, wie Sie eben schon ansprachen, wieder herstellen. Sie wollen übermorgen einen Kodex vorstellen. Das macht der Deutsche-Bank-Chef Ackermann als Verbandspräsident des Internationalen Bankenverbandes. Ist das ein Versuch, einer möglichen staatlichen Intervention, wie es ja die EU eigentlich auch möchte, zuvorzukommen?
Nieding: Absolut! Ich habe mich zu dem Thema auch schon entsprechend geäußert. Natürlich versucht man hier wieder, möglichen staatlichen Dingen den Wind aus den Segeln zu nehmen, "um das Schlimmste für die Branche zu vermeiden". Aber letztlich: So sehr man solche Schritte auch im Einzelnen begrüßen kann, wird abzustellen sein darauf, wie verbindlich ist denn ein solcher Kodex? Schauen Sie sich nur den Corporate Governance Kodex an, den wir seit einigen Jahren haben. Da gibt es Sollvorschriften, da gibt es Solltevorschriften, da gibt es Ausnahmen, da gibt es Erklärungen und so weiter. Solange diese ganzen Dinge nicht justiziabel sind, solange der Anleger kein richtiges Schwert in die Hand bekommt, solange habe ich auf der anderen Seite nicht das nötige Vertrauen was ich brauche.
Kolkmann: Nun hat es ja immer so einen negativen Beigeschmack, wenn man von einer staatlichen Intervention spricht. Die Notenbankchefs und Finanzminister der EU haben am Freitag in Slowenien beschlossen, sogenannte Stabilitätsgruppen zu bilden, also öffentliche Expertengremien, die den Banken zur Seite gestellt werden sollen. Das ist eigentlich ein gutes Beispiel aus Schweden; das hat dort Anfang der 90er Jahre das Finanzsystem gerettet. Sollte man es eins zu eins übernehmen?
Nieding: Ob man es jetzt eins zu eins übernimmt, muss man sich im Einzelfall ansehen. Aber es ist ein Schritt in die richtige Richtung. Ich bekomme so eben durch zusätzliche Beratung auch nochmals Sicherheit in diesem Bereich. Die Anleger können auf ein weiteres Gremium vertrauen und sie sehen vor allen Dingen, dass sich etwas bewegt, dass etwas getan wird, dass dieser momentanen Krise nicht einfach tatenlos zugeschaut wird und sie ausgesessen wird. Das halte ich generell für einen positiven Aspekt.
Kolkmann: Vielen Dank! - Klaus Nieding, Rechtsanwalt in Frankfurt und Präsident des Deutschen Anlegerschutzbundes, zum Telekom-Mammutverfahren und zum Schutz für die Anleger beim Handel im Kapitalmarkt.