Justitias Mühlen – Effizienzprobleme in der Rechtspflege

Von Jan Mönikes · 10.12.2010
Wieder einmal ist es passiert: Ein polizeibekannter Straftäter entzieht sich den gerichtlichen Anordnungen und Kontrollen und tötet innerhalb weniger Stunden Unschuldige. Konnte das nur geschehen, weil die Justizbehörden versagten? So jedenfalls sieht es der Bürgermeister von Bodenfelde, der scharfe Kritik an der zuständigen Staatsanwaltschaft übt. Und die Justiz wäre gut beraten, diese Vorwürfe in größtmöglicher Transparenz und der gebotenen Selbstkritik aufzuklären.
Alles, was man zu dem Geschehen in Bodenfelde lesen kann, deutet jedoch darauf hin, dass in diesem Unglück – wenn überhaupt – weniger ein individuelles Versagen von Staatsanwaltschaft oder Gericht die zentrale Rolle spielt, sondern vielmehr ein grundsätzliches. Das macht den sinnlosen Tod dieser jungen Menschen nicht weniger unerträglich, weist aber dennoch darauf hin, woran es bei uns inzwischen sehr deutlich mangelt:

Justiz hat in Deutschland keine Lobby!

Insbesondere diejenigen Bürger, die in ihrem Arbeitsumfeld effizientes und modernes Arbeiten gewöhnt sind, für die Zeit, Qualität und Kundenorientierung zentrale Maßstäbe sind, reagieren ungläubig bis verstört, wenn sie erstmals mit den Zuständen in vielen Amtsstuben der Justizbehörden Bekanntschaft machen.

Das fängt bei maroden Gebäuden und Mobiliar an und hört nicht erst bei der unzureichenden technischen Ausstattung auf. Natürlich ist der Vollzug von Gesetzen zwangsläufig weniger dynamisch als andere Dienstleistungen. Das rechtfertigt jedoch nicht, warum es beim praktischen Prozess der Rechtserkenntnis oder ihrem Vollzug bisweilen extrem hakt.

Ein Beispiel: Der Anwalt möchte für das Opfer einer schweren Straftat die Ermittlungsakte einsehen und fordert diese schriftlich zur Einsicht bei der Staatsanwaltschaft an. Ein eigentlich ganz normaler Vorgang. Auf entsprechende Schreiben reagiert die Behörde aber auch nach Wochen nicht und jeglicher Versuch einer telefonischen Nachfrage läuft ins Leere. Unter der Nummer des Leiters, die auf der offiziellen Homepage der Staatsanwaltschaft steht, erfährt man schließlich den Grund in Form einer freundlichen Bandansage: "Kein Anschluss unter dieser Nummer". Da wundert es dann nicht mehr, wenn der Täter – wenn überhaupt – erst nach Jahren mit seiner Bestrafung zu rechnen hat und das Opfer sein Vertrauen in die Justiz und unseren Rechtsstaat verliert.

Ich behaupte: Kein Unternehmen, aber auch keine andere Behörde in Deutschland könnte sich einen solchen Umgang mit seiner Kundschaft heute noch leisten. Die abschreckende Wirkung unseres Rechts, aber auch der präventive Schutz der Bevölkerung vor potenziell gefährlichen Rückfalltätern geht durch inneffiziente, überlange Verfahren und eine unentschiedene Justiz verloren.

Dass es auch anders geht, belegt das "Neuköllner Modell": Bei intensiver Zusammenarbeit aller Beteiligten kann ein solches Verfahren auch komplett in einem halben Jahr erledigt werden. Nimmt man dieses als Maßstab, dann wäre der Beschuldigte in Bodenfelde bereits vor dem Zeitpunkt des Mordes wieder in Verwahrung gewesen, weil er seine Bewährungsauflagen verletzt hatte.

Der Ruf nach immer härteren Gesetzen hilft nicht, das Problem liegt vielmehr im Vollzug des Rechts. Und das hat mindestens zwei Aspekte:

Da ist einerseits ein Führungsproblem. Obwohl Juristen in der Justiz nur eine Minderheit aller Beschäftigten ausmachen, sind sie fast immer auch die Leiter der Verwaltung. Bei kaum einem Juristen war die Studien- und Berufswahl jedoch dadurch motiviert, irgendwann einmal unter Gesichtspunkten wie Effizienz, Qualität und Kundenorientierung eine Behörde zu leiten.

Der andere Aspekt ist grundlegender: Staatsanwalt und Bürger begegnen sich nicht in einem gleichrangigen Verhältnis. Die Umstände, unter denen der Staatsanwalt arbeitet, sind demjenigen, der unbescholten aus dem Verfahren herauskommt, anschließend herzlich egal. Und derjenige, der unter den Defiziten leiden muss, übt oft nur leise Kritik, weil er die Beteiligten nicht zusätzlich gegen sich aufbringen will.

Damit aber fehlt die Lobby der Bürger, die auf Justiz und Politik Druck machen könnte, im Justizapparat mindestens im selben Maße für Effizienz zu sorgen, wie dies in anderen Verwaltungsbereichen bereits gelungen ist. Ohne diesen Druck aber wird sich kaum etwas grundlegend ändern. Weder an den Verfahren der Personalauswahl, noch an der Amtsausstattung oder den Abläufen. Und schon bald werden wir daher leider wieder über Opfer zu klagen haben. Opfer, bei denen man aus den gleichen Gründen wie in Bodenfelde die Justiz dafür verantwortlich machen wird, ein Mitverschulden an deren Tod zu haben.

Jan Mönikes, geboren 1970 in Oldenburg i. O., ist Rechtsanwalt und Justitiar des Bundesverbandes deutscher Pressesprecher (BdP) und des europäischen Pressesprecherverbandes EACD. Als Partner einer Berliner Kanzlei berät er mit Tätigkeitsschwerpunkt Internet- und Presserecht bekannte Unternehmen, Pressesprecher und Einzelpersonen auch bei Berichten über Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft.
Jan Mönikes
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