Juristinnenbund kritisiert "Kuckuckskinder"-Urteil

Angelika Nake im Gespräch mit Jan-Christoph Kitzler |
Nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs sind Frauen verpflichtet, den leiblichen Vater ihrer Kinder preiszugeben. Dies könne die Persönlichkeitsrechte der Mutter beschränken, "wenn beispielsweise ein Kind aus einer Vergewaltigung stammt", meint Angelika Nake vom Deutschen Juristinnenbund.
Jan-Christoph Kitzler: Der Scheinvater hat Anspruch gegen die Mutter, über die Person, die ihr in der gesetzlichen Empfängniszeit beigewohnt hat, Auskunft zu erfahren. So einen schönen Satz hat gestern die Pressestelle des Karlsruher Bundesgerichtshofs veröffentlicht. Und damit gemeint ist: Der Vater eines sogenannten Kuckuckskindes, also der angebliche Vater, hat ein Recht zu erfahren, wer der leibliche Vater ist, denn von dem kann er sich dann im Zweifelsfall den gezahlten Unterhalt für das Kind, das eben nicht seines ist, zurückholen. Und das könnte jetzt ein Problem werden für alle Beteiligten. - Darüber spreche ich mit der Rechtsanwältin Angelika Nake. Sie leitet eine Kommission des Deutschen Juristinnenbundes, die sich unter anderem mit dem Familienrecht beschäftigt. Schönen guten Morgen!

Angelika Nake: Ja, guten Morgen.

Kitzler: Frau Nake, wie stellen sich das die Richter eigentlich vor? Wie will man eine Frau dazu zwingen, preiszugeben, mit wem sie geschlafen hat? Muss sie jetzt in Beugehaft?

Nake: Das ist eine Frage der Vollstreckung. Erst mal sagt der BGH natürlich nichts darüber aus, wie die Sache vollstreckt wird. Aber ich kann eine Auskunft, also das reine Wissen von jemandem, ja nicht per Gerichtsvollzieher vollstrecken. Dafür gibt es dann im Familienrecht das sogenannte Ordnungsverfahren. Das heißt, man kann Ordnungsgeld gegen die Frau festsetzen, dass sie einen bestimmten Betrag bezahlen muss.

In diesem Fall - also es gibt ja noch nicht das Urteil, sondern es gibt erst mal die Pressemitteilung -, ich habe das Vorurteil gelesen und daraus ergibt sich, dass die Mutter Hartz IV-Empfängerin ist. Das heißt, das reine Ordnungsgeld führt natürlich nicht dazu, dass sie was preisgeben würde. Und dann ist der nächste Schritt Ordnungshaft, das was man früher so Erzwingungshaft nannte.

Kitzler: Ich habe Beugehaft gesagt. - So könnte man das möglicherweise machen, aber das ist natürlich kein schönes Szenario. - Ist das jetzt ein Einzelfall, ein ganz besonderer, oder hat das durchaus auch Auswirkungen auf weitere Fälle?

Nake: Sagen wir mal so: Das ist nicht unbedingt eine Einzelfallentscheidung. Den Scheinvater-Regress gibt es schon lange. Wenn jemand für ein Kind Unterhalt gezahlt hat und später stellt sich dann heraus, dass der Vater nicht der tatsächliche Vater ist und jemand anderer der leibliche Vater ist, dann gab es schon immer den Regress, also die Möglichkeit, den Unterhalt, den er bezahlt hat, von dem tatsächlichen Vater zurückzubekommen. Das was dieses Urteil anders macht, ist die Durchbrechung der Rechtsausübungssperre. Die Rechtsausübungssperre hieß früher immer, man kann in dem Verfahren nicht inzidenter feststellen, ob jemand anderer der Vater ist.

Kitzler: Das müssen Sie noch mal auf Deutsch sagen.

Nake: Wenn ich eine Vaterschaftsanerkennungsurkunde habe, dann konnte ich auch schon immer früher meinen Unterhaltstitel gegen den Vater, der dann offiziell anerkannt war, entweder mit einem Urteil, oder mit einer Jugendamtsurkunde, dann konnte ich schon immer den Unterhalt feststellen. Hier geht es aber nicht darum, dass die Mutter Auskunft darüber gibt, wer ist denn tatsächlich als Vater festgestellt worden, sondern darum, dass ein Vater wohl nicht festgestellt wurde und sie dann Auskunft über ihr Sexualleben geben muss. Das ist noch mal ein ganz anderer Schritt.

Kitzler: Also ein Schritt auch, der weitere Folgen haben könnte für andere Fälle.

Nake: Ja.

Kitzler: Vier Personen gibt es ja in dieser Konstellation: das Kind, die Mutter, den Erzeuger und den Partner oder Scheinvater. Kann man bei dieser Konstellation eigentlich ein Verfahren sich vorstellen, in dem es einen vernünftigen Ausgleich gibt, in dem keiner auf der Strecke bleibt?

Nake: Es wird ja immer nach den grundrechtswirksamen Entscheidungen gefragt. Das ergibt sich auch aus dem Urteil des BGHs. Das Persönlichkeitsrecht der Mutter und das Persönlichkeitsrecht des Kindes muss in dieser Entscheidung abgewogen werden. Das hat der BGH auch gemacht. Beispielsweise in der Vorentscheidung, die der Entscheidung des BGHs hier vorgeht, ist es wohl so, dass der tatsächliche Vater Unterhalt bezahlt. Ob er festgestellt wurde rechtskräftig, weiß man wohl nicht, ergibt sich jedenfalls nicht so eindeutig aus dem Urteil, aber er zahlt Unterhalt, sodass man sagen kann, sie weiß wohl, wer der Vater ist. Jedenfalls fühlt sich der andere Vater offensichtlich als Vater.

Kitzler: Noch ganz kurz zum Schluss. Man schätzt, dass in Deutschland jedes Jahr 25.- bis 40.000 Kuckuckskinder geboren werden. Was treibt eigentlich die Frauen dazu, die Vaterschaft zu verschweigen?

Nake: Da gibt es die unterschiedlichsten Gründe. Es gibt natürlich Gründe wie, hier in diesem Verfahren hat die Mutter in der Vorinstanz gesagt, ihr sei - - Es gibt eine Reihe von Vorverfahren zwischen den Parteien, Umgang und alles mögliche war da streitig, es gab ein Gutachten, und die Mutter hat jetzt gesagt, mir ist das einfach zu blöd und ich mache jetzt hier gar nichts mehr. Es gibt aber natürlich auch berechtigte Interessen. Wenn beispielsweise ein Kind aus einer Vergewaltigung stammt, dann muss man ganz genau angucken, ob das nicht sowohl das Persönlichkeitsrecht der Mutter, wie auch das Persönlichkeitsrecht des Kindes massiv betrifft, da Auskunft zu verlangen.

Kitzler: Ein Urteil also, das Folgen haben wird. - Das war Rechtsanwältin Angelika Nake vom Deutschen Juristinnenbund. Haben Sie vielen Dank und einen schönen Tag.

Nake: Vielen Dank.


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