Juristinnenbund: "Im Sinne des Kindes"

Moderation: Frank Meyer |
Die Vorsitzende des Juristinnenbundes, Jutta Wagner, ist "erleichtert" über die <papaya:addon addon="d53447f5fcd08d70e2f9158d31e5db71" article="201996" text="Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts" alternative_text="Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts" /> (BVerfG) gegen einen erzwungen Kontakt, wenn ein Vater sein Kind nicht sehen will. Das Gericht habe "im Sinne dieses Kindes und potenziell betroffener anderer Kinder entschieden", betonte Wager mit Blick auf die Verfassungsklage eines Vaters aus Brandenburg.
Frank Meyer: Dieser Rechtsfall ist ungewöhnlich. Das Oberlandesgericht Brandenburg hatte angeordnet, dass ein Vater seinen unehelichen Sohn alle drei Monate sehen muss, gegen den Willen des Vaters. Ihm wurde ein Zwangsgeld von 25.000 Euro angedroht. Der Vater wiederum meinte, er will diesen unehelichen Sohn nicht sehen, weil er sonst seine Ehe gefährden würde, in der auch zwei kleine Kinder leben. Dieser Fall wurde heute vom Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts entschieden im Sinne des Vaters. Das Gericht sagt: Die zwangsweise Durchsetzung des Umgangs hat zu unterbleiben, wenn dieser Zwang nicht dem Kindeswohl dient.

Jutta Wagner, die Präsidentin des Juristinnenbundes, ist jetzt für uns am Telefon. Jutta Wagner, wie bewerten Sie diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts?

Jutta Wagner: Ich bin sehr erleichtert über diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Ich meine auch, dass das Bundesverfassungsgericht in erster Linie hier im Sinne dieses Kindes und potenziell betroffener anderer Kinder entschieden hat, und glaube, dass es einen großen Druck von Kindern in dieser Situation wegnimmt, wenn niemand gezwungen wird, mit ihnen Umgang zu haben.

Meyer: Die Grundlage für diese Entscheidung und für solche Fälle ist allerdings ein Gesetz aus dem Jahr 1998, und in diesem Gesetz steht, Kinder haben ein Recht auf Umgang mit den leiblichen Eltern und Zwangsmittel zur Durchsetzung dieses Rechtes, die sind zulässig. Jetzt steht ja die Entscheidung heute in einem gewissen Widerspruch zu diesem Gesetz. Was muss da passieren, muss das Gesetz geändert werden?

Wagner: Nein, ich denke nicht, dass das Gesetz geändert werden muss. Die Entscheidung steht auch nicht richtig im Widerspruch zum Gesetz, denn die Entscheidung lässt ausdrücklich offen, dass in ganz besonderen Einzelfällen doch auch einmal ein Elternteil mit Hilfe eines Zwangsgeldes gezwungen werden kann, sein Kind zu sehen, aber das Gericht stellt eben bestimmte Regeln auf, nach denen diese Vorschrift auszulegen ist, und sagt: In der Regel dient es nicht dem Wohl des Kindes, wenn der umgangsunwillige Elternteil zum Umgang mit so einer Art von Geldstrafen gezwungen wird, sondern nur im Ausnahmefall, und das ist sorgfältig zu prüfen. Also das Gesetz muss nicht geändert werden. Die Richter wissen nur jetzt, was das Bundesverfassungsgericht über die Art der Auslegung dieses Gesetzes denkt.

Meyer: Und was für Fälle sind denkbar, in denen dann Eltern dennoch gezwungen werden, mit solchen Zwangsmaßnahmen ihre Kinder zu sehen?

Wagner: Ja, das können ja nur ganz ausnahmsweise mal Extremfälle sein. Es wird viel in der rechtspolitischen Diskussion darüber spekuliert, in was für Fällen so etwas mal denkbar wäre. Da wird als Beispiel immer das krebskranke Kind genannt, das vielleicht demnächst sterben wird und nicht sterben soll, ohne vielleicht ein einziges Mal seinen Vater gesehen zu haben. Oder das Kind, das einen schweren Unfall erlitten hat und bei dem eben vorher gar nicht der Versuch unternommen worden ist, den unbekannten Elternteil in irgendeinen Umgang zu bekommen. Und solche oder ähnliche Extremfälle sind vielleicht wirklich mal denkbar, in denen die Abwägung zugunsten des Umganges stattfindet, obwohl man eben grundsätzlich sagt, ein erzwungener Umgang ist eine Zumutung auch für das Kind.

Meyer: Wie häufig sind eigentlich solche Fälle? Das, was da heute entschieden wurde in Karlsruhe, ist das nicht eine große Ausnahme überhaupt in der Rechtslandschaft?

Wagner: Solche Fälle sind außerordentlich selten. Also ich habe es in meiner Praxis bis jetzt ein einziges Mal erlebt, dass überhaupt so ein Antrag von einer Mutter gestellt worden ist, den Vater zum Umgang zu verpflichten. Und man sieht ja auch, wie selten die Fälle sind, daran, dass dieses jetzt der erste und überhaupt einzige öffentlich bekannt gewordene Fall ist, der gewissermaßen als Pilotverfahren zum Bundesverfassungsgericht gelangt ist.

Meyer: Dieser Fall wurde ja jetzt auch zurückverwiesen ans Oberlandesgericht Brandenburg. Dort muss noch einmal geprüft werden, ob denn dieser Zwang gegenüber dem Vater tatsächlich dem Kindeswohl dient oder nicht dient. Was denken Sie denn, könnte das so ausgehen, dass am Ende dieser Vater doch noch gezwungen wird, seinen achtjährigen Sohn zu sehen?

Wagner: Also ich fürchte, bei dieser ganz besonderen Konstellation wird das wohl eher nicht der Fall sein. Es ist so, wenn ich das richtig lese, was bis jetzt in der Kürze veröffentlicht worden ist über dieses Urteil, dass das Kind am Verfahren bisher nicht beteiligt war. Am Verfahren bisher beteiligt waren die Mutter und der Vater, und das Bundesverfassungsgericht hat dringend angeregt, jetzt bei der Wiederholung des Instanzenweges, dem Kind einen sogenannten Anwalt des Kindes, also einen Verfahrenspfleger beizuordnen, damit das Kind überhaupt mal eine eigene Stimme in dem Verfahren bekommt. Und es muss ja auch berücksichtigt werden, dass das Kind den Vater bis heute überhaupt noch nie gesehen hat. Ich habe große Zweifel, ob hier wirklich das Kind und die Interessen des Kindes und das mutmaßliche Wohl des Kindes der treibende Faktor in diesem Verfahren gewesen sind.

Meyer: Wie stehen wir eigentlich da mit dieser jetzt beschlossenen Regelung in Deutschland im europäischen Vergleich? Wie ist das in anderen europäischen Ländern, gibt es dort diese Gesetze, die einen Zwang vorsehen Eltern gegenüber, dass sie ihre Kinder sehen müssen?

Wagner: Also mir ist ein vergleichbares Gesetz im europäischen Umfeld nicht bekannt. Wir gehen in Deutschland ohnehin mit der Umgangsregelung und den Umgangsrechten und -pflichten der verschiedenen beteiligten Erwachsenen, also auch der Großeltern oder anderer naher Bezugspersonen, wirklich relativ weit in der Regelung. Wir regeln relativ viel verglichen mit anderen Ländern. Und dass ein sanktionierter, also eine strafbewährte Pflicht zum Umgang mit dem Kind besteht, das ist mir aus keiner anderen Rechtsordnung bekannt.

Meyer: Und diese Entscheidung – wir haben schon darüber gesprochen, wie selten diese Fälle eigentlich sind –, hat denn diese heutige Entscheidung auch eine Ausstrahlung auf andere Gesetze, auf andere Gesetzesauslegungen, oder ist die allein beschränkt auf diese seltenen Vorkommnisse?

Wagner: Ja, das Bundesverfassungsgericht hat ja wohl deutlich einige Worte zu den Rechten der Kinder gesagt und noch einmal betont, dass sich aus Artikel 6 des Grundgesetzes eben nicht nur Rechte der Erwachsenen, sondern auch Rechte der Kinder ergeben, also nicht nur Rechte der Eltern, sondern auch Rechte der Kinder, und dass eben diese Umgangsregelungsvorschrift aus dem BGB auch ausdrücklich Rechte der Kinder regelt. Es wird gemutmaßt, die Richter könnten vielleicht ein bisschen zum Ausdruck gebracht haben, dass sie nichts gegen die ausdrückliche zusätzliche Festschreibung von Kinderrechten im Grundgesetz einzuwenden hätten. Das ist ein Bestreben, das von vielen Familienrechtlern und mit Kinderschutz und Kinderrechten befassten Menschen vertreten wird.

Meyer: Eltern sollen nicht zum Umgang mit ihren Kindern gezwungen werden. Das ist nur zulässig, wenn es nachweislich dem Kindeswohl dient. Das hat das Bundesverfassungsgericht heute entschieden. Und über diese Entscheidung habe ich mit Jutta Wagner gesprochen. Sie ist die Vorsitzende des Juristinnenbundes. Herzlichen Dank für das Gespräch!

Wagner: Ja, gerne!