Jurist macht Marco Hoffnung
Hans-Heiner Kühne, Berater des türkischen Außenministeriums in Menschenrechtsfragen, rechnet mit einer schnellen Lösung im Fall des in der Türkei inhaftierten 17-jährigen Deutschen Marco. Daran seien türkische Regierung wie Justiz interessiert, sagte der Rechtswissenschaftler von der Universität Trier. Er warnte davor, von deutscher Seite zu dominant aufzutreten.
Jörg Degenhardt: 30 Gefangene in einer Zelle, für alle gibt es nur eine Toilette und eine Dusche. In so einem Gefängnis in der Türkei sitzt zurzeit ein 17 Jahre alter deutscher Schüler und das schon seit zehn Wochen. Der Grund: Marco, so heißt der junge Mann, soll eine 13-jährige Britin sexuell bedrängt haben. Das behauptet deren Mutter und zeigte ihn an. Marco spricht von einem Urlaubsflirt, außerdem habe sich die Britin als 15-Jährige ausgegeben. Sein Fall beschäftigt nun auch die Politik. Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier will heute den türkischen Außenminister treffen.
Professor Hans-Heiner Kühne ist Rechtswissenschaftler an der Universität Trier und Berater in Menschrechtsfragen für das türkische Außenministerium. Warum reagieren die Behörden so hart auf eine vermeintliche Tat, die in Deutschland wohl nicht strafbar gewesen wäre.
Hans-Heiner Kühne: Das können Sie so nicht sagen. Wenn ich die Zeitungsmeldungen, die ich kenne, richtig verstanden habe, geht es hier um den Vorwurf der Unzucht mit Minderjährigen, also des Beischlafs mit Kindern sogar. Und das ist natürlich bei uns auch eine Straftat und eine ganz erhebliche Straftat sogar. Wir sind in Deutschland allerdings, was die Zwangsmaßnahmen, insbesondere die Untersuchungshaft angeht, nicht ganz so streng wie andere Länder. Aber wenn dasselbe etwa in Griechenland, in Spanien oder in Frankreich geschehen wäre, dann wären die Reaktionen genauso gewesen.
Degenhardt: Also der Tatvorwurf ist ja noch nicht erwiesen.
Kühne: Nein, natürlich nicht, das kann man erst in einer Hauptverhandlung beweisen. Aber wenn die türkische Justiz der Ansicht ist, dass ein dringender Tatverdacht vorliegt im Hinblick auf dieses Delikt, dann ist nach der Rechtslage zumindest auch gegenüber einem 17-Jährigen ein Haftgrund nach türkischem Recht gegeben. Und das gilt nicht nur nach türkischem Recht, sondern es gilt auch nach vielen anderen Rechtsordnungen, die innerhalb der EU gelten.
Degenhardt: Aber muss er deswegen unter diesen Haftbedingungen sozusagen festgehalten werden als 17-Jähriger?
Kühne: Das ist in der Tat ein großes Problem. Aber auch hier haben wir innerhalb von Europa riesengroße Unterschiede, wobei ich jetzt nicht weiß, ob es wirklich 30 in einer Zelle sind, wie groß die sind. Das muss man jetzt im Einzelfall beurteilen. Aber dass eine Massenunterbringung unter hygienisch nicht ganz einwandfreien Bedingungen geschieht, das ist in den südlichen Ländern auch der EU nicht unüblich, wenngleich beklagenswert.
Degenhardt: Die Bundesregierung hat Ankara um Hafterleichterungen für den Schüler gebeten. Welche Erfolgsaussichten haben denn solche Verbalnoten?
Kühne: Ich bin sicher, dass es da eine Lösung gibt. Nach deutschem Recht wird ja Untersuchungshaft gegen Nichterwachsene kaum verhängt. In solchen Fällen wäre wohl davon abgesehen worden, die U-Haft wäre außer Vollzug gesetzt worden. Und wenn man mit den Türken vernünftig redet, dann geschieht da sicherlich etwas, wobei natürlich immer das Problem besteht, dass die Regierung der Justiz nicht einfach hineinreden kann. Das würden wir uns auch verbitten. Auch der deutsche Justizminister oder in diesem Fall die Justizministerin kann nicht in irgendeinem Verfahren sagen, hey Richter, mach dieses oder mach jenes. Das ist bei uns so, und das ist auch in der Türkei so. Insofern ist der Fall politisch so heikel.
Degenhardt: Von wegen Hineinreden, welche Möglichkeiten der Einflussnahme haben Sie eigentlich als Berater in Menschenratsfragen für das türkische Außenministerium?
Kühne: Nun, ich werde eigentlich meist in anderen Dingen gefragt, die dann letztlich auch in Straßburg landen. Und man fragt mich dann, wie man das verhindern kann, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ein negatives Votum abgibt. In solchen Einzelfällen werde ich seltener gefragt. Aber wenn ich gefragt werde, gebe ich jedem entsprechende Ratschläge. Und bislang war es auch immer so, dass man dann diese Dinge sehr kollegial lösen konnte, wenn man dann nicht den offiziellen Weg ging und sagte, ihr müsst. Das ist natürlich immer der falsche Weg, gegen ein Justizsystem aufzutreten.
Degenhardt: Könnte der jetzige Fall die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei belasten? Es gibt Politiker in Deutschland, die warnen vor Folgen eben für diese Verhandlungen durch diesen Fall.
Kühne: Also, das hielte ich für sachlich völlig unangemessen, denn wie ich schon anfangs sagte, diese Dinge könnten genauso in vielen anderen EU-Ländern geschehen. Und das ist also keine Sondersituation und auch kein Fehler, wenn man so will, der dort in der Türkei geschieht, das ist die Rechtssituation. Und wenn die Justiz die Sachlage so einschätzt, wie sie ist, dann sind das die rechtsstaatlichen Folgen. Und hier der Türkei zu drohen, die Beitrittsverhandlungen auszusetzen oder Ähnliches zu tun, das ist nun wirklich eine politische Intervention, die die Eigenständigkeit des Justizwesens dieses Landes völlig ignoriert, und das kann man so nicht machen.
Degenhardt: Obwohl sie Rechtswissenschaftler sind, Herr Kühne, haben Sie vielleicht doch noch etwas Tröstliches für die Angehörigen von Marco in Deutschland?
Kühne: Ja natürlich. Ich bin sicher, dass dieser Fall jetzt doch in kürzerer Zeit gelöst wird, denn die türkische Regierung und auch die türkische Justiz sind natürlich nicht daran interessiert, dass hier wirkliche Probleme entstehen. Man muss nur den richtigen Weg finden. Es nutzt nichts, autoritär aufzutrumpfen, sondern wenn man hier still verhandelt, dann gibt es sicherlich eine sehr kurzfristige gute Lösung. Und wichtig ist, und das weiß ich nicht, wie das geregelt worden ist, auch einen vernünftigen Rechtsanwalt an der Hand zu haben. Es ist schwierig, in der Türkei einen wirklich guten Rechtsanwalt zu bekommen, aber wenn dort ein guter Rechtsanwalt tätig ist, dann wäre eigentlich das Ganze schon längst gelöst worden.
Professor Hans-Heiner Kühne ist Rechtswissenschaftler an der Universität Trier und Berater in Menschrechtsfragen für das türkische Außenministerium. Warum reagieren die Behörden so hart auf eine vermeintliche Tat, die in Deutschland wohl nicht strafbar gewesen wäre.
Hans-Heiner Kühne: Das können Sie so nicht sagen. Wenn ich die Zeitungsmeldungen, die ich kenne, richtig verstanden habe, geht es hier um den Vorwurf der Unzucht mit Minderjährigen, also des Beischlafs mit Kindern sogar. Und das ist natürlich bei uns auch eine Straftat und eine ganz erhebliche Straftat sogar. Wir sind in Deutschland allerdings, was die Zwangsmaßnahmen, insbesondere die Untersuchungshaft angeht, nicht ganz so streng wie andere Länder. Aber wenn dasselbe etwa in Griechenland, in Spanien oder in Frankreich geschehen wäre, dann wären die Reaktionen genauso gewesen.
Degenhardt: Also der Tatvorwurf ist ja noch nicht erwiesen.
Kühne: Nein, natürlich nicht, das kann man erst in einer Hauptverhandlung beweisen. Aber wenn die türkische Justiz der Ansicht ist, dass ein dringender Tatverdacht vorliegt im Hinblick auf dieses Delikt, dann ist nach der Rechtslage zumindest auch gegenüber einem 17-Jährigen ein Haftgrund nach türkischem Recht gegeben. Und das gilt nicht nur nach türkischem Recht, sondern es gilt auch nach vielen anderen Rechtsordnungen, die innerhalb der EU gelten.
Degenhardt: Aber muss er deswegen unter diesen Haftbedingungen sozusagen festgehalten werden als 17-Jähriger?
Kühne: Das ist in der Tat ein großes Problem. Aber auch hier haben wir innerhalb von Europa riesengroße Unterschiede, wobei ich jetzt nicht weiß, ob es wirklich 30 in einer Zelle sind, wie groß die sind. Das muss man jetzt im Einzelfall beurteilen. Aber dass eine Massenunterbringung unter hygienisch nicht ganz einwandfreien Bedingungen geschieht, das ist in den südlichen Ländern auch der EU nicht unüblich, wenngleich beklagenswert.
Degenhardt: Die Bundesregierung hat Ankara um Hafterleichterungen für den Schüler gebeten. Welche Erfolgsaussichten haben denn solche Verbalnoten?
Kühne: Ich bin sicher, dass es da eine Lösung gibt. Nach deutschem Recht wird ja Untersuchungshaft gegen Nichterwachsene kaum verhängt. In solchen Fällen wäre wohl davon abgesehen worden, die U-Haft wäre außer Vollzug gesetzt worden. Und wenn man mit den Türken vernünftig redet, dann geschieht da sicherlich etwas, wobei natürlich immer das Problem besteht, dass die Regierung der Justiz nicht einfach hineinreden kann. Das würden wir uns auch verbitten. Auch der deutsche Justizminister oder in diesem Fall die Justizministerin kann nicht in irgendeinem Verfahren sagen, hey Richter, mach dieses oder mach jenes. Das ist bei uns so, und das ist auch in der Türkei so. Insofern ist der Fall politisch so heikel.
Degenhardt: Von wegen Hineinreden, welche Möglichkeiten der Einflussnahme haben Sie eigentlich als Berater in Menschenratsfragen für das türkische Außenministerium?
Kühne: Nun, ich werde eigentlich meist in anderen Dingen gefragt, die dann letztlich auch in Straßburg landen. Und man fragt mich dann, wie man das verhindern kann, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ein negatives Votum abgibt. In solchen Einzelfällen werde ich seltener gefragt. Aber wenn ich gefragt werde, gebe ich jedem entsprechende Ratschläge. Und bislang war es auch immer so, dass man dann diese Dinge sehr kollegial lösen konnte, wenn man dann nicht den offiziellen Weg ging und sagte, ihr müsst. Das ist natürlich immer der falsche Weg, gegen ein Justizsystem aufzutreten.
Degenhardt: Könnte der jetzige Fall die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei belasten? Es gibt Politiker in Deutschland, die warnen vor Folgen eben für diese Verhandlungen durch diesen Fall.
Kühne: Also, das hielte ich für sachlich völlig unangemessen, denn wie ich schon anfangs sagte, diese Dinge könnten genauso in vielen anderen EU-Ländern geschehen. Und das ist also keine Sondersituation und auch kein Fehler, wenn man so will, der dort in der Türkei geschieht, das ist die Rechtssituation. Und wenn die Justiz die Sachlage so einschätzt, wie sie ist, dann sind das die rechtsstaatlichen Folgen. Und hier der Türkei zu drohen, die Beitrittsverhandlungen auszusetzen oder Ähnliches zu tun, das ist nun wirklich eine politische Intervention, die die Eigenständigkeit des Justizwesens dieses Landes völlig ignoriert, und das kann man so nicht machen.
Degenhardt: Obwohl sie Rechtswissenschaftler sind, Herr Kühne, haben Sie vielleicht doch noch etwas Tröstliches für die Angehörigen von Marco in Deutschland?
Kühne: Ja natürlich. Ich bin sicher, dass dieser Fall jetzt doch in kürzerer Zeit gelöst wird, denn die türkische Regierung und auch die türkische Justiz sind natürlich nicht daran interessiert, dass hier wirkliche Probleme entstehen. Man muss nur den richtigen Weg finden. Es nutzt nichts, autoritär aufzutrumpfen, sondern wenn man hier still verhandelt, dann gibt es sicherlich eine sehr kurzfristige gute Lösung. Und wichtig ist, und das weiß ich nicht, wie das geregelt worden ist, auch einen vernünftigen Rechtsanwalt an der Hand zu haben. Es ist schwierig, in der Türkei einen wirklich guten Rechtsanwalt zu bekommen, aber wenn dort ein guter Rechtsanwalt tätig ist, dann wäre eigentlich das Ganze schon längst gelöst worden.