Jurist fordert EU-weite Regeln zu Erfolgshonoraren

Moderation: Matthias Hanselmann |
Martin Henssler hat sich für eine Harmonisierung der Rechtssysteme auf europäischer Ebene ausgesprochen und eine einheitliche Regelung zu Erfolgshonoraren für Anwälte angeregt. Es gebe innerhalb der Europäischen Union bereits den Trend, Erfolgshonorare zuzulassen, sagte der Direktor des Instituts für Anwaltsrecht an der Universität Köln. Eine Amerikanisierung der Rechtsordnung sei dadurch aber nicht zu befürchten.
Hintergrund: Das Bundesverfassungsgericht hat den Gesetzgeber aufgefordert, bis Juni 2008 das Verbot von Erfolgshonoraren für Anwälte zu lockern oder ganz aufzuheben. Hintergrund des Urteils war der Prozess eines mittellosen Geschwisterpaares, das erfolgreich auf Entschädigung für ein durch die Nazis enteignetes Grundstück geklagt hatte. Die Anwältin war am Erlös beteiligt worden und wegen Verstoßes gegen die Anwaltspflichten zu einer Geldstrafe verurteilt worden.

Matthias Hanselmann: Herr Henssler, vielleicht erst mal, was hätte dieses Geschwisterpaar nach bisher geltendem Recht tun können, um sich das Grundstück zu erstreiten, hätte es überhaupt eine Chance gehabt?

Martin Henssler: Nun, wenn man nicht die notwendigen finanziellen Mittel hat, dann haben wir nach dem geltenden Recht in der Tat ein Problem. Für deutsche Bürger haben wir die Prozesskostenhilfe. Wer eine Rechtsschutzversicherung hat, kann diese in Anspruch nehmen, aber wenn weder Prozesskostenhilfe noch Rechtsschutzversicherung eingreifen, dann steht der Bürger tatsächlich vor einem Problem.

Hanselmann: Dürfen sich also Anwälte und Mandanten jetzt gleichermaßen über das Urteil des Bundesverfassungsgerichts freuen?

Henssler: Ja, also wer sich im Endeffekt freuen darf, das werden wir erst sehen, wenn wir die gesetzliche Regelung haben, denn das Bundesverfassungsgericht hat ja dem Gesetzgeber einen erheblichen Entscheidungsspielraum überlassen. Aber man kann schon mal sagen, für die deutschen Mandanten ist die Sache grundsätzlich positiv, denn sie haben jetzt eine zusätzliche Möglichkeit, qualifizierten anwaltlichen Beistand zu erhalten, auch wenn sie sich das an sich nicht leisten können, denn das ist ja der Kern des Erfolgshonorars: Es geht darum, dass der Anwalt das Risiko übernimmt. Also für die Mandanten durchaus positiv, jedenfalls wenn sie aufgeklärt werden. Für die Anwälte, das sieht man ja auch, sie tragen das Risiko. Da wird es darauf ankommen, wie sie mit dieser neuen Möglichkeit umgehen. Positiv ist es sicherlich für die großen Wirtschaftskanzleien, die ja derzeit schon verdeckt mit solchen Erfolgshonoraren arbeiten. Ich meine, dass es dem kleinen Anwalt relativ wenig bringt, weil bei kleinen Streitwerten lohnt sich die Vereinbarung eines Erfolgshonorars nicht.

Hanselmann: Ich glaube, da haben Sie einen interessanten Punkt angesprochen. Inwiefern arbeiten Sie diese Großkanzleien verdeckt mit solchen Erfolgshonoraren?

Henssler: Ja, verdeckt insofern in einer gewissen Grauzone. Es gibt empirische Untersuchungen, bei denen immerhin acht Prozent der befragten Anwälte gesagt haben, sie hätten derzeit schon Erfolgshonorare vereinbart. Man muss sich mal vorstellen, beim großen Unternehmenskauf, ein US-amerikanisches Unternehmen möchte ein deutsches Unternehmen kaufen, dann ist es für die ja betriebswirtschaftlich ganz vernünftig, dass sie sagen, wenn der ganze Deal klappt, wir das Unternehmen kaufen, sind wir auch bereit, höhere Anwaltshonorare zu zahlen, wenn aber alles scheitert, möchten wir nicht auch noch auf hohen Beraterkosten sitzen bleiben. Und da wird derzeit schon durchaus gelegentlich ein solches Erfolgshonorar vereinbart, indem man etwa sagt, na ja, wenn alles nichts wird, dann ist der Stundensatz nur 200 Euro, und wenn alles gut klappt, liegt der Stundensatz bei 400 Euro, auch eine Form des Erfolgshonorars.

Hanselmann: Mit anderen Worten: Das Verfassungsgericht hebt etwas sozusagen in den rechtlichen Status, was es schon längst gibt?

Henssler: Ja, also was es jedenfalls teilweise gibt. Man muss ohnehin sagen, diese Entscheidung ist keine große Sensation, denn bis 1994 gab es schon die Regelung, dass in Ausnahmefällen Erfolgshonorare vereinbart werden konnten. Erst 1994 hat der Gesetzgeber, wie ich meine seinerzeit völlig verfehlt, dieses absolute Verbot eingerichtet, das nun das Bundesverfassungsgericht wieder aufgehoben hat.

Hanselmann: Und Ausnahmefälle ist ja auch so eine wunderbare Formulierung. Da wird es wahrscheinlich dann in Zukunft viele Ausnahmefälle geben, nehme ich an?

Henssler: Ja, Ausnahmefälle sind aus der Sicht des Bundesverfassungsgerichts solche Fälle, in denen eben Bürger anders gar keine Möglichkeit hätten, zu ihrem Recht zu kommen. Der deutsche Gesetzgeber kann ja aber durchaus viel weiter gehen, er muss sich nicht auf Ausnahmefälle beschränken, er kann auch sagen, ich gebe das Verbot des Erfolgshonorars vollständig auf, ich lasse Erfolgshonorare zu, wenn nur der Mandant richtig darüber informiert wird, welche Risiken auch dafür mit ihm verbunden sind. Das kann man zwischen den Zeilen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts durchaus lesen, dass die Empfehlung dahin geht, jetzt nicht nur in Ausnahmefällen das Verbot aufzuheben, sondern generell hier großzügiger zu sein.
Denn – das darf ich vielleicht auch noch ergänzen – in Europa gibt es durchaus derzeit einen allgemeinen Trend hin zum Erfolgshonorar. Italien etwa hat ganz kürzlich auch komplett das Verbot des Erfolgshonorars aufgehoben, Belgien ebenfalls, Frankreich, Niederlande, Großbritannien, sie alle sind dabei, Erfolgshonorare mehr oder weniger weitgehend zuzulassen.

Hanselmann: Herr Henssler, wir sind, glaube ich, an einem interessanten Punkt angelangt, nämlich, sagen wir, der Gefahr der Amerikanisierung des deutschen Rechtes. In Deutschland herrscht eine gewisse Angst davor, dass amerikanische Zustände einkehren könnten, deutsche Unternehmen mit Dependenzen in den USA machen ja schon lange ihre Erfahrungen mit Sammelklagen oder der so genannten "American Rule". Nach dieser muss der Kläger, selbst wenn er verliert, nicht die Anwaltskosten des Gegners übernehmen. Sammelklagen haben in den USA schon dazu geführt, dass 85 Prozent der verklagten Unternehmen sich auf einen Vergleich einlassen, um einem Prozess zu entgehen, auch wenn sie sich völlig im Recht sehen, und es gibt noch andere Fälle, die wir nennen könnten. Haben wir auch bei uns bald solche amerikanischen Zustände?

Henssler: Also in der Tat, die Sorge ist groß. Auch im Rahmen des bundesverfassungsgerichtlichen Verfahrens hat die Wirtschaft ja darauf hingewiesen, dass angeblich die amerikanische Wirtschaft jährlich Kosten von geschätzten 250 Milliarden US-Dollar durch dieses amerikanische Rechtssystem hätte, und das wollten wir doch bitte in Deutschland nicht haben. Sie haben schon darauf hingewiesen, wir haben neben diesem Erfolgshonorar hier einen ganz weiteren wesentlichen Unterschied, nämlich bei uns gilt, die Kostenerstattungspflicht der unterlegenen Seite, das gilt in Amerika nicht. Ich meine, dass alleine diese Besonderheit des deutschen Rechts oder dieser Unterschied weiterhin es verhindern wird, dass wir nun eine Prozessflut auf die deutsche Wirtschaft zukommen sehen. Aber es ist eine andere Grundeinstellung des amerikanischen Rechtssystems. Die stehen dort mit dem Standpunkt, niemand soll aus Angst vor den Kosten gehindert werden, sein Recht durchzusetzen. Wir haben eher die Sorge vor einer Prozessflut. Es sind zwei unterschiedliche Positionen. Mein Vorschlag wäre, dass wir einen gemeinsamen europäischen Weg finden, wie wir einerseits durchaus auch für ärmere Bevölkerungsgruppen den Zugang zum Recht verbessern, andererseits aber nicht die Fehler der USA machen.

Hanselmann: Wer reguliert das, spielt da die EU eine Rolle? Oder konkreter gesagt: Wer kann verhindern, dass unser deutsches Rechtssystem zunehmend amerikanisiert wird?

Henssler: Ja, das sind natürlich vielfältige Entwicklungen. Wir hatten schon die großen amerikanischen Anwaltskanzleien, die ja in Europa verstärkt tätig werden, angesprochen. Sie bringen natürlich ihr Heimatrecht mit nach Europa. Das ist eine Entwicklung, die durch rechtliche Regelungen gar nicht aufgehalten werden kann. Ich denke, dass Europa nur eine Chance dann hat, ein Gegengewicht zu bilden, wenn man sich in Brüssel auf gemeinsame Regelungen gerade auch im verfahrensrechtlichen Bereich, im Prozesskostenbereich einigen kann.

Hanselmann: Eins steht, glaube ich, fest: Der Rechtsanwalt, wie wir ihn aus "Liebling Kreuzberg" kennen, der hinter seinem alten Schreibtisch klemmt und einen jungen Assistenten beschäftigt, der für ihn die unangenehmen Dinge erledigt, der scheint ja immer mehr der Vergangenheit anzugehören. Die Rede ist zurzeit von einer Rechtsanwälteschwemme, Großkanzleien entstehen, Law Firms also, Rechtsanwälte dürfen Werbung betreiben. Was verändert sich dadurch in unserer Rechtskultur?

Henssler: Ja, Sie sprechen da eine auch aus meiner Sicht sehr bedenkliche Entwicklung an. Wir haben eine richtige Spaltung unseres Anwaltmarktes. Auf der einen Seite stehen die Großkanzleien, die großen Wirtschaftskanzleien, denen es enorm gut geht, die bereit sind, sagenhafte Einstiegsgehälter für Berufsanfänger von über 100.000 Euro zu zahlen, und auf der anderen Seite steht die Masse dieser kleinen Anwälte, der so genannten Feld-Wald-Wiesen-Anwälte, deren Einkommenssituation sich zunehmend verschlechtert. Das driftet auseinander. Auch unsere Öffnung im Erfolgshonorarbereich bringt, wie ich schon gesagt habe, primär den Wirtschaftskanzleien was, und hier muss sich der Gesetzgeber tatsächlich Gedanken machen, wie fördert er auch die kleinen Anwaltskanzleien, die ja auch notwendig sind. Wer soll sonst auf dem so genannten platten Land dafür sorgen, dass dort Rechtsrat angeboten wird? Also wir müssen uns schon was einfallen lassen, wie auch die Anwaltstätigkeit für die kleinen Anwälte attraktiver wird. Sie haben angesichts der immer diffiziler werdenden Rechtsordnung natürlich ein Riesenproblem. Man kann die gesamte Rechtsordnung als Einzelanwalt nicht mehr abdecken. Ohne Spezialisierung geht es nicht, und in der Tat, wie Sie auch angedeutet haben, das Modell des Einzelanwalts, der alles macht, vielleicht mit Unterstützung eines Assistenten, ist ein Auslaufmodell.

Hanselmann: Vielen Dank. Über Veränderung im deutschen Rechtswesen habe ich gesprochen mit Martin Henssler vom Institut für Anwaltsrecht der Universität Köln. Dankeschön nach Köln und guten Tag noch!

Henssler: Gern geschehen!