Jungliberale kritisieren Selbstdarstellung der FDP

Johannes Vogel im Gespräch mit Ernst Rommeney und Ulrich Ziegler · 18.07.2009
Der Bundesvorsitzende der Jungen Liberalen, Johannes Vogel, fordert von seiner Partei eine bessere Kommunikation liberaler Inhalte. Neben einer freiheitlichen Wirtschafts- und Bürgerrechtspolitik gelte es auch die Ziele liberaler Sozial- und Umweltpolitik besser zu vermitteln.
Deutschlandradio Kultur: Herr Vogel, haben Sie heute schon getwittert, also, irgendwas in Ihr Internet-Tagebuch geschrieben?

Johannes Vogel: Ich habe es heute noch nicht geschafft. Ich war heute Morgen etwas müde. Ich hatte einen sehr frühen Flieger. Aber ich habe eben auf dem Hinweg darüber nachgedacht, dass ich gleich mal twittern müsste, nach diesem Termin, nach unserem Gespräch.

Deutschlandradio Kultur: Wir haben auch mal nachgeschaut. Wen interessieren eigentlich solche Sätze wie "Sitzung vorbei, jetzt noch joggen, dann Schluss für heute" oder "bin auf einer politischen Hausparty, war eine spannende politische Diskussion?" Wen interessiert das?

Johannes Vogel: Man muss bei Twitter unterscheiden. Es gibt so Tweets, da setzt man eine politische Meinung ab. Ich glaube, das ist die Hauptaufgabe. Aber Twitter ist natürlich auch ein Medium, wo man so ein bisschen einfach seinen Tagesablauf darstellt. Ich glaube, das sollte es auch sein. Die Ausgangsfrage von Twitter ist: What are you doing? Ich versuche nicht zu viel die Banalitäten zu twittern, aber ich finde ein stückweit teilt man dann eben auch seinen Tagesablauf mit. Aber man sollte, glaube ich, wenn man als politisch agierender Mensch twittert, darauf achten, dass auch politische Botschaften rüberkommen. Sie finden aber auch andere Tweets bei mir als die zwei, die Sie jetzt zitiert haben.

Deutschlandradio Kultur: Also, wie erfahren wir mehr über diese politische Hausparty bspw. bei der Sie waren, die Sie so spannend fanden, wenn wir uns tatsächlich für die Sache interessieren?

Johannes Vogel: Es gibt ja bei Twitter Reaktionen. Das ist ja ein interaktives Medium. Das ist ja das Spannende. Man sendet ja nicht nur, sondern man kriegt Reaktionen, entweder offen, so dass alle Twitter-User sie lesen können, oder auch in der sogenannten Form der Direct-Messages. Und da kriegt man dann Reaktionen. Z. B. zu der Hausparty hatte ich auch welche, auf die man dann wieder antworten kann.

Deutschlandradio Kultur: Was war denn interessant an der Hausparty?

Johannes Vogel: Es war ein Parteifreund vor Ort im Bergischen Land. Der hatte nichtliberale enge Freunde eingeladen. Und man konnte mal in Ruhe zwei Stunden Politik ausführlich diskutieren ohne die 30 Sekunden Verkürzung. Wir hatten am Ende eine sehr spannende Diskussion über die Frage, wie schaffen wir Verbraucherschutz in der Agrarwirtschaft. Das ist so ein Thema, mit dem ich vorher nicht gerechnet hätte, dass das da eine halbe Stunde diskutiert wird.

Deutschlandradio Kultur: Gibt es denn auch Leute, die dann sagen: "Okay, das war spannend, aber wir wollen Sie auch als Liberalen wählen", so dass Sie unter dem Strich dann auch ein Ergebnis haben mit dem Sie nach Hause gehen können?

Johannes Vogel: Ich hatte schon den Eindruck, dass da viele drüber nachgedacht haben: Ach, ist vielleicht gar nicht so unvernünftig, was der junge Herr da erzählt hat. Und da hat man natürlich die Hoffnung, dass diejenigen dann darüber nachdenken, das nächste Mal FDP zu wählen.

Deutschlandradio Kultur: Sie treten als Bundestagskandidat an im Wahlkreis Nordrhein-Westfalens Märkischer Kreis Olpe. Und Sie twittern, dass Sie gerade begonnen haben mit dem Haustürwahlkampf. Das ist doch wieder sehr altmodisch, oder?

Johannes Vogel: Ja gut, man muss, glaube ich, alle Generationen ansprechen. Ich als Jugendorganisationsvorsitzender, das ist ja auch meine Rolle, kümmere ich mich natürlich insbesondere darum, wie kommunizieren wir mit jungen Leuten. Da ist Twitter ein hoch spannendes Medium. Deswegen mache ich das. Aber ich bin FDP Bundestagskandidat eben auch in Attendorn, wo ich gestern Haustürwahlkampf gemacht habe. Ich sage mal, 80 % der Leute, die ich da an der Haustür getroffen habe, kennen Twitter nicht. Aber auch denen muss ich mich als Bundestagskandidat, wie ich finde, vorstellen und ein Kommunikationsangebot machen.

Deutschlandradio Kultur: Wenn wir noch mal auf dieses Twittern zurückgehen und mal grundsätzlich fragen. Ist es nicht eigentlich auch möglicherweise gefährlich, weil Sie Sachen ins Netz geben, die andere Leute gar nicht so sehr interessieren sollten?

Johannes Vogel: Also, die Gefahr besteht in der Tat. Jeder muss gucken, was er preis gibt. Und da muss man sich klarmachen, dass das Öffentlichkeit ist, eine spezielle Öffentlichkeit von Anhängern, Interessierten im Netz, aber es ist Öffentlichkeit. Und wie bei allem, wo man öffentlich agiert, muss man überlegen, was erzählt man. Nur die Überlegung ist für jemanden, der seit einigen Jahren ehrenamtlich bei den JuLis Politik macht, ja nicht neu. Ich überlege auch in Interviews, wo man natürlich auch mal private Fragen kriegt, was willst du sagen und was ist für dich eher privat. Was willst du aus der Öffentlichkeit raushalten? Man muss allerdings lernen, dass das eben bei diesen Internetmedien genauso gilt.

Deutschlandradio Kultur: Aber ist es nicht so, dass Ihre Generation da grenzenlos naiv ist, vielleicht die Erwachsenen auch. Denn der Bundesdatenschutzbeauftragte sagt ja, was die Bürger selbst so ins Netz stellen, das sei geradezu gefährlich. Man muss nicht nur immer an die anderen denken, die Daten ausnutzen, sondern auch den Selbstschutz hochhalten. Macht da Ihre Generation nicht große Fehler? Sie selbst sind ja geschult. Das darf man ja nicht als Beispiel nehmen.

Johannes Vogel: Ich glaube, das ist ein Ausprobierprozess. Sie haben Recht, dass ich mich auch manchmal frage, wie kritisch sind wir gerade auch als junge Leute, was staatliche Einschränkungen unserer Freiheit angeht und wie viele Informationen geben viele von uns, wir alle wahrscheinlich, selber preis. Aber ein stückweit ist das eben so, wenn sich was Neues entwickelt. Das Netz ist nicht neu, aber dieses Interaktive im Netz ist jetzt nicht 20 Jahre alt. Das muss sich wahrscheinlich erst austarieren. Da wird wahrscheinlich jeder seine ganz persönlichen Erfahrungen müssen und sich auch mal die Finger verbrennen, um dann sensibler zu werden.

Deutschlandradio Kultur: Was machen wir denn bspw. mit Kinderpornoseiten? Sollten wir Stoppschilder aufstellen? Sollten wir das verbieten? Wie sieht die Antwort der Liberalen aus?

Johannes Vogel: Wir müssen gegen Kinderpornografie natürlich entschieden vorgehen. Ich bin dafür, dass, wenn dort was Illegales passiert, wir Löschungen veranlassen. Ich bin dafür, dass wir strafrechtlich, so gut das eben geht, verfolgen, die Betroffenen, die Täter sozusagen. Aber ich bin eben gegen diese Stoppschilder. Wir sind als Liberale gegen das Internetsperrgesetz.

Deutschlandradio Kultur: Aber was ist denn so schlecht dran?

Johannes Vogel: Das Schlechte daran ist, es ist das falsche Instrument. Erstens ist es mitunter wenig effektiv, weil nach allem, was man sich anschaut, diejenigen, die Kinderpornografie verbreiten, auch andere Verbreitungswege finden. Es ist kein besonders effektives Instrument. Und das Problem ist, wenn das BKA, also, eine Stelle der Exekutive, Seiten im Netz sperrt, das ist für mich eine Form im Internet, was wir in der nichtdigitalen Welt Zensur nennen würden. Ich glaube, das ist eine klassische Frage, wie es in den Bürgerrechtsfragen oft ist, die Frage der Büchse der Pandora. Wollen wir einmal staatliche Eingriffsrechte schaffen? Wir hören doch jetzt schon, was es für weitere Forderungen gibt. Ich habe schon Forderungen gehört, rechtsextreme Seiten zu sperren. Gut, da würde auch noch wie bei Kinderpornografie jeder sagen: Im Ziel sind wir uns einig! Wenn es dann darum geht, bei Seiten, wo sogenannte Killerspiele – der Begriff ist ja sehr unscharf – im Internet gespielt werden, teilweise ganz normale Computerspiele, auch schon über Sperrung nachzudenken, zeigt sich wieder mal, dass, wenn eine Eingriffsbefugnis des Staates einmal da ist, sie sich ausbreitet. Deshalb glaube ich, können wir effektivere Wege finden und sollten das von vorneherein lassen.

Deutschlandradio Kultur: Aber die Kehrseite ist doch wirklich Nichtstun. Man lässt das zu. Man sagt, das ist eben Meinungsfreiheit. Aber da sind dann Leute unterwegs, die nicht nur einen negativen Einfluss haben, sondern auch mit Hass, mit Gewalt, mit Unzucht, wie man so schön sagt, Geschäfte machen.

Johannes Vogel: Ja, dann müssen wir mit den Mitteln agieren, die wir haben, mit dem Rechtsstaat. Wir müssen Strafverfolgung anwenden. Da bin ich völlig dafür. Ich glaube nicht, dass die Alternative Nichtstun ist.

Deutschlandradio Kultur: Aber in Dänemark können Sie ja keine deutsche Strafverfolgung machen?

Johannes Vogel: Ja gut, dafür haben wir Europol. Und möglicherweise müssen wir drüber reden, wenn wir sehen, das ist nicht effektiv, ob das ein Feld ist, wo wir die europaweite Strafverfolgung ausweiten. Darüber diskutieren wir ja sowieso auf welchen Feldern das sinnvoll ist und auf welchen nicht. Aber es ist doch so, wenn wir immer das Argument nehmen," ja, aber sehen Sie, das und das lehnen wir doch ab," dann können wir kein Bürgerrecht, keine Bürgerfreiheit verteidigen. Jeder ist auch dafür Terroristen zu bekämpfen. Trotzdem kann ich sehr kritisch sehen, ob der Staat das Recht haben soll, heimlich online Festplatten zu durchsuchen oder ob der Staat das Recht haben soll, den Spähangriff in Wohnungen durchzuführen. Nur über den Zweck zu argumentieren ist in meinen Augen in einer freien Gesellschaft eben beschränkt. Wir sollten die Perspektive immer weiten.

Deutschlandradio Kultur: Zensur im Internet, nein Danke! Das ist die Position, die Sie haben?

Johannes Vogel: Das ist die Position, die wir haben.

Deutschlandradio Kultur: Grundsätzlich, egal wer da was reinschreibt?

Johannes Vogel: In der Tat. Wir haben die Strafverfolgung. Man kann auch die Löschung von Seiten sicherstellend veranlassen. Aber die Zensur über das BKA, dass dort Seiten mit Stoppschildern versehen werden, ist nicht die Antwort der Liberalen. Das lehnen wir ab. Die Bundestagsfraktion hat auch, was mich freut, geschlossen dagegen gestimmt.

Deutschlandradio Kultur: Aber entzieht sich die Community da nicht der Verantwortung? Im Internet wird ja auch viel anonym operiert. Man genießt die Freiheit, die grenzenlose Freiheit. Aber wenn es darum geht wie auf der Straße Regeln aufzubauen, dann sagt die Community: "Nicht mit uns!" Das ist ja dann wirklich wie auf der Straße. Und auf der Straße ist es langweilig.

Johannes Vogel: Das müssen Sie konkreter machen. Ich glaube nicht, dass sie sich der Verantwortung entzieht. Ich glaube, Sie haben Recht. Wir müssen darüber diskutieren, das tun wir ja gerade, wie stellen wir Regeln in einem sich entwickelnden neuen Medium auf. Niemand sagt, dass das regellos stattfinden soll. Aber wir müssen eben auch in der Lage sein zu sagen, dieses Instrument ist möglicherweise nicht geeignet. Es schadet mehr, als dass es nutzt.

Deutschlandradio Kultur: Wenn einem eine Demonstration nicht passt bspw. von Rechts, kann ich eine Aktion machen. Ich kann das nicht anderen übergeben, sondern ich kann selbst eine Aktion machen. Was mache ich im Internet?

Johannes Vogel: Das kann ich im Internet auch, bspw. auf Facebook, das ist eins der wichtigen sozialen Netzwerke im Internet, Seiten, wo sich Leute vernetzen und gegen Rechts agieren wollen, dann eben im Netz auch Farbe bekennen. Auch dort kann man ja Positionen äußern. Man kann auch z. B. in Seiten, die möglicherweise eine andere Meinung haben, in Foren agieren. Wissen Sie, wie gut das läuft? Die Vernetzung funktioniert auch im Netz. Das ist genau das, was stattfindet. Dann organisieren wir das Pendant zur Gegendemonstration im Netz. Das muss in meinen Augen bspw. an der ganz konkreten Stelle die Antwort sein.

Deutschlandradio Kultur: Das scheint aber doch irgendwie eine komische Aufgabenteilung zu sein. Sie sind für die Freiheit der Netze. Und dann gibt es diese Altliberalen wie Burkhard Hirsch oder Gerhart Baum. Die ziehen, wenn es um Bürgerrechte geht, dann vor das Bundesverfassungsgericht. Und Sie tun es nicht?

Johannes Vogel: Nein, ich tu’s auch. Also erstens, ich glaube, Burkhard Hirsch, Gerhart Baum und Frau Schnarrenberger teilen meine Position zu den Netzsperren, weil wir eben Bürgerrechte überall verteidigen wollen. Niemand will zuschauen, wenn Dinge schief laufen. Es geht immer darum, was ist das angemessene Instrument. Aber ich klage ja durchaus auch mit. Persönlich bspw. bin ich dabei bei der Verfassungsbeschwerde, die von den großen Liberalen, die Sie gerade zitiert haben, vorgebracht wird gegen die Vorratsdatenspeicherung. Da bin ich als JuLi-Vorsitzender bewusst dabei.

Deutschlandradio Kultur: Aber wenn Sie jetzt mal nach den Altersklassen sehen, die ganz jungen – Sie haben die Bürgerrechte, gerade im Internet, zum Wahlkampfthema gemacht – und dann die ganz alten, die streiten vor Gericht, also, die, die wir schon seit 30 Jahren kennen im Geschäft. Und die in der Mitte, die Altersklassen, die sind dann so ein bisschen wirtschaftsliberal und etwas stiller. Wo sind denn da die großen Liberalen?

Johannes Vogel: Niemand will ja bestreiten, dass Mitte der 90er Jahre bspw. die Partei da Sündenfälle hatte, ich sage mal, großer Lauschangriff. Aber im aktuellen Bundestagswahlprogramm fordern wir die Abschaffung des großen Lauschangriffs. Das heißt, es gab dort einen Lernprozess in der Partei. Man hat Fehler eingesehen und, ich glaube, der ist jetzt wieder breiter Konsens in der Partei. Herr Westerwelle gibt auch Interviews, in denen er klipp und klar sagt, die Rücknahme von Bürgerrechtseinschränkungen von Herrn Schäuble und der Großen Koalition in den letzten Jahren ist eine Koalitionsbedingung für die Liberalen. Man stellt ein Programm auf, aber Koalitionsbedingungen, das ist immer mal noch eine Stufe härter. Das tut man nicht unbedacht. Das tut Herr Westerwelle. Und das ist Ausdruck dessen, dass vielleicht die Koalition aus den Jungen und ganz Alten, wenn Sie so wollen, in der Partei mittlerweile in der Frage einen Meinungsumschwung und eine Mehrheitsmeinung in der Partei geschaffen hat.

Deutschlandradio Kultur: Die Online-Durchsuchung wird mit Ihnen wieder fallen?

Johannes Vogel: Ich glaube, es ist ein Fehler, jetzt hier ganz konkret zu sagen, wann das Instrument fällt. Ich bin lange genug in der Politik, um zu verstehen, dass man am Ende weniger durchsetzt, wenn man sich vorher zu sehr festlegt. Aber ich lege Wert darauf, dass im Grundsatz die Position aufgestellt wurde, wir wollen zentrale Bürgerrechtseinschränkungen der letzten Jahre zurücknehmen.

Deutschlandradio Kultur: Die Jungen Liberalen sagen, Sie wären gerne der Stachel innerhalb der FDP, also, der Motor, der die Partei vorantreibt. Jetzt gab es lange die Diskussion, dass die FDP irgendwie dieses neoliberale Image hat. Sie sagen, wir brauchen einen ganzheitlichen Liberalismus. Was muss man sich darunter vorstellen, und ist das auch eine Kritik an dem, was die Mutterpartei im Moment macht?

Johannes Vogel: Natürlich sind wir als JuLis nicht damit zufrieden, wie wir in den letzten Jahren eben gerade liberale Politik kommuniziert haben. Deswegen kritisieren wir das ja. Was das heißt ist, dass wir deutlich machen müssen, dass der Liberalismus eben ein ganz eigenes Wertekonzept ist, was auf der gleichen Ebene steht mit der Sozialdemokratie, mit dem Konservativismus, und wir auf jedem Politikfeld eine Antwort haben, eben immer die Antwort im Zweifel auf die Freiheit zu setzen. So, das ist jetzt noch sehr allgemein. Das heißt für mich aber, dass wir eben deutlich machen, wir sind für Freiheit in der Wirtschaftspolitik, eine liberale Wirtschaftspolitik, niedrigere Steuern, Vertrauen in die Marktwirtschaft etc. Dass wir deutlich machen, wir sind für Freiheit in der Innen- und Rechtspolitik, Schutz der Bürgerrechte. Aber eben auch und da sehe ich ein Defizit, deutlicher zu machen, es gibt auch eine liberale Sozialpolitik, die ein ganz eigenes Angebot hat. Den Liberalen ist Umweltschutz nicht egal, ganz im Gegenteil. Es gibt auch eine liberale Umweltpolitik. Das ist alles im Programm hervorragend angelegt, aber wir müssen das natürlich kommunikativ noch deutlicher machen. Ich glaube, dass das eine Aufgabe bspw. für die Grundsatzdebatte ist, die die Partei ja nach der Bundestagswahl im Zuge der ausführlichen Debatte über ein neues Grundsatzprogramm führen wird.

Deutschlandradio Kultur: Mal sagen Sie neoliberal, ganz stolz, wir sind neoliberal. Dann sagen Sie wieder, wir sind auch neosozial.

Johannes Vogel: Wer ist jetzt wir? Die Partei als Ganze?

Deutschlandradio Kultur: Die Partei als Ganze, aber auch die JuLis natürlich. Und dann wiederum hört man die Kritik aus der Partei, "na, da bahnt sich ja ein Biedermeier-Liberalismus an," der wiederum diese neue Bewegung abzubremsen versucht. Was wollen Sie damit?

Johannes Vogel: Gut, Sie haben jetzt verschiedene Schlagworte gebracht, die auch sozusagen der Füllung bedürfen. Nicht alle unterschreibe ich auch. Nicht alle kamen auch aus der Partei. Einige kamen auch von Draußen. Aber das ist das Wesen von einer Debatte. Diese ganzen Schlagworte sind ja teilweise im Zuge eben dieser entstehenden Grundsatzdebatte entstanden, wo ja auch Junge in der Partei, ich mit anderen auch zusammen, da mal schon ein Buch zu geschrieben haben, was liberale Werte für uns bspw. heißt. Und ich glaube, das ist normal, dass ein Debattenauftakt eben auch heißt, es wird debattiert. Ich glaube, wir müssen Freiheit in jedem Politikfeld definieren. Das heißt z. B., in der Sozialpolitik deutlich zu machen, dass wir mehr Menschlichkeit im System wollen, dass wir zwischenmenschliche Solidarität absolut bejahen. Das der Liberalismus darauf setzt, dass die Bürgergesellschaft anders gar nicht denkbar ist, dass wir nur nicht immer den Sozialstaat als den ersten Ansprechpartner sehen. Und im Bereich Umweltschutz heißt es bspw., dass Freiheit auch heißt, Freiheit für zukünftige Generationen, das heißt, Schutz der Lebensgrundlagen. Unser Weg dahin ist bspw. auf marktwirtschaftliche Instrumente in der Umweltpolitik zu setzen. Die Liberalen haben sehr früh, die JuLis schon in den 80er Jahren, über z. B. Instrumente wie Emissionshandel, ein marktwirtschaftliches Instrument für ein umweltpolitisches Ziel, diskutiert. Ich glaube, dass wir das noch nicht ausreichend kommunizieren.

Deutschlandradio Kultur: Aber bleiben wir einmal bei der liberalen Sozialpolitik. Sie sagen, die müsste menschlicher werden. Wenn wir uns die Sozialsysteme ansehen, …

Johannes Vogel: Ich sagte, die aktuelle Sozialpolitik muss menschlicher werden.

Deutschlandradio Kultur: Ja, genau! Wenn wir uns die Sozialsysteme anschauen, was für ein Gegenkonzept zu dem, was wir im Moment haben, haben Sie denn?

Johannes Vogel: Ja, wir haben ein ganz konkretes Bürgergeldkonzept bspw., das ist ein zentrales. Wir fassen Sozialleistungen zusammen. Wir haben eine Stelle, die Sozialleistungen gewährt und die sozusagen das Niveau an Unterstützung, was wir als Solidargemeinschaft geben wollen, gewährt. Das definiert man dann eben politisch. Es gibt ein Niveau, unter dem soll niemand leben. Und derjenige muss nicht mehr als Bittsteller von Amt zu Amt rennen und beantragen, sondern er kriegt das von der Stelle sozusagen als Anspruch selbstverständlich ausgezahlt. Das klingt jetzt erst mal nicht so entscheidend. Ich komme gleich noch zu einem anderen Punkt. Aber ich glaube, das ist es. Denn die Ethik im System muss man sich mal anschauen. Ich habe bspw., als jemand, der jetzt gerade sein Studium abgeschlossen hat, viele Kommilitonen, die jetzt auch auf Jobsuche sind und so gut ist der Arbeitsmarkt gerade nicht. Und ich habe ganz konkret einen Freund, der jetzt aktuell in den letzten Wochen sich beim Arbeitsamt arbeitsuchend gemeldet hat. Also, da kriegt man schon mit, was da teilweise an Demütigung passiert, was da teilweise an mangelnder Einstellung auf die Situation des Betroffenen passiert. Ich glaube, ein stärkeres Eingehen auf die Hilfsbedürftigen, auf die Betroffenen, die gerade Unterstützung der Solidargemeinschaft brauchen, könnte dem System sehr gut tun. Und ein ganz konkreter harter Punkt, wenn Sie so wollen, ist, dass wir Anrechnungsmechanismen verbessern wollen.

Was heißt das? Derzeit ist es ja so, wenn jemand nicht vollständig auf eigenen Beinen steht, keinen Job hat, von dem er sich ganz alleine finanzieren kann, dass er, wenn er sich was dazuverdient, nur Teile davon behalten kann, bis 800,- Euro gewisse Ansprüche, über 800,- Euro gar nichts. Dann wird voll angerechnet. Das heißt, wenn jemand bspw. einen Job hat für 800,- Euro, kriegt er noch Unterstützung der Solidargemeinschaft. Verdient er 10,- Euro mehr behält er nichts davon, hat keinen Vorteil davon. Das Bürgergeld sieht einen gleitenden Übergang vor, sodass die Anrechnungsmechanismen besser werden als heute. Das heißt konkret, immer, wenn man sich selber was dazuverdient, vielleicht erst mal einen Minijob annimmt, schrittweise wieder auf eigene Beine sich hocharbeitet, behält man mehr im Portemonnaie, in der Tasche, wenn man etwas mehr verdient, als vorher.

Deutschlandradio Kultur: Sie müssen es aber auch gegenfinanzieren.

Johannes Vogel: Das müssen wir gegenfinanzieren. Wenn Sie sich anschauen, über wie viel wir da reden, dann ist das Volumen, was wir bräuchten, um das Bürgergeld jetzt, heute einzuführen geringer als der Nachtragshaushalt in diesem Jahr.

Deutschlandradio Kultur: Aber das Problem ist doch, für wen ist Ihre liberale Botschaft und wird sie von allen verstanden? Ich stelle mir das so vor. Die JuLis, das sind Akademikerkinder, die über soziale Probleme der anderen reden, die sie selbst nicht haben.

Johannes Vogel: Da stellen Sie sich gewisse Klischees vor.

Deutschlandradio Kultur: Aber im Grunde genommen ist das doch das Problem. Liberalismus kann ich mir leisten, wenn ich zum gutverdienenden Mittelstand gehöre. Was haben die Leute, die nicht gut verdienen, von Ihren liberalen Ideen?

Johannes Vogel: Das ist nicht der Liberalismus, den ich meine. Ich habe gerade über das Bürgergeld geredet. Ich glaube, das hilft gerade denen, die Unterstützung brauchen. Und das sind oft nicht die Akademikerkinder, manchmal auch, die sind auch arbeitsuchend, aber oft nicht. Und ich gebe Ihnen ein anderes Beispiel. Wenn wir z. B. darüber reden: Im Rentensystem, wie sieht ganz konkret die Rendite von eingesparten Beiträgen aus? Wie viel Umlage brauchen wir? Wie viel Kapitaldeckung brauchen wir? Ja, dann klingt Rendite immer so nach großer Finanzwelt. Ja, was heißt das denn? Das heißt, dass jemand, der z. B. wenig Geld für Altersvorsorge hat, für dieses geringe Geld, was er einsetzen kann, mehr rausbekommt. Das ist für mich kein Angebot, was wir nur Besserverdienenden machen können.

Deutschlandradio Kultur: Aber vieles in unserer Sozialpolitik geht doch auch, in Ihrer Sozialpolitik, auf Eigenverantwortung. Eigenverantwortung heißt, dass ich mir das auch leisten kann. Und ein Spektrum an Eigenvorsorge kann ich mir dann leisten, wenn ich Geld habe. Die meisten derer, um die es eigentlich geht, haben dieses Geld nicht.

Johannes Vogel: Also, der Liberalismus setzt natürlich auf Eigenverantwortung. Das ist auch die Gesellschaft, die ich will. Ich will nicht den bevormundenden Staat. Ich will auch, dass jemand auf eigenen Beinen steht und es auch einen Unterschied macht, ob er sozusagen sich anstrengt oder nicht anstrengt. Das ist schon die ethische Haltung, die dahinter steht. Aber ich glaube, Sie blenden einen ganz wesentlichen Aspekt des Liberalismus aus, nämlich den, dass wir erst mal Chancengerechtigkeit schaffen wollen. Und da reden wir ganz zentral über Bildungspolitik, die Situation, dass jeder die gleiche Chance haben muss unabhängig seiner finanziellen Herkunft, der finanziellen Ausstattung seines Elternhauses. Das sind für mich zentrale Elemente des Liberalismus, die wir nicht ausblenden dürfen. Aber ich gestehe freimütig ein, wenn das Bild noch nicht angekommen ist, müssen wir das noch besser vermitteln.

Deutschlandradio Kultur: Dann haben Sie vorher noch einen zweiten Punkt genannt. Die Liberalen fordern eine grünere FDP, eine ökologischere FDP. Da kann man natürlich auch sagen, das haben die Grünen gut besetzt und sie haben es durchdekliniert in den letzten Jahren, dafür braucht man eigentlich die Jungen Liberalen und die FDP nicht.

Johannes Vogel: Ja, könnte man sagen, wenn man bösartig ist. Aber erstmal geht es mir darum deutlich zu machen, die Liberalen haben dasselbe Interesse an Umweltschutz wie alle anderen auch. Wenn Sie sozusagen liberale Politik unterstützen, kriegen Sie nicht weniger Umweltschutz. So, und dann können wir uns schon sehr genau anschauen, was in meinen Augen in der Umweltpolitik noch besser geht. Ich glaube, wir können noch sehr viel stärker marktwirtschaftliche Instrumente setzen wie den Emissionshandel, auch in anderen Feldern, wo wir das bisher nicht tun. Und Sie können z. B. sich in der Energiepolitik fragen, ob nicht sowohl die Position, wie ich sie in der Union wahrnehme, die reden immer von Energiemix, das klingt für mich so ein bisschen nach Status Quo, als auch die Position der Grünen, die nämlich gleichzeitig das Klima schützen wollen und so schnell wie möglich aus der Kernkraft raus wollen. Ich glaube, dass beide Positionen nicht vernünftig sind. Wir wollen 100 % erneuerbare Energien. Das steht eindeutig im Wahlprogramm. Wir müssen das Ziel schaffen, so schnell wie möglich 100 % saubere Energieversorgung zu haben. Bis dahin ist aber die Frage: Wollen wir mehr Atomkraft oder mehr Kohlekraftwerke? Wenn man ehrlich ist, schaffen wir nicht Atomausstieg in der Geschwindigkeit, wie er derzeit vereinbart ist, voll durch erneuerbare Energien zu ersetzen, alleine aus technischen Gründen. Die Erneuerbaren sind noch nicht grundlastfähig genug. Desert-Tech, Sonne aus der Sahara, das schaffen wir noch nicht so schnell. Die Geothermie, da gibt es noch nicht so viele Kraftwerke in Deutschland. Das heißt für mich, das kann doch nicht die Antwort sein. Wenn wir den Klimawandel real haben, der schlimmer wird mit jeder emittierten Tonne CO², dass wir für abgeschaltete Kernkraftwerke dann neue Kohlekraftwerke bauen, ergo 100 % erneuerbare Energien, Ausstieg aus den fossilen Brennträgern zuerst und dann so schnell wie möglich den Ausstieg aus der Übergangstechnologie Kernspaltung.

Deutschlandradio Kultur: Wir haben eben schon von Bildungspolitik gesprochen, sprechen wir auch mal von Schulpolitik. Warum tritt denn die FDP im Wahlkampf vor allen Dingen gerade in den Ländern damit an, dass sie das Gymnasium retten will? Das ist doch auch gerade eine Zielgruppenpolitik für den Mittelstand.

Johannes Vogel: Na ja, also, erstmal müssen wir sehen, dass die Bildungspolitik der FDP in den Ländern sich durchaus unterscheidet. Wir sind ja für Länderhoheit bei der Schulpolitik, bei der Bildungspolitik. Und wie das so ist in einer demokratischen Partei, die Landesverbände der FDP stellen sich durchaus sehr unterschiedlich auf. Ich glaube, diese Schulstrukturdebatte wird überschätzt. Seit Jahrzehnten wird über Schulstrukturen diskutiert. Ich glaube, zwei andere Dinge sind viel entscheidender, drei eigentlich. Und das sind in meinen Augen auch die Grundsätze – sollten es sein – liberaler Bildungspolitik. Erstens individuelle Förderung, da reden wir über Schüler-Lehrer-Relation. Die Schulstrukturfrage ist nicht so entscheidend wie die Frage, ob eine Klasse 18 Schüler oder 30 Schüler hat. Zweitens Elementarpädagogik, wir sehen doch, dass die Frage der Chancengerechtigkeit sich in erster Linie ganz früh entscheidet, nämlich die Frage, wird man schon früh gefördert, schon vor der Grundschule oder nicht. Da müssen wir in meinen Augen qualitativ hochwertige Angebote für alle schaffen, kostenlos. Das muss die zentrale Antwort erstmal sein. Und das Dritte, was ich dann grundsätzlich sagen würde, wir brauchen auch insgesamt eine gewisse Dynamik im System, auch Kreativität im System, dadurch, dass wir Autonomie für einzelne Bildungseinrichtungen, für Unis, aber auch für Schulen schaffen und dann transparent evaluieren, was ist gut, was ist nicht gut, setzen sich dann entsprechend erfolgreiche Konzepte durch. Man kann sich die Frage stellen, ob gerade in Regionen, wo es vielleicht gar nicht mehr so viele Kinder gibt, drei Linien noch sinnvoll sind. In Nordrhein-Westfalen, meinem FDP Landesverband, diskutieren wir deshalb sehr angeregt darüber, ob wir nicht möglicherweise eine Zweigliedrigkeit des Schulsystems brauchen. Das halte ich für eine richtige, wichtige Debatte. Aber zu glauben, dass die Bildungsfrage, die Chancengerechtigkeitsfrage sich in der ersten Linie an der Frage Gesamtschule oder nicht entscheidet, das ist in meinen Augen eine Fehlanalyse.

Deutschlandradio Kultur: Aber es geht ja nicht alleine nur um Begabung, sondern auch um soziale Defizite in Großstädten, Stichwort Migrantenkinder, gelgeglättete junge Männer, die nicht mal den Hauptschulabschluss schaffen. Welche Angebote machen Sie da jenseits von Schulpolitik? Denn das geht ja tief in die Sozialpolitik hinein.

Johannes Vogel: Das geht tief in die Sozialpolitik. Da müssen Sie dann sehr detailliert auch gucken. Was machen wir mit Angeboten, mit Streetworkern? Was machen wir ganz konkret in der Sozialpolitik der Kommune? Ich glaube, dass wir ein verpflichtendes letztes Kindergartenjahr vor der Grundschule einführen sollten oder zumindest verpflichtende Sprachtests, die feststellen, ist, insbesondere bei Menschen mit Migrationshintergrund, die Chance da, dass der sozusagen das gleiche Startpotential in der ersten Klasse in der Grundschule hat wie alle anderen und dann ein verpflichtendes Vorschuljahr oder ein letztes Kindergartenjahr einzuführen mit Sprachförderung falls das Defizit da ist, falls z. B. die Sprachkenntnis nicht da ist. Da haben Sie einen wesentlichen Punkt, wo Sie gerade in der Frage der Chancengerechtigkeit für Menschen mit Migrationshintergrund einen ganz entscheidenden Schritt voran kommen.

Deutschlandradio Kultur: Wenn wir Ihre Position zum Thema Ökologie, Sozialpolitik, Schulpolitik anschauen, ist dann eigentlich die CDU der richtige Partner auf der Bundesebene?

Johannes Vogel: Ob die CDU der richtige Partner ist hängt in meinen Augen davon ab, mit wem setzen wir unser Programm am ehesten um. Wenn Sie sich das Bundestagswahlprogramm anschauen und da geht es ja nicht in erster Linie um Schulpolitik, dann sind die Übereinstimmungen mit der Union natürlich größer als mit der SPD. Und dann ist es auch richtig den Bürgern das klar zu sagen. Wobei wir ja durchaus in der Partei diskutiert haben, zu welchem Zeitpunkt sagt man das und ich ganz offen sage, wir müssen schon sehr deutlich machen, dass wir nicht als irgendwie Koalition zur Wahl antreten. Natürliche Partner oder derartiges kann es in meinen Augen nicht geben, ganz sicher nicht die CDU.

Deutschlandradio Kultur: Steckt dahinter eine Kritik, die frühzeitige Festlegung der FDP-Spitze auf die CDU? Ärgert Sie das?

Johannes Vogel: Ja, wir haben in den letzten Monaten ja immer diskutiert, dass das nicht zu früh passieren darf. Formell wird das ja auch erst in der Woche vor der Wahl passieren.

Deutschlandradio Kultur: Aber der Zug geht in die Richtung?

Johannes Vogel: Der Zug geht in die Richtung. Die anderen Parteien stellen sich programmatisch auf. Und ich kann auch Programme nebeneinander legen und sehe, dass die Gemeinsamkeiten mit der Union stärker sind. Aber ich mache keinen Hehl draus, dass wir sagen, es darf nicht zu früh vor der Wahl so was erfolgen. Nur irgendwann muss man halt auch demokratische Mehrheitsmeinungen akzeptieren und ich glaube, dass es mittlerweile in der Partei einen breiten Konsens gibt, dass die Union die größeren Übereinstimmungen bei dieser Wahl als Partner bietet.

Deutschlandradio Kultur: Also, die CDU ist Ihr Wunschpartner, nur Sie sagen es noch nicht?

Johannes Vogel: Nein, ich sage, wir müssen deutlich machen, dass wir mit unserem Programm antreten. Und dann gucken wir uns natürlich vor der Wahl an, wo sind die Gemeinsamkeiten größer. So was entscheiden Parteitage in meinen Augen. Der nächste Parteitag, den wir haben, ist der Parteitag eine Woche vor der Bundestagswahl. Da wird die Frage dann entschieden werden und formell beschlossen werden.

Deutschlandradio Kultur: Aber warum arbeiten Sie so lange hart, auch in der Opposition so hart, an einem Profil, um es dann wieder in einer Koalition aufzugeben? Sie haben selbst an die 90er Jahre erinnert. Da war von der FDP nicht mehr viel zu spüren. Da hieß es dann immer: "Wir sind die Partei, die Schlimmeres verhüten will!" Mit Schlimmeres verhüten kriegt man kein Steuerkonzept und kein Bürgergeld durch.

Johannes Vogel: Das ist völlig richtig. Meine Definition von einer Koalition ist auch nicht, dass man dann das eigene Profil aufgibt, im Gegenteil. Eine Koalition, eine Regierungsbeteiligung, um jeden Preis darf es nicht geben. Und ich bin froh, dass das Konsens in der Partei ist. Herr Westerwelle, ich habe es ja am Anfang des Gesprächs schon erwähnt, nennt mehrere Politikfelder, wo für die FDP unverhandelbare Punkte sind. Das halte ich auch für vernünftig.

Deutschlandradio Kultur: Herr Vogel, Sie sind 27 Jahre, kandidieren jetzt erstmals für den Bundestag, haben ein Politikstudium beendet erfolgreich im Frühjahr. Gratulation! Würden Sie sich denn eigentlich als Berufspolitiker bezeichnen?

Johannes Vogel: Ungern! Also erstens, derzeit bin ich garantiert kein Berufspolitiker, weil ich ehrenamtlich 80 Stunden in der Woche Politik aus Überzeugung mache.

Deutschlandradio Kultur: Aber wenn Sie dann drin sind?

Johannes Vogel: Sollten die Wähler mich wählen, da ist ja erstmal die Wahlentscheidung davor, dann bin ich jemand, der Abgeordneter ist, das heißt, der vorübergehend beruflich Politik macht. Aber das heißt für mich nicht, dass ich mein Leben lang das machen muss.

Deutschlandradio Kultur: Also, dann frage ich mal wie der gute Onkel vom Radio: Was wollen Sie denn mal werden, wenn Sie nicht Bundestagsabgeordneter werden?

Johannes Vogel: Ich kann mir verschiedene Dinge vorstellen. Ich gucke mir derzeit natürlich auch Jobmöglichkeiten an, weil, wie gesagt, es alles andere als sicher ist, dass ich in den Deutschen Bundestag einziehe. Z. B. die Beratungsbranche, weil ich das spannend finde, auch mal ein paar Jahre in die Wirtschaft ganz konkret zu schnuppern, auch Fulltime zu schnuppern. Ich finde aber langfristig auch andere Felder spannend, z. B. die Schnittstelle von Wissenschaft und Politik, also, so im Stiftungsbereich sich vielleicht langfristiger über Politik Gedanken zu machen, nicht so mit einem tagespolitischen Druck. Das finde ich auch spannend. Bisher war es so, dass ich immer sozusagen einen Job haben wollte und das wird, glaube ich, auch mein Leben lang so sein, der mir Spaß macht, wo ich aber auch das Gefühl habe, ich mache etwas Sinnvolles. Das war bisher immer, was mich getrieben hat, dass ich nicht sozusagen meine langfristige Perspektive darin sehe, 30 Jahre einen Job zu haben, der mir zwar Spaß macht, aber wo sozusagen der weitergehende Output sich nur am steigern des Gewinns eines Unternehmens misst. Das ist, glaube ich, nicht so mein Bereich. Aber diese Maßgabe lässt sich in vielen Feldern, nicht nur als Abgeordneter, verwirklichen. Und mal gucken, wo es mich hinführt.

Deutschlandradio Kultur: Also, könnten Sie sich auch folgenden Weg vorstellen: Erst mal in den Bundestag, dann im richtigen Leben Erfahrungen sammeln, dann wieder zurück und als Minister noch mal auftreten?

Johannes Vogel: Das wäre ein interessanter Lebensweg, den es, glaube ich, in Deutschland so selten gegeben hat. Sollte ich in den Bundestag gewählt werden, wäre das toll. Ich will auch jetzt hier was verändern und erreichen, gerade im Bereich der Bürgerrechte, das liegt mir persönlich sehr am Herzen. Ich glaube, da kommt es sehr entscheidend auf die nächste Regierung an. Und wenn ich das in zehn Jahren langweilig finde oder das Gefühl habe, hier kannst du doch nicht so viel bewegen, wie du dachtest, dann suche ich mir ein anderes Feld.

Deutschlandradio Kultur: Herr Vogel, wir danken für das Gespräch!

Johannes Vogel: Ich danke für die Einladung!