"Jungen brauchen eben echte Männer"

Reinhard Winter im Gespräch mit Gabi Wuttke · 14.04.2011
Kann ein "Boys'Day" Jungen davon überzeugen, Kindergärtner oder Grundschullehrer zu werden? Der Tübinger Diplompädagoge Reinhard Winter bezweifelt das, weil sich das Image der sozialen oder pädagogischen Berufe durch einen solchen Aktionstag nicht ändere.
Gabi Wuttke: Mehr Frauen auf Vorstandsposten und in Aufsichtsräte, das ist die eine Seite der Gleichstellungsmedaille. Die andere: Wie sieht die Zukunft der Männer aus, die jetzt noch Kinder sind? Denn als Problem stößt inzwischen auf, männliche Bezugspersonen sind in Kitas und Grundschulen immer noch Mangelware und in nicht wenigen Familien fällt der Vater zudem komplett aus.

Am ersten bundesweiten Boys'Day , der Jungen auf dem Weg ins erwachsen werden Orientierungsangebote macht, ist der Pädagoge Reinhard Winter am Telefon. Er ist geschäftsführender Gesellschafter des Sozialwissenschaftlichen Instituts Tübingen. Guten Morgen, Herr Winter.

Reinhard Winter: Guten Morgen, Frau Wuttke.

Wuttke: Ist es zwangsläufig, dass Jungen ohne männliche Vorbilder orientierungslos sind?

Winter: Also wenn sie wirklich völlig ohne männliche Vorbilder wären, dann wäre die Orientierungslosigkeit tatsächlich ziemlich groß. Aber in der Regel haben Jungen ja männliche Gegenüber, nur nicht ausreichend viele.

Wuttke: Was fehlt denn Jungs, wenn sie ausschließlich von Frauen geprägt werden?

Winter: Einfach ein Gespür dafür, ein Erleben, ein Erfahren von Männern. Das muss nicht unbedingt heißen, dass die Männer dann grundsätzlich oder grundlegend anders sind als die Frauen, sondern es sind einfach Männer mit einer männlichen Biographie, mit ähnlichen Themen, die die Jungen auch beschäftigen. Und das wollen sie einfach von richtigen Männern sehen, möglichst nah erlebbar, und nicht irgendwelche Medienbilder oder Medienstars, Idole, die es natürlich auch gibt und braucht. Aber Jungen brauchen eben echte Männer als Gegenüber.

Wuttke: Das heißt, wenn Mama sich für schnelle Motoren interessiert und für die Bundesliga, dann reicht das nicht?

Winter: Das würde in dem Fall wenig helfen. Ja, würde ich auch sagen.

Wuttke: Aber Frauen stehen doch immer stärker ihren Mann!

Winter: Ja, natürlich, und das ist auch gut so. Jungen brauchen natürlich auch Frauen als Gegenüber und auch Frauen, die die Vielfalt des Weiblichen repräsentieren, also nicht nur einen bestimmten reduzierten Typus, genauso wie sie unterschiedliche Männer brauchen, an denen sie sehen können, wie das Männliche sein kann, nämlich so oder so oder so, also am besten eben eine Vielfalt.

Wuttke: Was ist denn das So oder das So oder das So von Erziehern, Lehrern und Vätern im jungen 21. Jahrhundert?

Winter: Also das ist, dass das Stereotyp des Männlichen eigentlich immer weniger Bedeutung hat. Das was früher unter Männlichkeit verstanden wurde, das hat sich mittlerweile geöffnet, und das ist schön so. Also es gibt Männer, die mutig sind, und es gibt Männer, die ängstlich sind. Und es gibt Männer, die ständig fröhlich sind, und es gibt solche, die eher traurig sind. Und es gibt welche, die sehr einfühlsam sind, und andere, die eher aktiv und ständig unter Strom sind. Also das macht die Vielfalt des Männlichen aus.

Wuttke: Und wo sind die verständnisvollen Großväter, die mit ihren Enkeln angeln gegangen sind? Gibt es die eigentlich noch?

Winter: Ja, die gibt es auch, aber die sind schon selten oder noch seltener geworden, weil einfach diese Art von Aktivitäten auch nachgelassen hat. Aber wo sie es gibt, sind die natürlich sehr wichtig vor allem im jüngeren Jungenalter. Wenn die Jungen dann in die Pubertät kommen, können sie oft mit den Großvätern weniger anfangen, müssen sich von denen genauso ablösen und abgrenzen wie von den Vätern.

Wuttke: Also Schwierigkeiten, sich zu orientieren, haben Jungs, entweder wenn die Väter einfach nicht da sind, oder aber, wenn sie Väter haben, die selbst nicht richtig positioniert sind? Habe ich Sie da richtig verstanden?

Winter: Ja, das ist genau so. Also die Väter müssen zum einen wissen, wie wichtig sie sind für die Jungen. Das wissen sehr viele Väter nicht. Die denken, die Jungen brauchen mich irgendwann zwischen 14 und 16 zum Fußballspielen, und das ist falsch. Jungen brauchen die Väter als reflektierte Männer, die auch über ihr Vatersein, über ihr Mannsein nachdenken, sehr früh, ab der Geburt oder besser noch vor der Geburt, die einfach ständig präsent und in Beziehung sind. Das ist eine sehr wichtige Grundlage dafür, dass die Jungen gesund aufwachsen können.

Wuttke: Aber warum glauben Sie, dass es heute junge Väter gibt, die das nicht reflektiert haben?

Winter: Das Hauptproblem ist, dass die meisten jungen Väter nicht ein Vorbild im eigenen Vater haben. Das ist eigentlich immer das Schicksal der folgenden Generation, dass wir oder die jüngeren jeweils sagen, "nicht so wie mein Vater", aber da hat man noch lange kein positives Bild, wie es denn dann sein soll, wie dieses "nicht" dann aussehen soll. Das zu füllen, da haben es viele junge Väter oder Väter überhaupt eher schwer, auch natürlich, weil sich die Männlichkeitsbilder gewandelt haben und die Männlichkeitsbilder der Väter nicht mehr das sind, was die jüngeren Männer in die Welt bringen wollen.

Wuttke: Kommen wir noch mal ganz kurz zur praktischen Orientierungshilfe. Der Studienrat ist ja bei Männern immer noch ein beliebterer Beruf als Grundschullehrer. Und auch der männliche Erzieher ist Mangelware. Sehen Sie, dass sich an dieser Statusfrage zum Beispiel durch den heutigen Boys'Day irgendetwas ändern könnte?

Winter: Also da bin ich eher skeptisch, ob sich da was ändert. Zunächst mal finde ich das gut, dass es das gibt. Die meisten Jungen, die da mitmachen, finden es auch gut, allerdings viele auch deshalb, weil sie egal was, aber was anderes als Schule erleben.

Also als einen Akzent finde ich das durchaus gar nicht schlecht. Ich glaube nicht, dass das insgesamt was groß ändern wird, weil einfach das Image der sozialen Berufe und auch der bildenden Berufe eher schlecht istd. Da muss an anderer Stelle gedreht werden, das kann man auch nicht auf die einzelnen Jungen hinschieben, dass die die Sache ändern müssen, indem sie einmal im Jahr einen Boys'Day erleben. Da, finde ich, greift die Politik eher zu kurz, oder springt zu kurz.

Das ist ein Bereich, das ist in Ordnung und das ist auch wichtig, dass Jungen ein breites Orientierungsspektrum bekommen, was Berufe angeht, aber es müsste noch wo ganz anders angesetzt werden, zum Beispiel in der Elternbildung, was ich auch in dem Buch geschrieben habe, dass es einfach mehr Orientierung für die Eltern braucht, weil die eigentlich den Jungen diese Verunsicherung, oder auch die Fixierung auf Status und diese Image-Probleme schon im frühen Jungenalter einimpfen.

Wuttke: Warum Jungen männliche Vorbilder brauchen und wie eingeschränkt die Möglichkeiten eines Boys'Day s sind, dazu im Interview der "Ortszeit" von Deutschlandradio Kultur der Sozialpädagoge Reinhard Winter vom Sozialwissenschaftlichen Institut in Tübingen. Herr Winter, besten Dank und schönen Tag!

Winter: Vielen Dank, Frau Wuttke! Ebenso. Tschüß!
Mehr zum Thema