Junge Mütter

Faszinierendes Protokoll der Hilflosigkeit

Kind mit Puppe
Die Autorin erzählt die Geschichte eines verlorenen Kindes mit Kind. © dpa / picture alliance
Von Gabriele von Arnim · 15.01.2015
Saskia ist noch ein Teenager. Und alleinerziehende Mutter. Sie ist überfordert mit dieser Situation, schlägt aber jede helfende Hand aus. Kathrin Gross-Striffler erzählt voller Empathie eine Geschichte, die auf kein gutes Ende hinsteuert.
Hin und wieder hört man davon, liest es vielleicht in der Zeitung: Sehr junge Mutter, alleinerziehend und allein gelassen, gänzlich überfordert, rastet aus. Dann nickt man gütig wissend, aber auch rügend vor sich hin. Nach der Lektüre von Kathrin Gross-Strifflers neuem Roman "Zum Meer" weiß man: In unserem wissenden Nicken steckt eine Menge Ahnungslosigkeit.
Die Autorin hat sich in den Chaoskopf einer aufsässig wirren, jungen Mutter eingenistet und hat minutiös den Tumult der Gefühle und Hoffnungen, der bockigen Unsicherheiten, der nervösen Verzweiflung, des Aufbegehrens und des Austickens aufgezeichnet. Entstanden ist ein oft faszinierendes Protokoll der Hilflosigkeit, der Untauglichkeit für ein Leben mit Kind, Ziel und Plan.
Keine Hand, die sie ergreifen könnte
Saskia, noch keine zwanzig, kann kein geordnetes Leben führen. Sie kann ja nicht einmal ihr Zimmer aufräumen, den Müll wegbringen oder Tomatensaucenspritzer vom Herd abwischen. Sie will es auch gar nicht. Denn Ordnung ist spießig, engt ein, vertilgt Freiheit. Ordnung ist was für angepasste Bürgertypen, diese deutschen Kleingeistmuffler, die gar nicht wissen, was Lebensfreude ist. Im Gegensatz zu ihr.
Schließlich hat sie in Brasilien gelebt und geliebt. Hatte einen herrlichen Mann, der Drahtfigürchen am Strand verkaufte - immer wieder auch Drogen oder seinen schönen Körper. Erst als er versucht, Saskia zum Crack zu verführen, rastet sie aus und flieht nach Deutschland. Sie bekommt ihr Kind, kellnert nachts, ist bald am Ende. Keine Hand, die sie ergreifen könnte - und wenn es eine gibt, nimmt sie sie nicht. Saskia dreht durch, lässt ihr Kind in der WG – irgendjemand wird sich schon kümmern. Und wundert sich, als sie zurückkommt, dass man ihr Zimmer vermietet, sie aus der WG ausgeschlossen hat. Schuld sind natürlich immer die anderen.
Die Wirklichkeit wird nicht allzu lang ausgesperrt
Kathrin Gross-Striffler, die für ihren ersten Roman gleich den Alfred-Döblin-Preis erhielt, navigiert mit Geschick und Empathie durch die arg pubertären, oder sollten wir sagen unschuldigen, Lebensvorstellungen ihrer Protagonistin. Die so klug und weichherzig, so halt- wie rücksichtslos ist. Ein verlorenes Kind mit Kind. Hin und wieder fällt die Autorin fast mit hinein in die Klischeeträume ihrer Heldin.
Als diese mit Tochter Mia nach Brasilien reist und dort ekstatische Wochen mit dem Kindsvater und Freunden verbringt, mit einer seligen Mia, weil sie von allen geliebt wird, liest sich das ein wenig wie eine Postkartenidylle. Doch Gross-Striffler ist klug genug, die Wirklichkeit nicht allzu lange auszusperren.
Es hat vor einigen Jahren schon einmal einen Roman zu demselben Thema gegeben - mit fast gleichem Titel. "Meeresrand" hieß er – geschrieben von der Französin Veronique Olmi. Die uns in so betörend schöner Sprache in den kalten Schlund seelischer Verlorenheit führte, dass man als Leser selber begann, in den drohenden Abgrund des eigenen Lebens zu spähen. Das tut man bei Kathrin Gross-Striffler nicht. Dieses Buch ist nicht radikal, aber es ist sympathisch und zeigt erhellend die Not, in die man geraten kann, wenn jugendlicher Lebenstraum und mütterliche Lebenswirklichkeit zu weit auseinanderklaffen.

Kathrin Gross-Striffler: "Zum Meer"
Aufbau Verlag, Berlin 2014
253 Seiten, 19,95 Euro

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