Junge Deutsche kämpfen um Anerkennung

Aufgeben ist keine Lösung

Silas Feirreira da Silva moderiert eine Veranstaltung der YouthBridge.
Silas Feirreira da Silva moderiert eine Veranstaltung der YouthBridge. © YouthBridge
Von Julia Smilga · 21.11.2018
Sie sind jung, talentiert und gut ausgebildet – und kämpfen trotzdem um Anerkennung. Für Deutsche mit Migrationshintergrund sind Akzeptanz und Chancengleichheit immer noch keine Selbstverständlichkeit. Das Münchner Projekt YouthBridge will das ändern.
Ich besuche Ismael Kuzu zu Hause. Der 24-jährige Maschinenbaustudent steht kurz vor seinem Abschluss an der Technischen Universität München, versucht aber trotz Lernstress, kein Treffen von YouthBridge zu verpassen. Ismails Mutter Kadrie, im hellrosa Kopftuch, wartet im Wohnzimmer. Vor ihr auf dem Tisch liegen kulinarische Köstlichkeiten: Poğaça, gefüllte türkische Teigtaschen in jeglicher Art und Form. "Diese hier ist mit Spinat und die andere Käse", sagt Ismails Mutter.
Während sie mir auf meinen Teller einen köstlichen Berg Teigtaschen aufhäuft, erzählt sie dabei ihre Geschichte. Mit ihrem Mann Yusuf lebt sie seit 44 Jahren in Deutschland. Die beiden stammen aus einem kleinen Dorf in der Region Pamukkale im Südwesten der Türkei. Mit 19 haben sie geheiratet, drei Monate später gingen die beiden als Gastarbeiter nach Deutschland. In Dachau fanden sie Arbeit bei einem Emaillierwerk. "Ich bin vor Ismail arbeiten, mit 17 Jahren. Wir haben 20 Jahre später Kind bekommen, nach dem Heiraten."

Kadrie verlor niemals die Hoffnung

Kadrie erzählt, dass sie 13 Mal eine Fehlgeburt hatte. Der Doktor habe schon gesagt, dass sie kein Kind bekommen könne. Doch Kadrie erzählt, dass sie dank ihres Glaubens niemals die Hoffnung verlor, eines Tages doch noch ein Kind zu bekommen. Liebevoll schaut sie dabei zu Ismail herüber. Die beiden gehen behutsam und respektvoll miteinander um, aber sie lachen auch viel, vor allem, als es darum geht, wie Ismail den Übertritt zum Gymnasium schaffen musste. Das war den Eltern wichtig, schließlich hatten sie den Wunsch, dass ihr Sohn eines Tages studieren und eine gute Arbeit finden würde.

Angst vor Vorurteilen

Ismails Vater Yusuf Kuzu stößt nach dem Nachmittagsgebet zu uns. Die Familie ist sehr gläubig, alle beten fünf Mal am Tag. Jede Woche besuchen sie die Moschee in Dachau, die sie auch mit aufgebaut haben. Auch an der Uni findet Ismail Möglichkeiten, zu den vorgeschriebenen Zeiten zu beten – in einem unbenutzten Kellerraum. Dass er so gläubig ist, hab ich bei unseren vorherigen Begegnungen überhaupt nicht mitbekommen. Ismail sagt:
"Ich hab' das Gefühl, dass der Glaube Islam, wenn man das ausspricht, dann sofort negative Gedanken bei den Leuten aufploppen. Ich kann das in gewisser Hinsicht auch nachvollziehen, weil durch die Medien, durch die Sachen, die in der Welt im Namen von Islam passiert sind, was eigentlich nicht so mit dem Islam zu tun hat, sind doch die negativen Infos in Überzahl als die positiven."

Offenheit gegenüber Freunden

Manchmal verstecke er deshalb seinen Glauben:
"Besonders bei Menschen, die ich zum ersten oder zweiten Mal sehe, bringe ich es gar nicht zur Geltung. Und so nach und nach gebe ich das natürlich schon preis, wenn ich die Leute kenne, wenn ich mit denen befreundet bin."

Hoffnung, endlich anerkannt zu werden

Zu Hause ist Ismail viel offener, nicht so förmlich korrekt, wie ich ihn bei Youth-Bridge-Seminaren erlebe. Und so traue ich mich, ihm persönliche Fragen zu stellen: Über seine Religion, sein Verhältnis zur Türkei, und auch, ob er sich als gläubiger Muslim in Deutschland wohl fühlt.
"Ich fühle mich als Deutscher, aber ich weiß nicht, ob der deutsche Staat mich auch so sieht. Ich hab' den Traum, dass ich als vollwertiges Mitglied im deutschen Staat angesehen werden Dazu gilt: Ich hab' Migrationshintergrund, ich habe islamischen Glauben und das ist für mich wichtig. So dass ich sagen kann – wie auch der Christ, wie auch der Jude – ich bin auch ein Teil davon. Das ist mein Wunsch, mein Traum. Und da jetzt die AfD kommt mit 'Islam gehört nicht zu Deutschland', werfen sie einen sehr großen Schatten auf meinen Traum."
Ismails Eltern nicken zustimmend, wobei nicht sicher ist, ob sie wirklich alles verstanden haben.

Unterstützung von den Eltern

Als wir in Ismails sehr ordentlich aufgeräumtem Zimmer sind und er mir seine etwa 20 Medaillen im Turnen, Judo und Fußball zeigt, stelle ich ihm endlich die Frage, die mir die ganze Zeit während dieses Besuches durch den Kopf geht.
"Inwieweit war es für dich möglich, diesen Weg zu gehen, so zielstrebig Gymnasium, Studium, durchzuziehen, nicht irgendwo stehenzubleiben, weil du wusstest, niemand hilft dir sonst? Du hast niemanden hinter dir?"
"Ich habe meine Eltern als meine größten Motivatoren hinter mir gehabt, deswegen."
"Was haben sie gesagt?"
"Aufgeben ist keine Lösung. Das steht nicht in unseren Leitlinien, das darf's bei uns nicht geben, und harte Arbeit."

Seminare fürs Selbstbewusstsein

Beim Youth-Bridge-Projekt, erzählt Ismail, schätzt er vor allem das breite Angebot an verschiedenen Seminaren – von Rhetorik über Crowdfunding bis zur aktuellen Politik.
"Allein, dass man vor Älteren steht und ab und zu Vorträge macht, Moderation, das ist schon extrem wichtig für ihr Selbstbewusstsein. Jedes Mal wächst man über sich hinaus. Ich wünschte, ich hätte mit 14 dieses Projekt gemacht, dann hätte ich mich weitaus mehr entwickelt als wie jetzt."

Großer Auftritt

Es ist ihre erste große Veranstaltung. Silas Ferreira und Natan Bilga haben sich zwei Monate lang mit ihrem Thema auseinander gesetzt, Fragen überlegt und Gesprächsstrategien aufgebaut. Und dann ist es so weit: Ein Auftritt als Moderatoren vor Münchener Publikum im Rahmen der "Langen Nacht der Demokratie". Auch das gehört zum Youth-Bridge-Projekt. Ideen von Teilnehmern aufgreifen und bei der Verwirklichung helfen. Natan Bilga wendet sich ans Publikum:
"Hallo, ich begrüße Sie ganz herzlich im blauen Kinosaal der Hochschule für Film und Fernsehen, zu unserer heutigen Podiumsdiskussion zum Thema 'Gefährdet oder fördert Digitalisierung unsere Demokratie'. Ich bin Natan, ich bin 19 Jahre alt und ich mache dieses Jahr mein Abitur. "
Auch Silas Ferreira ergreift das Wort:
"Ich bin Silas, ich bin 20 Jahre alt, ich habe dieses Jahr mein Fachabitur gemacht und fange ab Oktober an zu studieren. Wir sind beide Teilnehmer des Youth-Bridge-Projekts."

Anders diskutieren

Natan, der aus einer jüdisch-moldawischen Familie kommt und der Deutschbrasilianer Silas wollten sich als Moderatoren einer Diskussionsrunde ausprobieren, in der es anders als in üblichen Talkrunden im deutschen Fernsehen laufen soll. Silas Ferreira sagt: "Uns hat nicht gefallen, wie die politische Diskussion in Deutschland geführt wird. Weil sehr wenig auf den Gegenüber eingegangen wird und sehr viel der eigene Standpunkt dargelegt wird, ohne zuzuhören oder Kritik zuzulassen." "Und es wird auch sehr oft unterbrochen", ergänzt Natan Bilga. "Genau! Es wird sehr oft unterbrochen, die Diskussionskultur hat uns nicht gefallen", erklärt Silas Ferreira. "Und diese Kombination aus Tatendrang und das Gefühl, wir können es eh besser, hat dazu geführt, dass wir uns gedacht haben: Warum machen wir das nicht besser?"

Moderator dank Youth Bridge

Damit sie sich sicher fühlen, bekamen Natan und Sials Unterstützung von YouthBridge. In einem Moderationskurs haben die beiden gelernt, wie Diskussionen funktionieren. Inhalte und Fragen mussten sie sich aber selber überlegen
Trotz Vorbereitung sitzen Natan und Silas jetzt sichtlich nervös auf dem Podium mit drei Experten. Der Saal mit etwa 60 Besuchern ist fast voll. Die Moderatoren stellen ihre Fragen: Wie beeinflussen die Sozialen Medien die heutige Politik? Begünstigen sie den Aufstieg der Rechten? Welche Auswirkungen hat die Datenschutzverordnung wirklich?
Es läuft alles rund, bis die beiden merken, dass ihnen die Zeit wegläuft. Viele Themen bleiben unausgesprochen und die Zuhörer werden ungeduldig, weil sie selber Fragen stellen wollen.

Chaotisches Ende der Diskussion

Die Diskussion endet chaotisch. Manche Zuhörer beschweren sich, dass sie keine Fragen mehr stellen konnten, andere regen sich über Fragesteller auf, die statt Fragen lange Statements verbreiten. Erst beim nächsten Treffen von YouthBridge kann ich Natan nach seinen Eindrücken fragen. Er sagt: "Ich hatte gemischte Gefühle. Einerseits war ich froh, dass ich es gemacht habe und es einigermaßen reibungslos über die Bühne gegangen ist, andererseits waren Leute dabei, die ein bisschen gestört haben und auf Publikumsfragen plädiert haben, die wir nicht eingeplant haben."
Ich frage ihn: "Aber dieses Vorhaben, dass man etwas Besseres machen wollte als das, was im Fernsehen ist, habt ihr das erfüllt?" Natan antwortet: "Ich glaube nein. Das ist harte Arbeit, das ist, was ich noch lange proben müsste. Und deswegen habe ich da jetzt doppelt Verständnis für."
Eine gute Erfahrung war das trotzdem, sagt Natan. Er fühle sich durch das Projekt in seiner Persönlichkeit gestärkt:
"Ich habe einiges gelernt: Ich war in der Kulturgruppe und hab' gesehen, wie man an einem Film arbeitet. Und auch die Sache mit Entwicklung und Durchsetzung von eigenen Projekten, eben diese Podiumsdiskussion bei der 'Langen Nacht der Demokratie'. Der Natan von vor einem halben Jahr hatte sich das nicht zugetraut."
Genau diese behutsame Unterstützung und die Chance, sich selber zu verwirklichen, machen das Youth Bridge Projekt so einzigartig und wertvoll.
(mw)
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