Jung, modern, erfolgreich

Von Carolin Pirich · 28.04.2011
Dem klassischen Konzert läuft das Publikum weg – darüber klagen Veranstalter seit Jahren. Die beiden Studenten Minh Schumacher und Steven Walter glauben zu wissen, woran es liegt. Mit dem "Podium Festival" geben sie der klassischen Musik einen neuen, modernen Rahmen.
"Es ist überall die Rede von der Krise der Klassik, aber es gibt keine Krise vom Schubertquintett. Es ist eine Krise von Menschen, die das machen.

Ich will in 20, 30 Jahren noch ins Konzert gehen und ich möchte nicht deprimiert rausgehen.

Es wäre wünschenswert, dass man in der gesamten Musikszene wegkommt von diesem Elfenbeinturmdenken."

Zwei Männer, eine Mission. Die Kammermusik aus dem Elfenbeinturm retten. Minh Schumacher und Steven Walter stehen in einer fast leeren Wohnung in Berlin-Schöneberg vor einer Kamera, die sie an einer Haushaltsleiter befestigt haben. Sie filmen sieben Blätter ab, die an der weißen Wand kleben. Darauf einfache Zeichnungen für einen kurzen Film, der erklären soll, was sie mit ihrem Podium Festival in Esslingen vorhaben. Die Bilder hat eine Freundin gezeichnet.

"Wir sehen Musiker auf einer Bühne, Leute, die darum stehen und jubeln. Wir haben eine Lichtshow, und wir haben ein DJ-Pult, der zwischen den Live-Acts auflegt."

An der Musik an sich, an der will Steven Walter nichts verändern, sie sei schön so wie sie ist. Nur der Rahmen passe nicht mehr.

"Es gibt keine Interaktion. Unsere Generation ist da anders, wir haben eine plurale Gesellschaft und müssen plurale Formen entwickeln, wie wir die Musik präsentieren. "

Zum Beispiel 150 Gymnastikbälle anstelle von unbequemen Stühlen, auf denen das Publikum beengt sitzt und bis zur Konzertpause schon steif geworden ist.

"Musik ist eigentlich eine körperliche Sache. Man wird schon schräg angeguckt, wenn man sich überhaupt bewegt. Das ist eine Vorstellung von früher, es darf keine Stimmung herrschen. Das passt nicht in unsere Zeit. Wenn sie auf Sitzbällen schwingen können, dann ist das eine tolle Sache."

Minh Schumacher und Steven Walter sind Mitte zwanzig. Beide sehen vor ihren Kaffeetassen etwas müde aus, die Haare kreativ zerzaust, aber das Lächeln entschlossen. Auf dem Küchentisch sind Zettel und Notenpapiere ausgebreitet. Sie organisieren ihr Festival neben dem Studium. Der eine, Minh, ist Medizinstudent in München und leidenschaftlicher Hobbycellist; der andere, Steven, will die Musik zu seinem Beruf machen und studiert in Detmold Cello.

Wenn sie sich besprechen, dann meistens virtuell über das Internet: Videotelefonie. Aber wenn es in den Endspurt geht, so wie jetzt, dann treffen sie sich real. Diesmal in Berlin, in der Wohnung von Minh Schumachers Schwester, wenige Wochen vor der Premiere.

"Was uns antreibt: wie kann man die Hochkultur demokratisieren?"

Es geht den beiden jungen Direktoren nicht nur darum, den Rahmen der Konzerte zu revolutionieren. Es geht auch darum, als junger Musiker das eigene Überleben zu sichern.

"Das ist eine schleichende Unzufriedenheit mit dem Lebenslauf des klassischen Musikers. Es gibt nur zwei Möglichkeiten, entweder man unterrichtet oder man spielt im Orchester."

Ins Orchester schaffen es ohnehin nur wenige Musiker. Die meisten müssen sich als Freiberufler behaupten, indem sie vor allem Kammermusik-Konzerte spielen.

"Aber da wird einem vermittelt, dass das ein sinkendes Schiff ist."

Deswegen der Ausweg, ein eigenes Festival zu gründen. Die Idee dazu kam Steven Walter, als er bei einem Festival an der Westküste von Norwegen spielte. Ein Freund von ihm hat es organisiert, und es war ganz anders als alle Konzerte, bei denen er bis dahin aufgetreten war.

"Das war so schön, so echt, so befreiend. Nicht so gönnerhaft eingeladen zu werden, sondern dass man selbst etwas macht."
Das passt zu Steven Walter: Er ist ein Macher-Typ, wenn auch nicht hemdsärmelig, eher leise. Er trägt eine Idee nicht lange in einem Notizbuch herum, sondern setzt sie in die Tat um. Also schreibt er ein Konzept für ein Festival und schickt es an Veranstalter, Behörden, Sponsoren, Stipendiengeber in Deutschland. Nur einmal kommt eine Antwort zurück: Eine Absage von der Stadt Esslingen. Immerhin. Steven Walter nimmt sie als Anlass, nochmal einen Brief nach Esslingen zu schicken. Jetzt kann er die Stadt von seinem Konzept überzeugen. Er holt Minh Schumacher dazu. Die beiden kennen sich von der Schule in der Nähe von Esslingen, sie hatten auch denselben Cello-Lehrer. So bekommt das neue Musik-Festival zwei Direktoren. Steven ist der Idealist, Minh der Realist.

Alles machen sie selbst: das Programm entwerfen, Musiker aus ganz Europa einladen, Helfer rekrutieren – und mit einem Image-Film Sponsoren werben. Die Mission: die Kammermusik in eine neue Generation zu retten. Der Einsatz: Herzblut. Der Verdienst: Geld bisher jedenfalls keines.

"Das ist eine Freizeitbeschäftigung, aber was uns antreibt, ist scheinbar, dass wir alles ausprobieren können, dass wir selbständig sind, unsere eigenen Chefs. Dann ist es was besonders, wenn man seine eigene Idee verwirklicht sieht."