Juncker fordert Strategie für Schuldenabbau

Jean-Claude Juncker im Gespräch mit Birgit Kolkmann |
Der luxemburgische Premier- und Finanzminister, Jean-Claude Juncker, hat eine klare Strategie zum zukünftigen Schuldenabbau der EU-Länder verlangt. "Es kann nicht so sein, dass wir auf den Schultern der nachwachsenden Generation die Erblast ablegen, die wir jetzt dabei sind zu gestalten", sagte Juncker anlässlich des heutigen Treffens der Finanzminister der Euro-Gruppe in Brüssel. Es komme jetzt wesentlich darauf an, deutlich zu machen, dass Schulden und Haushaltsdefizite eine vorübergehende Notwendigkeit seien.
Birgit Kolkmann: Die Mitgliedschaft im Euro-Club, das sollte für die 16 Länder der Europäischen Union Sicherheit, Wohlstand und Geldstabilität bringen. Die Gemeinschaftswährung Euro hat also in gewissem Sinn eine gemeinsame Finanz- und Wirtschaftspolitik ersetzt. Jetzt, in den Zeiten der Weltwirtschaftskrise, rächt sich bitter, dass es die nicht gibt, und die Unterschiede zeigen sich deutlich.

So müssen schwächere EU-Länder wie Griechenland, Italien, Spanien und Portugal auf dem internationalen Markt für Kredite viel mehr zahlen als zum Beispiel Deutschland, Frankreich oder Großbritannien. Die Kluft tut sich immer weiter auf. Ist die EU inzwischen eine Zwei-Klassen-Gesellschaft? Droht gar ein Kollaps der Währungsunion? Das wollen wir den Vorsitzenden der Euro-Zone fragen, Luxemburgs Ministerpräsident und Finanzminister Jean-Claude Juncker. Schönen guten Morgen!

Jean-Claude Juncker: Guten Morgen!

Kolkmann: Herr Juncker, befürchten Sie, dass schwächere Euro-Länder bankrott gehen könnten?

Juncker: Ich befürchte das nicht. Ich sehe die Gefahr nicht auf uns zukommen. Aber wir müssen diese unbefindliche Zinsentwicklung, dieses Zinsdifferenzial, das Sie eben bei Ihrer Anmoderation angesprochen haben, sehr aufmerksam im Auge behalten. Eine öffentliche Erörterung dieses Themas verbietet sich.

Kolkmann: Sie hatten ja die Idee, gemeinsame Staatsanleihen, also Eurobonds auszugeben. Das aber wollen die reicheren Staaten nicht. Regiert da der Eigennutz?

Juncker: Ich habe Verständnis dafür, dass Deutschland, die Niederlande, Luxemburg, andere sich tugendhaft benehmende Staaten, tugendhaft in der Vergangenheit benehmende Staaten, nicht begeistert sind von der Idee, jetzt solidarisch die Anstrengungen zu bündeln. Aber man muss sehen, dass, falls es zu einem Kollaps käme - ich wiederhole, ich sehe die Gefahr nicht - wir bereit sein müssen, zumindest theoretisch aktiv werden zu können. Darüber wird heute im Rahmen der Euro-Gruppe zu reden sein.

Aber ich bin relativ allergisch gegen die Idee, dass man dies auf öffentlichem Platz erörtern sollte. Weil wenn man darüber redet, dauernd redet, wie Sie es eben getan haben - aber Sie machen Ihren Job - dass die Kollapsgefahr besteht, dann wird sich die Kollapsgefahr schnell auf uns zubewegen.

Kolkmann: Nun wird ja auch beim Finanzsondergipfel am 20. Februar in Berlin nicht nur hinter verschlossenen Türen, sondern sicherlich auch öffentlich geredet werden, auch vorher und nachher. Wird dabei das Thema "keine Solidarität in der Euro-Zone", das Sie ja auch gerade ansprechen, wieder eine Rolle spielen?

Juncker: Ich bin der Meinung, dass wir, weil wir in der Euro-Zone sind, weil wir das gemeinsame Geld kollektiv und solidarisch politisch begleiten müssen, uns mit dem Thema zumindest vom theoretischen Ansatz her beschäftigen müssen. Aber ich wiederhole: Es besteht keine sofortige Gefahr.

Kolkmann: Glauben Sie, dass es jetzt weiter einen fatalen Wettlauf um Kredite geben wird zwischen den Staaten, wenn das mit der Idee der Eurobonds nicht wird?

Juncker: Es wird verschiedene Möglichkeiten geben, die man erörtern muss, um sich auf diese Lage, falls sie dann käme - sie wird wahrscheinlich nicht kommen -, vorzubereiten. Das Gebot der Solidarität gilt.

Es kann nicht sein, käme ein Mitgliedsland der Europäischen Währungszone in Bedrängnis, dass man dem einfach tatenlos zusieht. Es kann auch nicht sein, dass man dieses Land bittet, zum Internationalen Währungsfonds zu gehen, um sich finanziell unter die Arme stützen zu lassen. Wenn Kalifornien vor dem Bankrott steht, dann wird das den USA auch nicht einfallen, sich an den Internationalen Währungsfonds zu wenden. Genauso wird es in Europa sein. Wir müssen eine europainterne Lösung finden.

Kolkmann: Damit haben Sie nun schon die Europäische Union mit den Vereinigten Staaten von Amerika verglichen.

Juncker: Ja. Amerika ist eine Währungszone, wir sind eine Währungszone. Wir müssen uns annähernd gleichsam in die Zukunft bewegen.

Kolkmann: Stichwort USA. Wir haben ja auch eben über das Konjunkturprogramm Obamas berichtet. Haben Sie den Eindruck, dass im Augenblick die USA sehr mit sich beschäftigt sind, Europa aber ebenfalls auch mit sich, und jeder sehr schaut, wie er sein eigenes Reich schützt?

Juncker: Es wird Sache des G7-Finanzministertreffens am folgenden Freitag in Rom - an dem ich teilnehme - sein, um auch transatlantische Solidarität herzustellen. Die USA sind selbstverständlich mit sich selbst intensiv beschäftigt, was ja auch angesichts der verworrenen wirtschaftlichen Lage in den USA absolut verständlich ist. Wir sind mit uns beschäftigt, haben aber das, was in Washington geschieht, sehr genau im Auge. Man wird darüber reden müssen, wie sich diese Konjunkturpakete ergänzen können.

Kolkmann: Sie gehören ja eher zu den bedächtigeren Finanzpolitikern, auch mal gelegentlich zu den Mahnern. Im Augenblick geht es ja auch darum, dass wieder über Schuldenabbau und Stabilitätsgrenzen gesprochen wird, obwohl ja im Moment die meisten EU-Staaten dabei sind, die Stabilitätsgrenzen des Paktes zu reißen, eben vor dem Hintergrund der Krise. Denken Sie im Augenblick wieder stärker daran, dass wir auch an die Zukunft denken müssen und Schulden irgendwann begrenzt sein sollten?

Juncker: Wir haben den Wachstums- und Stabilitätspakt im März 2005 reformiert und novelliert, um auf Lagen wie diejenige, in der wir uns jetzt befinden, adäquat reagieren zu können. Es ist nicht so, dass man nicht vorübergehend das Drei-Prozent-Limit, wie Sie sich ausdrücken, reißen könnte. Tatsache ist, dass wir jetzt konjunkturpolitisch eingreifen müssen, wenn das Kreditgewerbe und wenn der allgemeine Wirtschaftsbetrieb nicht normal funktionieren. Dann muss der Staat in die Nachfragelücke springen. Er muss dafür sorgen, dass der Kreditlauf wiederhergestellt wird.

Dazu müssen die Banken mehr tun, als sie zurzeit tun. Wir müssen dafür sorgen, dass die Realwirtschaft mit adäquater Kreditierung ausgestattet wird, und um dies zu erreichen. Und um auch dafür zu sorgen, dass Wirtschaft überhaupt noch stattfindet, müssen Konjunkturpakete aufgelegt werden. Das haben wir in Europa getan, dadurch, dass wir beschlossen haben, dass bis zu 1,5 Prozent des europäischen Bruttosozialproduktes in Bewegung gebracht werden können, um genau dies zu tun.

Kolkmann: Das soll der Effekt sein. Keiner weiß bislang, ob das auch so eintritt. Was befürchten Sie an möglichen negativen Konsequenzen einer exzessiven Schuldenpolitik?

Juncker: Es wird eintreten, dass die Konjunkturprogramme auf den Weg gebracht werden. Das ist in Deutschland so, das ist in Frankreich so, das ist in den Niederlanden so, das ist sonst wo so. Dies geht einher mit einer Ausweitung der Haushaltslücken, die zu decken sein werden durch eine stärkere Inanspruchnahme des Instruments der Nettokreditaufnahme. Unsere Schuldenstände werden steigen, unsere Defizite werden breiter werden.

Und es kommt jetzt wesentlich darauf an, aus Gründen auch der mittelfristigen Glaubwürdigkeit, dass wir deutlich machen, dass dies eine vorübergehende Notwendigkeit ist, zu der es keine andere Option gibt - aber dass wir jetzt schon verabreden, wie wir uns denn aus dieser Defizit- und Schuldenfalle, die es objektiv gibt, wieder herausbewegen werden.

Es kann nicht so sein, dass wir auf den Schultern der nachwachsenden Generation die Erblast ablegen, die wir jetzt dabei sind zu gestalten. Es muss deutlich gemacht werden, dass, auch wenn es zurzeit keine operationelle Alternative zu stärkerer Schuldenaufnahme gibt, dass dies ein vorübergehendes Moment in der europäischen Finanzgeschichte ist, dass wir uns aber mittelfristig betrachtet wieder aus dieser Lage herausbewegen müssen. Dies ist wesentlich für die Glaubwürdigkeit europäischer Finanzorthodoxie. Und dies ist wesentlich, um Vertrauen, zukünftig wachsendes Vertrauen herzustellen.

Kolkmann: Vielen Dank! Das war Luxemburgs Ministerpräsident und Finanzminister Jean-Claude Juncker, vor dem heutigen Treffen der Finanzminister der Euro-Zone, deren Vorsitzender er ist. Danke dafür.

Juncker: Bitte sehr.