Julya Rabinowich

"Heimatgefühl mache ich nicht an Ländern fest"

Die Schriftstellerin Julya Rabinowich
Die Schriftstellerin Julya Rabinowich © Deutschlandradio / Nils Heider
Moderation: Susanne Führer · 24.10.2016
Die Schicksale von Migranten lassen die Wiener Autorin Julya Rabinowich nicht los. In ihrem neuen Roman "Dazwischen: Ich" geht es um ein Mädchen, das mit seinen Eltern als Flüchtling nach Österreich kommt und das für die Erwachsenen zur Verbindung mit der Welt außerhalb des Flüchtlingsheims wird.
Rabinowich schrieb die Geschichte der 15-jährigen Madina, um die Lebenswelt eines Flüchtlingsmädchens jungen Menschen nahe zu bringen:
"Jugendliche vergessen, was es heißt, wenn es keinen Frieden gibt, wenn es schwere Armut gibt, wenn Menschen täglich in Lebensgefahr sind in einem Kriegsgebiet, wenn man seinem Nachbarn nicht mehr trauen kann. Das ist etwas, das es hier auch gegeben hat, aber es so lange her, dass sich nur noch Zeitzeugen daran erinnern. Die Zeitzeugen sterben. Wir haben nur noch wenige Menschen, die uns das glaubwürdig und lebendig weitergeben können. Das fand ich sehr gefährlich. Diese Generation wird groß mit Mord und Totschlag im Fernsehen, in den Nachrichten, in den Filmen, aber nicht mit der realistischen Empfindung einer Bedrohung, die Krieg und Gewalt im Endeffekt bedeuten."
Die Schriftstellerin Julya Rabinowich (rechts) im Gespräch mit Susanne Führer
Die Schriftstellerin Julya Rabinowich (rechts) im Gespräch mit Susanne Führer auf der Frankfurter Buchmesse© Deutschlandradio / Nils Heider
Madina stehe für sie Pate für viele Kinder, denen sie während ihrer Tätigkeit als Dolmetscherin in Wien begegnet ist. Rabinowich arbeitete als Russisch-Dolmetscherin in sozialen und psychiatrischen Hilfsdiensten. Sie hat bei Psychotherapie- und Psychiatriesitzungen zwischen Therapeuten und Klienten übersetzt. Dabei hat sie viel gelernt über die Erfahrungen der Menschen, die alles hinter sich gelassen hatten, um in Wien ein neues Leben aufzubauen.
Rabinowich selbst kam als Kind von Leningrad nach Wien. Dort hat sie ein Übersetzerstudium absolviert und Malerei studiert.
"Diese Kinder und jungen Menschen, denen ich in der Therapie begegnet bin, und die meistens aus Tschetschenien kamen, haben sich mir eingebrannt. Ihre Kämpfe, das, was sie umgetrieben hat, die Chancen, die sie hatten - und die Schwierigkeiten, diese Chancen auch zu ergreifen - das habe ich jahrelang mitverfolgt. Es war mir unglaublich wichtig, diese Erfahrungen in diesem Buch unterzubringen."

Politische Lage in Österreich "gefährlich"

Die aktuelle politische Situation in Österreich schätzt Rabinowich als "äußerst gefährlich" ein. Mit Blick auf die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen und die Chancen des Kandidaten der FPÖ, Norbert Hofer, sagt die Schriftstellerin:
"Ich weiß nicht, wie man einen solchen Kandidaten nach wie vor zu fast 50 Prozent unterstützen kann. Er erkennt die österreichische Nation nicht an, er ist Teil einer Burschenschaft, die sich als Deutschland betrachtet. Er hat rechtsextreme Verbindungen, die 'Identitären' sind immer wieder auf seinen Wahlkampfveranstaltungen zu sehen. Es ist ein sehr schiefes, sehr hässliches Bild und Menschen, die stark dagegen aufbegehrt haben, haben durchaus schon eine Gegenströmung zu spüren bekommen."