Julia Klöckner: Schäuble soll Finanzminister bleiben

Julia Klöckner im Gespräch mit André Hatting |
Die stellvertretende CDU-Vorsitzende Julia Klöckner lobt Wolfgang Schäubles Arbeit als Finanzminister - und fordert, dass er das Amt auch in der künftigen Regierung behält. Doch sie sagt auch: "Handschrift zeigt sich nicht in Posten - oder nicht nur."
André Hatting: Die neu gewählten Abgeordneten haben die erste Sitzung im Bundestag hinter sich, einen neuen Präsidenten haben sie auch gewählt, es ist wieder Norbert Lammert geworden. So weit, so gut. Aber wenn die Parlamentarier nach vorne gucken, links neben das Rednerpult, dann sehen sie dort leere Stühle. Die Regierungsbank ist unbesetzt. Die Bundesrepublik wird im Augenblick von einer Kanzlerin und von Ministern regiert, die vom Bundespräsidenten bereits entlassen worden sind. Das muss sich natürlich schnell ändern, heute beginnen Union und SPD ihre Koalitionsverhandlungen. Mit dabei die Vizechefin der CDU, Julia Klöckner. Guten Morgen!

Julia Klöckner: Hallo, guten Morgen, ich grüße Sie, Herr Hatting!

Hatting: Sie haben in den letzten Tagen mehrfach gefordert, dass "mehr CDU- und CSU-Handschrift aus einem Koalitionsvertrag herauskommen muss als SPD-Handschrift". Also: Zwei Drittel Ministerien für die Union, ein Drittel für die SPD?

Klöckner: Handschrift zeigt sich nicht in Posten, oder nicht nur. Handschrift zeigt sich in den Inhalten. Und ich finde es relativ logisch, wenn die Wählerinnen und Wählern die Union mit über 40 Prozent ausgestattet haben, die Kollegen der SPD mit unter 30, dass dann auch ein bisschen mehr Wählerwille dann im Koalitionsvertrag auch lesbar sein muss.

Hatting: Zum Beispiel, dass man das Wichtigste oder eines der wichtigsten Ministerien, nämlich das der Finanzen, behält?

"Erst mal spielen die Inhalte eine Rolle"
Klöckner: Sie kommen wieder zu den Posten. Netter Versuch! Erst mal spielen die Inhalte eine Rolle, dann kommen wir zum Ressortzuschnitt, und dann kommen wir zu den Personen. Aber um Sie nicht ganz zu enttäuschen: Ich bin schon der Meinung, dass Wolfgang Schäuble einen hervorragenden Job gemacht hat. Er hat ein Ansehen auch innerhalb Europas, und seine Stimme zählt. Ich sehe keinen Grund, dass wir ihn nicht behalten sollten an dieser Stelle.

Hatting: Und um Sie, Frau Klöckner, jetzt nicht zu enttäuschen, werden wir thematisch. Wo werden Sie die Hand führen jetzt? Zum Beispiel beim Mindestlohn.

Klöckner: Ja, Hand führen muss man ja meist nur dann, wenn etwas unterschrieben wird, und zwar in nicht guten Zeiten, und da hoffen wir, dass jeder selbst seine Hand führen kann. Wir werden natürlich miteinander ins Gespräch kommen, was Mindestlohn anbelangt, aber für uns ist ganz wichtig, dass das Thema Steuererhöhungen vom Tisch ist. Denn in Zeiten höchster Steuereinnahmen müssen wir den Bürgern nicht noch mehr Geld wegnehmen.

Hatting: Sigmar Gabriel hat aber noch mal vor Beginn dieser Verhandlungen gesagt, dass diese Verhandlungen nicht der Verzicht auf Positionen sei, und es gibt viele in der SPD, die sagen, nee, nee, Erhöhung und möglicherweise auch Vermögensteuer, die wollen wir schon haben. Das wollen Sie aber wegbügeln?

"Ich glaube, wir sind auf beiden Seiten Realisten"
Klöckner: Also, dass die SPD das vorhat, auch gerade, weil sie ja ihren Parteikonvent gehabt hat, dass das auch, sagen wir mal, zur inneren psychologischen Hygiene gehört am Anfang, das ist ja verständlich, aber Koalitionsverhandlungen heißen ja deshalb so, weil man jetzt beginnt mit dem Verhandeln.

Und es wird sicherlich wenig Sinn machen, wenn jede Partei mit großen Grußadressen und roten Linien in diese Gespräche geht. Ich glaube, wir sind auf beiden Seiten Realisten, dass man zusammenkommen muss.

Hatting: Mal ein Thema, wo Sie mit der SPD sicherlich an einem Strang ziehen könnten, nämlich die Flüchtlingspolitik. Brauchen wir eine Reform des Asylgesetzes, Frau Klöckner?

Klöckner: Ich persönlich meine, ja. Dass wir sie brauchen, aber jetzt weg vom Einzelfall, was Lampedusa anbelangt. Ich bin der Meinung, dass, sagen wir mal, Verteilungsgerechtigkeit unter den europäischen Staaten, wenn es darum geht, die Lasten zu teilen, nicht nur rein geografisch beantwortet werden kann, Dublin hin oder her. Aber das ist eine sehr, sehr komplexe Fragestellung. Es geht um die Frage, welche Zukunft – Kontinent Afrika – wie viele Menschen sind dort auf der Flucht, und was können wir alle leisten, damit die Menschen auch in ihrem Land eine Zukunft haben?

Hatting: Was kann Deutschland leisten?

Klöckner: Ja, das heißt, guter Gesprächspartner und Koordinator zu sein in dieser Frage. Denn es hilft nichts, wenn jeder sich abduckt. Und Deutschland kann zum Beispiel vieles leisten dadurch, dass wir eine gute Entwicklungspolitik haben und auch darüber nachdenken, welche Rolle der Entwicklungshaushalt spielt bei uns.

CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe (re.) und CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt
Kommt es zu einer Großen Koalition (hier CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe (rechts) und CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt)© picture alliance / dpa / Kay Nietfeld
"Angst ist ja eine schlechte Kategorie"
Hatting: Morgen und übermorgen wollen die EU-Staats- und Regierungschefs in Brüssel über die Flüchtlingspolitik sprechen. Im Entwurf der Abschlusserklärung liest man, dass Sie das Thema wieder an die EU-Innenminister zurückverweisen wollen. Gehört zur Verantwortung Deutschlands auch, dass dieses Pingpongspiel aufhört und man sich stark macht für eine gemeinsame EU-Einwanderungspolitik?

Klöckner: Das ist ja in der Verantwortung von allen, und ich würde jetzt nicht sagen, wenn etwas bei den EU-Innenministern angesiedelt ist, dass das etwas Minderwertiges ist oder dass das per se ein Pingpongspiel ist.

Ich persönlich habe bereits vor Längerem gefordert, dass wir einen europäischen Flüchtlingsgipfel bräuchten, um genau das auf die Tagesordnung zu setzen. Und da sind ganz, ganz viele gefragt. Deutschland hat selbst viele Flüchtlinge bereits auch aufgenommen. In Italien gehen viele Anfragen ein, aber stattgegeben sind noch nicht so vielen Anfragen, Asylanträgen, insofern gehört da erst mal Fakten auf den Tisch und die Bereitschaft von allen, sich ein bisschen der Menschlichkeit, ein bisschen stärker auch zuzuwenden.

Hatting: Lassen Sie mich zum Schluss des Gesprächs noch einmal zurückkommen auf die konkreten Verhandlungen jetzt mit der SPD. Diesmal sind es 75 Politiker, die da miteinander ringen. 2005 waren das noch 32. Haben Sie jetzt beide mehr Angst voreinander oder warum diese aufgeblähte Verhandlungsdelegation?

Klöckner: Ach, Angst ist ja eine schlechte Kategorie, ein schlechter Ratgeber, wenn es um politische Verhandlungen geht. Es sind große Fragestellungen, große Themen, und wir werden in zwölf Unterarbeitsgruppen auch noch gehen. Sie haben wohl recht, dass eine Güte oder Qualität einer Verhandlung nichts mit der Quantität zu tun hat. Aber jetzt diese Größe dieser Runde spricht jetzt noch nicht gegen eine Qualität der Ergebnisse oder der Verhandlungsführung.

Hatting: CDU und CSU entscheiden wahrscheinlich auf kleinen Parteitagen über den Koalitionsvertrag, die SPD lässt ihre Mitglieder darüber abstimmen. Also Sie lassen da jetzt in den nächsten Wochen die Köpfe rauchen, verhandeln mit harten Bandagen, wägen jeden Kompromiss sorgfältig ab, und dann sagt die SPD-Basis vielleicht einfach Pustekuchen - wie finden Sie das?

Klöckner: Ich weiß nicht, was die SPD sagen wird und wie man das zu finden hat. Die SPD hat halt für sich entschieden, den SPD-Basismitgliedern dämmert es aber langsam, dass das ja gar keine richtige Befragung ist. Die SPD-Mitglieder können entweder nur Daumen hoch oder Daumen runter machen. Keine Halbsätze ändern oder noch etwas an Änderungsanträgen reingeben.

Und wenn die Mitglieder den Daumen nach unten machen, kann die komplette SPD-Führung zurücktreten. Ich glaube, Frau Kraft ist jetzt langsam auch gedämmert, dass sie sich selbst etwas in eine Zwickmühle manövriert hat.

Hatting: Julia Klöckner, stellvertretende Vorsitzende der CDU. Ich danke Ihnen für das Gespräch!

Klöckner: Sehr gerne. Schönen Tag Ihnen!

Hatting: Ebenso!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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