Jugendwörter 2023

Darf er so?

Jugendliche gehen eine Straße entlang.
Ey Diggah, was geht? Jugendsprache ist immer wieder für Überraschungen gut und entwickelt sich beständig weiter. © picture alliance / dpa / Stanislav Kogiku / picturedesk.com
Ein Kommentar von Katharina Herrmann · 05.09.2023
„Sus“, "Diggah" oder "Yolo" - Katharina Herrmann hat gelegentlich Zweifel, ob sie die Jugendlichen von heute noch versteht. Trotzdem oder gerade deswegen hält die Lehrerin und Literaturbloggerin den Jugendslang für kreativ und lebendig.
Manchmal merke ich, dass ich älter werde – und nein, ich spreche jetzt nicht von Rückenschmerzen. Ich meine eine Situation wie die, die ich in meinem Beruf als Lehrerin vor einiger Zeit erlebt habe: Ein Schüler sagte beim Besprechen von Erich Kästners „Emil und die Detektive“ zu mir, auf den Illustrationen sehe Emils Großmutter „ganz schön sus“ aus, sie stecke bestimmt auch hinter dem Diebstahl, den Emil aufzudecken versucht.

Mit 38 zu langsam für die "Jugend von heute"?

„Sus“ war mir neu, der Schüler musste es mir erklären: Das bedeutet, dass die Großmutter verdächtig aussehe. Da habe ich etwas Neues gelernt – und gleichzeitig das Gefühl bekommen, mit meinen 38 Jahren langsam „diese Jugend von heute“ nicht mehr richtig zu verstehen.
„Sus“ stand im Jahr 2021 auf der Liste der vom Langenscheidt-Verlag zusammengestellten zehn Jugendwörter, aus denen dann das Jugendwort des Jahres gewählt wird.
2023 Jahr stehen zehn neue und alte Wörter zur Auswahl: So enthält die Top-Ten-Liste der Jugendwörter heuer einen Klassiker wie „Digga“ als Anrede für einen Freund. Das Wort fand sich schon 2021 unter den Top Ten und ich kenne es – ausgesprochen als „Dicker“ – noch aus meiner Jugend.
Nahezu entgegengesetzt ist dagegen das Akronym „NPC“ zu verstehen, das „Non-Player-Character“ bedeutet und eine unwichtige Person bezeichnet. Daneben finden sich bereits gängige Anglizismen wie „slay“ als Ausdruck von Bewunderung oder „side eye“ als Bezeichnung für Missbilligung.

Die Jugendsprache gehört den Jugendlichen

Und ein side eye würde ich wohl auch gerade von meinen Schülerinnen und Schülern ernten, wenn sie diesen Beitrag hören würden, in dem ich als Lehrerin Jugendwörter benutze. Denn Jugendsprache ist mitnichten ein Anzeichen dafür, dass die jungen Leute kein „richtiges“ Deutsch mehr können. Im Gegenteil, sie ist ein innovativer Soziolekt, den Jugendliche durchaus souverän und situationsangemessen an- und ablegen können.
Nicht umsonst geht jedes Jahr das Video, in dem Susanne Daubner in der Tagesschau mit großer Ernsthaftigkeit die zehn Jugendwörter des Jahres verliest, gerade auch unter Jugendlichen viral: Die Videos sind lustig, weil sie Jugendsprache in einem Kontext zeigen, in den sie eigentlich nicht gehört. Jugendliche wissen: Die Jugendsprache gehört ihnen. Mit Erwachsenen und in der Schule sprechen sie fast immer anders – und können das auch.

Ausdruck von Lebendigkeit

Auch wenn ich verstehen kann, dass man zunehmend das Gefühl hat, die Jugendlichen nicht mehr zu verstehen, wenn sie miteinander sprechen: Weder wird der Einfluss von Anglizismen die deutsche Sprache auflösen, noch werden ihre grammatikalischen und syntaktischen Strukturen verkümmern, nur weil Jugendliche „Darf er so?“ sagen – auch das ist eines der nominierten Jugendwörter, es ist ein Ausdruck der Verwunderung. Sprachen haben sich schon immer weiterentwickelt und wechselseitig beeinflusst, alle Sprachen sind voller Lehn- und Fremdwörter – das ist ein Ausdruck ihrer Lebendigkeit. Und wenn ein Teenager die Formulierung „Darf er so?“ verwendet, heißt das nicht, dass er das gute alte „Oha!“ nicht mehr kennt.

Witzige Wörter, treffende Formulierungen

Die Liste der nominierten Jugendwörter ist jedenfalls jedes Jahr eine Einladung, neue, oft witzige und treffende Wörter und Formulierungen kennenzulernen. Denn wenn ich von meinen Schülerinnen und Schülern verlange, sich auf die Sprache Goethes und Schillers einzulassen, deren Verständnis sie durchaus vor Herausforderungen stellt, dann dürfen sie auch von mir als zunehmend alter Frau erwarten, dass ich ihrer sprachlichen Kreativität offen gegenübertrete.

Katharina Herrmann studierte evangelische Theologie und Germanistik, ist Literaturbloggerin auf kulturgeschwaetz.de, freie Kritikerin und Deutschlehrerin.

Eine Frau mit Brille schaut in die Kamera: die Kritikerin und Buchbloggerin Katharina Herrmann
© privat
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