Jugendtheaterstück über die deutsch-deutsche Geschichte
20 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer bestehen bei Jugendlichen erhebliche Wissenslücken über die DDR. Ziel des Theaterstückes "Lilly unter den Linden" ist es daher, die Lebensrealität der DDR-Bürger zu vermitteln. Zugleich will das Stück Mut machen, das Leben selbst in die Hand zu nehmen, sagt Regisseur Philippe Besson.
Britta Bürger: "Lilly Unter den Linden", ein Jugendtheaterstück, das sich 20 Jahre nach dem Fall der Mauer mit der deutsch-deutschen Geschichte befasst. Regisseur Philippe Besson inszeniert es gerade am Berliner Grips-Theater und ist heute Vormittag unser Gast. Schönen guten Tag, Herr Besson!
Philippe Besson: Hallo, guten Tag!
Bürger: Was hat Sie an dieser Ost-West-Familiengeschichte gereizt, interessiert?
Besson: Das fängt an bei dem Spielort, das ist das ehemalige HdJT, das Podewil, und da habe ich meine späte Jugend verbracht. Und da zieht es mich schon mal wieder hin oder es amüsiert mich auf jeden Fall.
Bürger: Ein Theater ein Ostberlin.
Besson: Genau.
Bürger: Warum dieses Stück?
Besson: Dieses Stück, na ja, da kommen viele Sachen zusammen. 20 Jahre Mauerfall, 40 Jahre Grips. 20 Jahre Mauerfall: Ich habe die Mauer erlebt natürlich, ich war 20, als ich die DDR verlassen habe. In diesem Stück wird, glaube ich, für junge Leute, 13-Jährige, sehr genau und sehr gut erzählt, was es für Dimensionen waren, was eine Mauer bedeutet haben kann, schon anhand einer sehr einfachen Geschichte.
Bürger: 20 Jahre nach dem Mauerfall wissen die meisten Jugendlichen viel zu wenig über die DDR, das belegt eine Studie des SED-Forschungsverbunds der Freien Universität Berlin, und hat mit dieser Aussage im vergangenen Jahr ja ziemlich viel Staub aufgewirbelt. Deckt sich das mit Ihren eigenen Erfahrungen, dass Jugendliche viel zu wenig wissen über die DDR?
Besson: Na ja, klar, das spüren wir schon, also es ist sehr unterschiedlich. Wir hatten verschiedene Klassen schon drin, und da merkt man schon, so eine Klasse aus Ostberlin, wo der Elternanteil sehr hoch ist von den Leuten, die aus der DDR kommen, dass das sehr unterschiedlich ist. Und die Leute, die aus dem Westen, also West-Klassen, haben fast gar keinen Einblick und keine Informationen darüber. Natürlich haben die in der Schule schon ein paar Informationen, aber es ist doch sehr dürftig.
Ich kann es nicht kompensieren in meiner Inszenierung oder wir in unserer Arbeit, dass die so einen Wissensstand haben über die DDR. Aber wir können irgendwie doch - und ich will auch keinen Geschichtsunterricht betreiben, weil ich das doch relativ langweilig fände, und gar nicht didaktisch sein -, aber so ein paar Situationen und so ein paar Geschichten oder eine wirkliche Geschichte können wir da erzählen, um die Leute da ranzuführen und zu interessieren und zu sagen, es ist doch nicht immer nur dieser ewige Unrechtsstaat, die Diktatur, sondern da gab es Menschen, die sich so und so damit auseinandergesetzt haben, und ja, wie haben die Leute damit gelebt.
Bürger: Aber kann man das nicht nur machen, wenn schon ein Wissen über den Unrechtsstaat vorhanden ist?
Besson: Ja, ich weiß nicht, muss man sich mal überlegen, ob man unsere Inszenierung oder diese Produktion wirklich so machen könnte, wenn man voraussetzt, dass sie nichts wissen. Ich glaube schon. Es ist sehr hilfreich, wenn die was wissen. Und ja, mit 13, hm, es ist dürftig. Aber es ist so ein Stand da, dass ich da ansetzen kann.
Bürger: Lilly kommt nach Ostberlin. Was für eine Gesellschaft findet sie denn vor?
Besson: Na ja, ganz klar, es zeichnet sich ab in dieser Familie, das sind so ein bisschen aufgeklärte Leute, die konfrontiert sind mit der Stasi. Und in so eine doch ein bisschen Ausnahmesituation kommt sie rein. Also sie sieht nicht den Normalalltag erst mal, sondern sieht wirklich eine Familie, die natürlich irritiert ist, und bringt alles durcheinander. Sieht aber doch ein bisschen was von der DDR, sie hat eine Zugfahrt nach Jena, ist alles 1988, und nimmt das peripher wahr. Aber wird sofort konfrontiert mit Ausnahmesituationen in der DDR, weil es war ja schon die Ausnahme, wenn auf einmal der Stasi-Mann in der Tür steht oder der ABVer, der Abschnittsbevollmächtigte - was wir auch in dem Stück erklären, was das ist - einfach da vor der Tür steht. Und das wird dieses sogenannte West-Kind konfrontiert. Und das ist teilweise ganz amüsant. Und die stellt natürlich auch sehr naive Fragen.
Bürger: Zum Beispiel?
Besson: "Was ist ein Intershop?" oder "Ihr dürft mit euerm Geld nicht in diesen Intershops einkaufen?" und "Ihr müsst zwölf Jahre auf ein Auto warten?" Und der kleine Junge, der aus dem Osten ist, der in Jena wohnt, der sagt: Na klar, das ist so, man muss nur Geduld haben, das ist schon gut so. Also das ist so mit einem gewissen Humor auch, dass die das hupps - also die Leute nehmen es irgendwie, wie es ist, setzen sich damit auseinander, auch mit einem gewissen Humor, oder, ja, das ist es so.
Bürger: Und ist Lilly gedacht als eine Identifikationsfigur, den Jugendliche heute in dem Gedankengang folgen, ja, das war auch tatsächlich eine Möglichkeit, in der DDR zu leben, ohne schlecht zu leben?
Besson: Ja, das hoffe ich schon. Also ob sie eine Identifikationsfigur ist, das werde ich sehen, das hoffe ich sehr, ich glaube schon. Aber ich hoffe sehr, dass man sieht, dass die Jugendlichen von heute sehen eben, dass durchaus ein normales Leben möglich war und ein schönes Leben möglich war. Weil ich zum Beispiel gehe von mir aus, und ich hatte vielleicht Glück und mehr Glück als andere, und ich war sehr glücklich in der DDR. Also meine Jugend und Kindheit war sehr schön.
Bürger: Wie begegnen Sie der Gefahr, die DDR nicht schönzufärben?
Besson: Da ist einfach schon von der Autorin vorgegeben eine sehr kritische Sichtweise, einfach so, dass die DDR-Leute, dass man sieht, dass da jemand in die Stasi-Arbeit reinrutscht - das zeige ich schon, dass er reinrutscht und nicht passé das Böse an sich ist, sondern reinrutscht. Das möchte ich schon zeigen. Da sind so einige sehr kritische Ansätze, wo die sich mit dem System auseinandersetzen und die Ungereimtheiten und die unangenehmen Sachen dieses Systems einfach in so eine Familie reinschwappen. Und das sieht man sehr deutlich, und das ist nicht nur angenehm.
Bürger: Zu Gast im Deutschlandradio Kultur ist heute der Theaterregisseur Philippe Besson. 20 Jahre nach dem Fall der Mauer inszeniert er derzeit in Berlin ein Jugendtheaterstück über die deutsch-deutsche Geschichte. Sie selbst, Herr Besson, haben es angedeutet, 20 Jahre Ihres Lebens haben Sie in der DDR verbracht, geboren 1962, also kurz nach dem Mauerbau. 1983 sind Sie dann mit der Familie in die Schweiz übergesiedelt. Sie haben gesagt, in der DDR haben Sie nicht schlecht gelebt, Sie hatten eine schöne Kindheit. Inwieweit hat Sie diese Kindheit bis heute geprägt?
Besson: Ja, ich war so ein bisschen so ein, wie sagt man, so ein Edel-Ostler. Ich hatte Privilegien und durfte über meinen Vater, da der Schweizer war, einmal im Jahr so eine Sommerferienreise in den Westen machen. Und das war schon sehr speziell, und das war sehr aufregend. Und ich merkte schon, ich bin da was Besonderes, weil ich war der Einzige an meiner Schule, der einfach mal die andere Seite vom Vorhang gucken durfte. Das hat mich natürlich, diese Mischung, in der DDR ganz normal in die Schule zu gehen und so ein Privileg zu haben, hat mich natürlich sehr geprägt. Ich weiß nicht, was das für meinen Blick heute noch heißt, aber ich habe die Welt immer mit ein bisschen anderen Augen gesehen.
Bürger: Haben Sie selbst Kinder?
Besson: Ja, eine Tochter. Die muss sich das jetzt immer alles anhören von mir. Guck mal da, so, und hier das, und so war die DDR - so ein bisschen wie die Mutter in dem Stück: Denk nie daran, dass die Mauer normal ist oder normal war.
Bürger: Auf welche Weise vermitteln Sie ihr überhaupt diese zwei Staaten? Gehen Sie mit ihr durch Ostberlin und zeigen Orte oder wie machen Sie das?
Besson: Denke schon, ja, ich versuche es zumindest. Also ich gehe nicht in irgendwelche Mauer-Museen oder so, nicht unbedingt, aber natürlich, ich gehe sehr von mir aus und zeige ihr meine Erlebnisorte, die für mich prägend und wichtig waren, und versuche ihr wirklich, und das muss ich wirklich sagen, das merke ich immer wieder, ich mache es dann sehr an der Mauer fest. Guck mal hier, da war die Mauer, und da musste ich das und das machen, um da rüberzukommen. Jetzt fahren wir hier einfach durch, wir fahren über die Invalidenstraße-Brücke, und früher habe ich hier mindestens manchmal anderthalb Stunden gebraucht. Wurde gefilzt, musste das alles, pipapo. Und diese Dimension versuche ich meiner Tochter begreiflich zu machen.
Bürger: Sie haben vorhin gesagt, das soll kein klassisches Lehrstück sein, Sie wollen den Schülern von heute, den Jugendlichen, nichts beibringen. Was wollen Sie mit dem Stück?
Besson: Na ja, beibringen, weil wie gesagt, ich will nicht didaktisch sein, es soll unterhaltsam sein, es soll einem Spaß machen. Aber ich will natürlich unterhalten und ganz im Brecht'schen Sinne und trotzdem was den Leuten vermitteln.
Bürger: Können Sie das noch mal zusammenfassen, was Sie vermitteln wollen?
Besson: Unabhängig von der Zeit und von dieser Mauersituation, dass es sich einfach lohnt und dass es einfach schön ist zu sehen, wenn ein Mensch, ein junger Mensch, von 13 Jahren zum Beispiel, die Sachen in die Hand nimmt, allein in die Hand nimmt und gegen Mauern anrennt und sie überwindet. Das ist einfach sehr positiv bis heute zu sehen, dass sie sagt: Ich fahr in den Osten, und ihr sagt alle, ich bin verrückt, aber ich fahre da hin, weil da ist meine Familie, und ich will die zusammenführen, und das mache ich einfach. Und die schafft es auch. Und da will ich natürlich einen Optimismus immer mitgeben. Das ist mein Grundanliegen sowieso und in dem Stück sowieso ganz besonders.
Bürger: Findet denn Lilly ihr Glück?
Besson: Ja, doch. Also die Geschichte spielt ja da ganz groß rein, ein Jahr später fällt halt der Vorhang. Aber sie, denke ich schon, ich hoffe, dass sie ihr Glück findet. Also große Schritte macht sie selber da hin und forciert es doch sehr in die Richtung. Und das ist schön.
Bürger: Ein Jugendtheaterstück über die deutsch-deutsche Geschichte. Morgen hat "Lilly unter den Linden" am Berliner Grips-Theater Premiere, das damit seine Dependance im ehemaligen Ostteil der Stadt eröffnet. Eine Inszenierung von Philippe Besson, dem ich herzlich danke für den Besuch bei uns im Studio.
Besson: Danke auch.
Philippe Besson: Hallo, guten Tag!
Bürger: Was hat Sie an dieser Ost-West-Familiengeschichte gereizt, interessiert?
Besson: Das fängt an bei dem Spielort, das ist das ehemalige HdJT, das Podewil, und da habe ich meine späte Jugend verbracht. Und da zieht es mich schon mal wieder hin oder es amüsiert mich auf jeden Fall.
Bürger: Ein Theater ein Ostberlin.
Besson: Genau.
Bürger: Warum dieses Stück?
Besson: Dieses Stück, na ja, da kommen viele Sachen zusammen. 20 Jahre Mauerfall, 40 Jahre Grips. 20 Jahre Mauerfall: Ich habe die Mauer erlebt natürlich, ich war 20, als ich die DDR verlassen habe. In diesem Stück wird, glaube ich, für junge Leute, 13-Jährige, sehr genau und sehr gut erzählt, was es für Dimensionen waren, was eine Mauer bedeutet haben kann, schon anhand einer sehr einfachen Geschichte.
Bürger: 20 Jahre nach dem Mauerfall wissen die meisten Jugendlichen viel zu wenig über die DDR, das belegt eine Studie des SED-Forschungsverbunds der Freien Universität Berlin, und hat mit dieser Aussage im vergangenen Jahr ja ziemlich viel Staub aufgewirbelt. Deckt sich das mit Ihren eigenen Erfahrungen, dass Jugendliche viel zu wenig wissen über die DDR?
Besson: Na ja, klar, das spüren wir schon, also es ist sehr unterschiedlich. Wir hatten verschiedene Klassen schon drin, und da merkt man schon, so eine Klasse aus Ostberlin, wo der Elternanteil sehr hoch ist von den Leuten, die aus der DDR kommen, dass das sehr unterschiedlich ist. Und die Leute, die aus dem Westen, also West-Klassen, haben fast gar keinen Einblick und keine Informationen darüber. Natürlich haben die in der Schule schon ein paar Informationen, aber es ist doch sehr dürftig.
Ich kann es nicht kompensieren in meiner Inszenierung oder wir in unserer Arbeit, dass die so einen Wissensstand haben über die DDR. Aber wir können irgendwie doch - und ich will auch keinen Geschichtsunterricht betreiben, weil ich das doch relativ langweilig fände, und gar nicht didaktisch sein -, aber so ein paar Situationen und so ein paar Geschichten oder eine wirkliche Geschichte können wir da erzählen, um die Leute da ranzuführen und zu interessieren und zu sagen, es ist doch nicht immer nur dieser ewige Unrechtsstaat, die Diktatur, sondern da gab es Menschen, die sich so und so damit auseinandergesetzt haben, und ja, wie haben die Leute damit gelebt.
Bürger: Aber kann man das nicht nur machen, wenn schon ein Wissen über den Unrechtsstaat vorhanden ist?
Besson: Ja, ich weiß nicht, muss man sich mal überlegen, ob man unsere Inszenierung oder diese Produktion wirklich so machen könnte, wenn man voraussetzt, dass sie nichts wissen. Ich glaube schon. Es ist sehr hilfreich, wenn die was wissen. Und ja, mit 13, hm, es ist dürftig. Aber es ist so ein Stand da, dass ich da ansetzen kann.
Bürger: Lilly kommt nach Ostberlin. Was für eine Gesellschaft findet sie denn vor?
Besson: Na ja, ganz klar, es zeichnet sich ab in dieser Familie, das sind so ein bisschen aufgeklärte Leute, die konfrontiert sind mit der Stasi. Und in so eine doch ein bisschen Ausnahmesituation kommt sie rein. Also sie sieht nicht den Normalalltag erst mal, sondern sieht wirklich eine Familie, die natürlich irritiert ist, und bringt alles durcheinander. Sieht aber doch ein bisschen was von der DDR, sie hat eine Zugfahrt nach Jena, ist alles 1988, und nimmt das peripher wahr. Aber wird sofort konfrontiert mit Ausnahmesituationen in der DDR, weil es war ja schon die Ausnahme, wenn auf einmal der Stasi-Mann in der Tür steht oder der ABVer, der Abschnittsbevollmächtigte - was wir auch in dem Stück erklären, was das ist - einfach da vor der Tür steht. Und das wird dieses sogenannte West-Kind konfrontiert. Und das ist teilweise ganz amüsant. Und die stellt natürlich auch sehr naive Fragen.
Bürger: Zum Beispiel?
Besson: "Was ist ein Intershop?" oder "Ihr dürft mit euerm Geld nicht in diesen Intershops einkaufen?" und "Ihr müsst zwölf Jahre auf ein Auto warten?" Und der kleine Junge, der aus dem Osten ist, der in Jena wohnt, der sagt: Na klar, das ist so, man muss nur Geduld haben, das ist schon gut so. Also das ist so mit einem gewissen Humor auch, dass die das hupps - also die Leute nehmen es irgendwie, wie es ist, setzen sich damit auseinander, auch mit einem gewissen Humor, oder, ja, das ist es so.
Bürger: Und ist Lilly gedacht als eine Identifikationsfigur, den Jugendliche heute in dem Gedankengang folgen, ja, das war auch tatsächlich eine Möglichkeit, in der DDR zu leben, ohne schlecht zu leben?
Besson: Ja, das hoffe ich schon. Also ob sie eine Identifikationsfigur ist, das werde ich sehen, das hoffe ich sehr, ich glaube schon. Aber ich hoffe sehr, dass man sieht, dass die Jugendlichen von heute sehen eben, dass durchaus ein normales Leben möglich war und ein schönes Leben möglich war. Weil ich zum Beispiel gehe von mir aus, und ich hatte vielleicht Glück und mehr Glück als andere, und ich war sehr glücklich in der DDR. Also meine Jugend und Kindheit war sehr schön.
Bürger: Wie begegnen Sie der Gefahr, die DDR nicht schönzufärben?
Besson: Da ist einfach schon von der Autorin vorgegeben eine sehr kritische Sichtweise, einfach so, dass die DDR-Leute, dass man sieht, dass da jemand in die Stasi-Arbeit reinrutscht - das zeige ich schon, dass er reinrutscht und nicht passé das Böse an sich ist, sondern reinrutscht. Das möchte ich schon zeigen. Da sind so einige sehr kritische Ansätze, wo die sich mit dem System auseinandersetzen und die Ungereimtheiten und die unangenehmen Sachen dieses Systems einfach in so eine Familie reinschwappen. Und das sieht man sehr deutlich, und das ist nicht nur angenehm.
Bürger: Zu Gast im Deutschlandradio Kultur ist heute der Theaterregisseur Philippe Besson. 20 Jahre nach dem Fall der Mauer inszeniert er derzeit in Berlin ein Jugendtheaterstück über die deutsch-deutsche Geschichte. Sie selbst, Herr Besson, haben es angedeutet, 20 Jahre Ihres Lebens haben Sie in der DDR verbracht, geboren 1962, also kurz nach dem Mauerbau. 1983 sind Sie dann mit der Familie in die Schweiz übergesiedelt. Sie haben gesagt, in der DDR haben Sie nicht schlecht gelebt, Sie hatten eine schöne Kindheit. Inwieweit hat Sie diese Kindheit bis heute geprägt?
Besson: Ja, ich war so ein bisschen so ein, wie sagt man, so ein Edel-Ostler. Ich hatte Privilegien und durfte über meinen Vater, da der Schweizer war, einmal im Jahr so eine Sommerferienreise in den Westen machen. Und das war schon sehr speziell, und das war sehr aufregend. Und ich merkte schon, ich bin da was Besonderes, weil ich war der Einzige an meiner Schule, der einfach mal die andere Seite vom Vorhang gucken durfte. Das hat mich natürlich, diese Mischung, in der DDR ganz normal in die Schule zu gehen und so ein Privileg zu haben, hat mich natürlich sehr geprägt. Ich weiß nicht, was das für meinen Blick heute noch heißt, aber ich habe die Welt immer mit ein bisschen anderen Augen gesehen.
Bürger: Haben Sie selbst Kinder?
Besson: Ja, eine Tochter. Die muss sich das jetzt immer alles anhören von mir. Guck mal da, so, und hier das, und so war die DDR - so ein bisschen wie die Mutter in dem Stück: Denk nie daran, dass die Mauer normal ist oder normal war.
Bürger: Auf welche Weise vermitteln Sie ihr überhaupt diese zwei Staaten? Gehen Sie mit ihr durch Ostberlin und zeigen Orte oder wie machen Sie das?
Besson: Denke schon, ja, ich versuche es zumindest. Also ich gehe nicht in irgendwelche Mauer-Museen oder so, nicht unbedingt, aber natürlich, ich gehe sehr von mir aus und zeige ihr meine Erlebnisorte, die für mich prägend und wichtig waren, und versuche ihr wirklich, und das muss ich wirklich sagen, das merke ich immer wieder, ich mache es dann sehr an der Mauer fest. Guck mal hier, da war die Mauer, und da musste ich das und das machen, um da rüberzukommen. Jetzt fahren wir hier einfach durch, wir fahren über die Invalidenstraße-Brücke, und früher habe ich hier mindestens manchmal anderthalb Stunden gebraucht. Wurde gefilzt, musste das alles, pipapo. Und diese Dimension versuche ich meiner Tochter begreiflich zu machen.
Bürger: Sie haben vorhin gesagt, das soll kein klassisches Lehrstück sein, Sie wollen den Schülern von heute, den Jugendlichen, nichts beibringen. Was wollen Sie mit dem Stück?
Besson: Na ja, beibringen, weil wie gesagt, ich will nicht didaktisch sein, es soll unterhaltsam sein, es soll einem Spaß machen. Aber ich will natürlich unterhalten und ganz im Brecht'schen Sinne und trotzdem was den Leuten vermitteln.
Bürger: Können Sie das noch mal zusammenfassen, was Sie vermitteln wollen?
Besson: Unabhängig von der Zeit und von dieser Mauersituation, dass es sich einfach lohnt und dass es einfach schön ist zu sehen, wenn ein Mensch, ein junger Mensch, von 13 Jahren zum Beispiel, die Sachen in die Hand nimmt, allein in die Hand nimmt und gegen Mauern anrennt und sie überwindet. Das ist einfach sehr positiv bis heute zu sehen, dass sie sagt: Ich fahr in den Osten, und ihr sagt alle, ich bin verrückt, aber ich fahre da hin, weil da ist meine Familie, und ich will die zusammenführen, und das mache ich einfach. Und die schafft es auch. Und da will ich natürlich einen Optimismus immer mitgeben. Das ist mein Grundanliegen sowieso und in dem Stück sowieso ganz besonders.
Bürger: Findet denn Lilly ihr Glück?
Besson: Ja, doch. Also die Geschichte spielt ja da ganz groß rein, ein Jahr später fällt halt der Vorhang. Aber sie, denke ich schon, ich hoffe, dass sie ihr Glück findet. Also große Schritte macht sie selber da hin und forciert es doch sehr in die Richtung. Und das ist schön.
Bürger: Ein Jugendtheaterstück über die deutsch-deutsche Geschichte. Morgen hat "Lilly unter den Linden" am Berliner Grips-Theater Premiere, das damit seine Dependance im ehemaligen Ostteil der Stadt eröffnet. Eine Inszenierung von Philippe Besson, dem ich herzlich danke für den Besuch bei uns im Studio.
Besson: Danke auch.