Jugendstudie

Generation Rücksichtslos?

06:19 Minuten
Drei Jungs und ein Mädchen sitzen mit dem Rücken zur Kamera auf einer Mauer und schauen aufs Meer.
Angesichts der Defizite vor allem männlicher Jugendlicher droht möglicherweise eine Entsolidarisierung der Gesellschaft, meint der Sozialpädagoge Holger Ziegler. © Unsplash / Sammie Vasquez
Holger Ziegler im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 25.06.2019
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Empathie, Solidarität, Respekt, Hilfsbereitschaft: Alles sozialen Fähigkeiten, die jedem dritten Jugendlichen heutzutage fehlen, zeigt eine neue Studie. Allerdings gibt es laut dem Studienleiter Holger Ziegler große Geschlechtsunterschiede.
Einem Drittel der Jugendlichen in deutschen Großstädten fehlt es an Gemeinschaftssinn, hat eine Studie der Universität Bielefeld im Auftrag der Bepanthen-Kinderförderung herausgefunden. Bei den Sechs- bis Elfjährigen sind es immerhin bereits 22 Prozent.
"Insgesamt finden wir schon einen durchaus auch ausgeprägten Gemeinschaftssinn bei einer Mehrheit der Kinder und Jugendlichen", so Holger Ziegler, Professor für Sozialarbeit an der Universität Bielefeld und Leiter der Studie, im Deutschlandfunk Kultur.

Empathie empfinden vor allem Mädchen

Bemerkenswert findet der Sozialpädagoge vor allem, dass die Untersuchung eine "sehr deutliche Geschlechterdifferenz" hinsichtlich des Gemeinschaftssinns ergeben hat, sowohl bei den Kindern als auch bei Jugendlichen. Bei den Jugendlichen hat fast die Hälfte der Jungen (44 Prozent), aber nur jedes fünfte Mädchen (21 Prozent) einen gering ausgeprägten Gemeinschaftssinn.
Am deutlichsten werde dieser Unterschied, wenn es um Empathie und die Bereitschaft zur Solidarität in Alltagssituationen gehe, sagt Ziegler. Während mehr als zwei Drittel der weiblichen Jugendlichen die Fähigkeit zum starken Mitgefühl zeigten, waren es bei den Jungen nur 24 Prozent.
Auch beim Umgang mit Randgruppen und Schwächeren zeigten sich Ziegler zufolge deutliche Geschlechterunterschiede. So stimmten mehr als ein Drittel der Jungen, aber nur jedes fünfte Mädchen Aussagen wie "Wir nehmen in unserer Gesellschaft zu viel Rücksicht auf Versager" oder "Es ist ekelhaft, wenn Schwule sich in der Öffentlichkeit küssen" zu.
Die Befürchtung, der Gesellschaft drohe eine "Entsolidarisierung", hält Ziegler für durchaus berechtigt. "Man sieht das insbesondere bei einigen Nachbarländern, dass es durchaus kippen kann. Zurzeit kann man noch sagen, es ist eine Minderheit."

Für die Studie "Generation Aufbruch oder Generation Rücksichtslos?" zum Gemeinschaftssinn von Kindern und Jugendlichen wurden etwa 1000 Kinder und Jugendliche aus Berlin, Leipzig und Köln nach ihrem Gemeinschaftssinn befragt. Die Ergebnisse der Studie sind bevölkerungsrepräsentativ für Großstädte. Die Studie wurde von der Universität Bielefeld im Auftrag der Bepanthen-Kinderförderung durchgeführt.

(uko)
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