Jugendliche und der IS

"Radikalisierung früh erkennen"

Andreas Zick im Gespräch mit Korbinian Frenzel · 15.07.2015
Die einen sind auf Sinnsuche, die anderen wollen das Abenteuer, den Thrill: Was Jugendliche am Islamischen Staat fasziniert und in Scharen zu IS-Kämpfern werden lässt, hat der Sozialpsychologe Andreas Zick untersucht. In Deutschland fehle ein Gespür für die frühe Radikalisierung – und für die Rolle des Internets.
Wenn Jugendlich im Teenager-Alter - junge Muslime, aber auch christliche, die dafür zum Islam konvertieren - scharenweise zum Islamischen Staat überlaufen, bleiben hilf- und ratlose Eltern und eine entsetzte Öffentlichkeit zurück. Der deutsche Verfassungsschutz geht von 45.000 Sympathisanten für den radikalen Islamismus aus.
Faszination für Gewalt
Andreas Zick, Sozialpsychologe und Professor an der Universität Bielefeld sieht mehrere Gründe für die Faszination, die der IS auf Heranwachsende und junge Erwachsene ausübt:
"Man verortet ihn im Mittelalter, aber er ist ja sehr präsent und er ist gar nicht so weit weg, wie wir das denken. Er ist zum Teil mitten in unserer Gesellschaft. Die einen suchen einfach Antworten auf Sinnfragen, die wissen nicht, wo sie hingehören, da spricht man von Anomie. Die anderen suchen das Abenteuer, den Thrill. Das heißt, in der Gewalt, in dieser überbordenden Macht, die der IS, die der extremistische Islamismus bietet, das finden sie furchtbar faszinierend. Und dann gibt es wieder Dritte, die suchen einfach nur eine Gruppe, und dieses Gruppengefühl, diese Community, die wird dort angeboten mit einer religiösen Gemeinschaft, auch mit einer überbordend starken Heilserwartung."
Die Radikalisierung wird unterschätzt
Was können Eltern, was kann die Gesellschaft tun? Generell fehle ein Gespür für Radikalisierung, sagt Zick. Und die Bedeutung der Kontaktaufnahme über das Internet werde offenbar unterschätzt. Weshalb die Chance verpasst werde, schon zu einem frühen Zeitpunkt zu intervenieren. Zudem würden deutlich mehr Beratungsangebote zum Thema gebraucht.
"Das heißt, wir müssen die Sensibilität auch bei Lehrerinnen, bei Lehrern, bei Menschen, die in der Ausbildung sind, in den Betrieben, massiv erhöhen. Da können wir sehr viel lernen. Radikalisierung früh erkennen und früh abholen, bevor Gewalt oder die sich tatsächlich dort anschließen", betonte Zick.


Interview im Wortlaut:
Korbinian Frenzel: Der Islamische Staat ist weit weg, die Terrormiliz ist für uns glücklicherweise ein Phänomen, dem wir in den Nachrichten begegnen bisher, bisher gab es keine Anschläge in Deutschland. Aber was es gibt, das ist offenbar eine wachsende Faszination bei jungen Menschen auch in Deutschland, jungen Männern und auch jungen Frauen. Beim Verfassungsschutz geht man von 45.000 Sympathisanten für den radikalen Islamismus aus. Warum, woher kommt diese Faszination? Wir sprechen darüber mit einem Mann, der dazu auch häufig vom Bundeskriminalamt oder auch der Bundesregierung zu Rate gezogen wird, Andreas Zick, Leiter des Instituts für interdisziplinäre Konflikte und Gewaltforschung an der Uni Bielefeld. Guten Morgen!
Andreas Zick: Guten Morgen!
Frenzel: Was fasziniert Jugendliche, die hier in einem Wohlstandsland wie Deutschland aufwachsen, an einem IS, den man eher im Mittelalter verortet?
Zick: Ja, man verortet ihn im Mittelalter, aber er ist ja sehr präsent und er ist gar nicht so weit weg, wie wir das denken. Er ist zum Teil mitten in unserer Gesellschaft. Wir haben vor etwa zwei Wochen die Information bekommen, dass zum Beispiel im Ruhrgebiet Menschen Verkehrsunfälle verursachen, um dann Spenden zu sammeln für den IS. Also, der IS ist sehr nahe, er ist im Internet enorm nach Jugendlichen, und da gibt es sehr unterschiedliche Gründe für. Die einen suchen einfach Antworten auf Sinnfragen, die wissen nicht, wo sie hingehören, da spricht man von Anomie. Die anderen suchen das Abenteuer, den Thrill. Das heißt, in der Gewalt, in dieser überbordenden Macht, die der IS, die der extremistische Islamismus bietet, das finden sie furchtbar faszinierend.
Überbordende Heilserwartung
Und dann gibt es wieder Dritte, die suchen einfach nur eine Gruppe, und dieses Gruppengefühl, diese Community, die wird dort angeboten mit einer religiösen Gemeinschaft, auch mit einer überbordend starken Heilserwartung. IS ist ja mittlerweile schon ein Staat, das ist eine konkrete Zielvorstellung. Es gibt im Grunde genommen diese drei Typen, die wir jetzt finden in umfangreichen Aktenanalysen von Menschen, die sich dem angeschlossen haben.
Frenzel: Bei Männern könnte man das, was Sie da auch gerade beschrieben haben, vielleicht noch nachvollziehen, zuordnen. Aber warum begeistern sich jetzt offenbar auch immer mehr Mädchen, junge Frauen dafür?
Zick: Ja, das ist interessant, weil, die einen Mädchen distanzieren sich von den sehr autoritären Werten der Eltern und das ist eigentlich das ambivalente Moment: Die Eltern sind vielleicht autoritär orientiert, wollen von den Frauen ... haben eine klassische Vorstellung für ihre Töchter, für ihre Geschwister, und der IS bietet ihnen eigentlich ... oder der extremistische Islamismus, die Gewalt bietet ihnen jetzt eine Möglichkeit, dagegen zu rebellieren, zu zeigen, wir sind noch viel stärker und wir kämpfen wirklich. Das heißt, es sind männliche Vorstellungen, die für Frauen attraktiv sind. Und das andere ist, wir dürfen nicht immer so sehr von den Täterinnen und den Tätern denken, sondern das Umfeld, in dem angeworben wird, ist äußerst mächtig. Das heißt, ich kann dort hineinrutschen und der soziale Druck ist so stark, dass ich dort hineingezogen werde.
Frenzel: Wer ist denn empfänglich für diese IS-Werbung, diese IS-Werber? Da könnte man erst mal vermuten, das sind die üblichen Verdächtigen der Soziologie, sozial schwach, perspektivlos. Ist es in dem Fall auch so?
Zick: Nein, ist überhaupt nicht so. Weil, wenn wir uns jetzt mal die angucken, die sich dort direkt angeschlossen haben, kämpfen in Syrien, ausgereist sind, es sind ja eher die Mittelschichten. Und das ist ja ein Phänomen, was in der Gesamtgesellschaft auch vorhanden ist, es sind Mittelschichten, die anfällig sind. Es sind zum Teil natürlich die sogenannten Loser, aber das ist nur eine bestimmte Gruppe. Selbst Loser müssen Sie dann in so einer Community tatsächlich auch einbinden, Sie müssen sie auch auf bestimmte Ziele verantworten. Aber es sind insbesondere Kinder aus den Mittelschichten, die gerade jetzt nach Syrien ausreisen oder sich im Internet dort hineinbewegen und sehr fasziniert sind.
Mittelschichtskinder rebellieren gegen ihre Eltern
Das heißt, diese Orientierungslosigkeit, die wir ja auch in der Gesamtgesellschaft in den Mittelschichten haben, auch große Potenziale von Menschenfeindlichkeit spielen eine Rolle, Vorurteile gegenüber anderen Gruppen, Antisemitismus und so weiter, die haben eine massive Kraft. Und die sind im Moment in den Mittelschichten stark verbreitet. Und die Kinder der Mittelschicht rebellieren gegen ihre Mittelschichtseltern, die sie als Loser wahrnehmen.
Frenzel: Die Kinder der Mittelschicht, das passt eigentlich auch ganz gut zu anderen Protestbewegungen aus jüngeren Zeiten. Sie haben ja auch lange geforscht zum Linksterrorismus. Was Sie da erzählen, das klingt für mich auch, wenn wir das zurücktransferieren in die 70er-Jahre, dann könnte man das letztendlich auch als Begründungsmuster für die RAF gehabt haben und das Unterstützer- und das Sympathisantenfeld. Gibt es da Parallelen?
Zick: Ja, da gibt es Parallelen, wobei wir bei der RAF, beim Linksextremismus ja eine Auseinandersetzung mit dem System haben, und das ist etwas, was hier überhaupt nicht ist. Man setzt sich eigentlich gar nicht gegen ein System ein, sondern man wendet sich ab von der bestehenden Welt und sieht in der großen Community des IS – das ist ja auch immer nur die erste Stufe, der Islamische Staat, das eine Kalifat –, darin sieht man jetzt eigentlich die Möglichkeit, sich zu verwirklichen. Das heißt, es geht immens um Macht und Dominanz, da geht es auch um ganz banale Dinge. Viele junge Menschen werden abgeworben, weil ihnen was versprochen wird, sie bekommen eine Familie, sie bekommen ein Auto, sie werden beteiligt am Reichtum. Das heißt, die Kriterien, nach denen wir Erfolg bemessen, die werden auf einmal dort vom gewaltorientierten Extremismus angeboten.
Frenzel: Herr Zick, was kann man denn jetzt tun? Nachdem wir das also analysiert haben, was tun gegen diese Anwerbeversuche oder was tun dafür, dass junge Leute sich nicht anwerben lassen?
Zick: Ganz wesentlich ist, glaube ich, dass unsere Gesellschaft keine Nase hat für Radikalisierung. Das heißt, diese Radikalisierung, wie wir sie beobachten, findet sehr früh statt. Wenn Jugendliche anfangen, sehr früh zu suchen nach Antworten auf Sinnfragen und dann das in einer gewaltorientierten Bewegung finden, die Kommunikation im Internet ist früh. Ich rede jetzt nicht vom Kindergarten, sondern ich rede von der Schule, das findet sehr früh statt. Das heißt, wir müssen die Sensibilität auch bei Lehrerinnen, bei Lehrern, bei Menschen, die in der Ausbildung sind, in den Betrieben, massiv erhöhen.
Die Gesellschaft muss noch viel dazu lernen
Da können wir sehr viel lernen. Radikalisierung früh erkennen und früh abholen, bevor Gewalt oder die sich tatsächlich dort anschließen. Das andere ist, wir brauchen die Beratungsangebote, das entwickelt sich im Moment in Deutschland enorm, es ist oft das soziale Umfeld, das sich meldet und sagt, irgendwas stimmt nicht mit unserem Kind, irgendwas stimmt nicht mit dem Bruder, mit der Schwester. Für die brauchen wir Beratungsangebote, die entwickeln sich. Die sind flächendeckend noch nicht da. Das heißt, eigentlich können wir von der Bekämpfung Rechtsextremismus, aber auch zum Beispiel von der Prävention bei Schulamoktaten sehr viel dazulernen, denn das funktioniert heute besser und das brauchen wir jetzt auch für die Radikalisierung. Denn es rückt immer näher.
Frenzel: Das sagt Andreas Zick, der Leiter des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Uni Bielefeld. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Zick: Ihnen auch, vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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