Jugendgewalt

Falsche Erziehung mit fatalen Folgen

Ein junger Mann hebt seine geballte Faust
Jugendgewalt macht Polizisten zunehmend zu schaffen. © dpa / picture alliance / Karl-Josef Hildenbrand
Moderation: Katrin Heise · 09.04.2014
Polizisten beklagen die steigende Gewalt unter jugendlichen Migranten. Das Problem liegt vor allem bei den Eltern, sagt der Psychologe Ahmad Mansour: "Manche sind überzeugt, dass Gewalt in der Erziehung normal ist." Die Kinder lernen dann, auf diesem Weg Probleme zu lösen.
Katrin Heise: Sie schreibt von mangelndem Respekt gegenüber der Polizei, sie schreibt von Beleidigungen, die sie sich auf ihren Streifengängen anhören muss: Die junge Polizistin Tania Kambouri, selber mit griechischen Wurzeln, die war nicht länger bereit, sich das – wie sie sagt – zunehmend respektlose Verhalten von einigen Migranten unkommentiert gefallen zu lassen und äußerte sich in einem offenen Brief in der Gewerkschaftszeitung der Polizei. Das ist schon eine Weile her. Das Echo der Kollegen ist riesig nach wie vor, und zwar nach dem Motto: Endlich spricht es mal jemand aus.
Ich begrüße jetzt den Diplom-Psychologen Ahmad Mansour, der sowohl mit jugendlichen Migranten unter anderem zum Thema Ehrenkodex arbeitet, aber auch als unabhängiger Berater tätig ist in diversen Projekten zu den Themen Menschenrechte, Demokratie, Aufklärung, und in diesem Kontext gibt er auch mehrtägige Seminare für Polizisten, die er im Umgang mit Migranten schult. Ich grüße Sie, Herr Mansour!
Ahmad Mansour: Guten Morgen!
Heise: Gibt es bei Ihnen Ähnliches zu berichten in Ihren Seminaren, also erzählen die Polizisten so was, was ich eben angesprochen habe?
Mansour: Also diese Schulungen mache ich natürlich nicht alleine, sondern auch mit Kollegen, und da geht es eigentlich vor allem darum, zu sensibilisieren, das heißt, bestimmte Themen, die vielleicht bei der Polizeiausbildung nicht vorkommen, zu thematisieren und durch Rollenspiele, Videos und Diskussionen eigentlich die Zukunft …. diese Polizisten zu schulen, zu sensibilisieren, mit solchen Themen umzugehen.
Heise: Mit solchen Themen, das heißt, auch mit Gewalt und Respektlosigkeit?
Mansour: Natürlich, natürlich. Aber vergessen Sie nicht, die meisten oder alle Polizisten, die bei der Schulung sind, sind noch nicht auf der Straße, das heißt, sie haben ihre Erfahrungen noch nicht gesammelt. Deshalb ist es etwas schwieriger. Wir versuchen, das spielerisch darzustellen. Aber die Problematiken, die von Ihnen jetzt vorgestellt werden, das haben normalerweise Polizisten, die schon auf der Straße tätig sind.
Polizisten lernen, auf Respektlosigkeit zu reagieren
Heise: Wir hatten gestern den Gewerkschafter der Polizei Arnold Plickert hier im Programm und der gab uns folgendes Beispiel:
Arnold Plickert: Wir haben vor sieben, acht Wochen in Aachen einen Einsatz gehabt, wo die Kollegen im Streifenwagen eine Person mit Migrationshintergrund gesehen haben, der per Haftbefehl gesucht wurde, man hat ihn verfolgt, hat ihn dann auch gestellt über Handy, waren dann auf einmal 15, 20 Leute um die Kollegen herum, und denen blieb nichts anderes mehr übrig, als die Flucht zu ergreifen. Das war auch genau die richtige Maßnahme, ansonsten wäre es vielleicht zum Schusswaffengebrauch gekommen.
Heise: Der Polizeigewerkschafter Arnold Plickert, er betont da auch, dass so eine Eskalation die Ausnahme ist, aber heftige Konfrontationen und Beleidigungen in mehrheitlich von Ausländern bewohnten Stadtteilen würden zunehmen, sagt er. Was beobachten Sie da?
Mansour: Also erst mal sind das keine Ausländer, sie sind keine Migranten, sind Menschen vielleicht mit familiärer Einwanderungsgeschichte, sie gehören zu dieser Gesellschaft, genau wie ihre Probleme. Ich werde sehr vorsichtig sein mit der Pauschalisierung überhaupt. Diese Problematik findet wahrscheinlich in rechtextremen Milieus genauso … und diese Situation könnte genauso in Brandenburg oder woanders laufen, beim Rockermilieu wäre es auch nicht anders. Das heißt, da sind Probleme, die real sind, die existieren, und wir müssen zusammen als Gesellschaft – das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, nicht nur die Polizei, die Polizei kann das alleine nicht bewältigen –, alle …
Heise: Sie sagen, da würde ich gerne ganz kurz vorher einhaken, bevor wir auf die verschiedenen Aspekte da auch kommen, Sie sagen, nicht verallgemeinern, also nicht die Migranten oder am Schlimmsten noch die Ausländer sagen, aber wenn Erfahrungen vor allem in diesen Stadtteilen beispielsweise gemacht werden, wo viele Migranten leben, dann muss doch darüber auch gesprochen werden dürfen.
Mansour: Definitiv, natürlich, wenn wir das nicht tun, dann tut die Rechte das und dann tut sie es auf eine Art und Weise, die uns nicht gefällt, weil sie pauschalisieren, weil sie eigentlich von allen Migranten reden oder von allen Muslimen. Wir müssen differenziert über die Probleme reden. Es ist auf jeden Fall nicht die Lösung, einfach diese Problematik zu verharmlosen oder zu schweigen, dann hilft uns das überhaupt nicht weiter. Wir müssen das thematisieren, aber differenziert thematisieren.
Auch in solchen Bezirken gibt es Menschen wie ich und Sie, die eigentlich mit solcher Problematik nichts zu tun haben. Die sind auch muslimisch und die sind auch mit Migrationshintergrund, aber sie respektieren das Gesetz und die Polizisten. Es gibt aber eine Minderheit – und das ist wahrscheinlich eine sehr große Minderheit –, die keinen Respekt vor diesem Staat und seinen Werten und seinen Gesetzen hat. Und da müssen wir, Politik, Schule, Polizei, Akteure, Migranten, alle eigentlich, zusammensitzen und uns Methoden, Instrumente überlegen, wie wir diese Jugendlichen überhaupt erreichen können und ihnen was anbieten können, damit es nicht dazu kommt.
Heise: Taucht in Ihrer Arbeit, die ja sich in verschiedenen Feldern bewegt mit verschiedensten Akteuren, taucht dieses Problem der Nicht-mehr-Akzeptanz häufiger auf in letzter Zeit?
Mansour: Definitiv, natürlich, natürlich, definitiv. In der Schule taucht das auf, auf der Straße taucht das auf, in verschiedenen Projekten. Also dass eine Generation von Jugendlichen, –wie gesagt, noch mal, Minderheit von denen –, die eigentlich ganz andere Erziehungsmethoden genossen haben, die die Werte dieser Gesellschaft nicht nur nicht akzeptieren, sondern abwerten und ganz anders denken und ihre Regeln und ihre Werte eigentlich über die Gesetze stellen, das ist eine Problematik, die Alltag ist.
Heise: Sie haben eben gerade gesagt, die ganz andere Erziehung genossen haben – das heißt, Gewalterfahrung oder Akzeptanz von Gewalt beispielsweise als Mittel? Sind ein schwieriges Thema.
Gewaltbereitschaft durch falsche Erziehung
Mansour: Wissen Sie, ein kleines Beispiel: Ich fuhr Taxi und der Taxifahrer hat mich gefragt, woher ich komme, und wir haben uns ein bisschen unterhalten, hat erzählt über Menschen, die aus dem Libanon, aus Syrien, aus Jordanien kommen und hier studieren. Und der sagte dann: Ja, nur die Leute, die hier aufgewachsen sind, geboren sind, die schaffen die Schule nicht. Und auf die Frage, wieso, antwortet er: Weil hier zu viel Freiheit ist – wir dürfen unsere Kinder nicht schlagen. Und das ist natürlich fatal, wenn man denkt, dass mit Gewalt irgendwelche Erziehungsmaßnahmen besser durchgesetzt werden. Und diese Minderheit gibt es auf jeden Fall von Menschen, die überzeugt sind, dass Gewalt in der Erziehung eine normale, sogar bessere und gute Erziehungsmethode ist. Leider bleibt aber diese Gewalterfahrung nicht nur in der Familie, sondern das Kind, das erwachsen wird, lernt, so Probleme zu lösen. Und dann haben wir diese Problematik dann auf der Straße natürlich, und natürlich Respektlosigkeit gegenüber der Mehrheitsgesellschaft, die andere Werte vermittelt.
Heise: Erfahrungen des Diplom-Psychologen Ahmad Mansour. Herr Mansour, Sie haben angesprochen: Wir müssen uns alle an einen Tisch setzen und nach Lösungen suchen. Versuchen Sie … oder ist da Elternarbeit beispielsweise ein wichtiger Teil?
Mansour: Definitiv, ja. Das machen wir bei "Heroes", das machen wir auch in anderen Projekten.
Heise: Das ist Ihr Projekt mit diesem Ehrenkodex und jungen Männern.
Mansour: Genau. Und da merke ich auch immer wieder, dass die Eltern eigentlich erreichbar sind. Man muss aber die wichtige und richtige Sprache sozusagen sprechen, weil diese Eltern eigentlich das Beste für ihre Kinder wollen, aber sie kennen es nicht anders. Sie machen das, was ihre Eltern mit ihnen gemacht haben, und da haben wir als Gesellschaft diese Eltern nicht erreicht. Wenn ich ihnen klar mache, was zum Beispiel Gewalt für Konsequenzen hat, dann habe ich oft Eltern, besonders Mütter, die anfangen zu weinen, weil das ist die Erfahrung, die sie auch gemacht haben. Und wenn wir ihnen Instrumente geben, anders damit umzugehen, mit Überforderung anders umzugehen, mit Problemsituationen umzugehen, dann erreichen wir diese Eltern viel, viel besser, als wenn wir sie nur als Problemfälle bezeichnen.
Heise: Das ist die Basis, die geleistet werden muss an Arbeit. Sie haben jetzt gerade die Stichworte Überforderung und Problemsituation genannt. In der stehen dann ja die Polizisten, Polizistinnen, wenn es dann konkret zu Vorkommnissen kommt wie die geschilderten, stehen die direkt im Geschehen. Also die junge Polizistin schilderte beispielsweise, ein Einsatz musste abgebrochen werden, zu dem sie gerufen worden war, weil der Anrufer, der selbst um Hilfe der Polizei ersucht hatte, nicht mit Frauen – und das war nun ein Einsatzwagen, der mit zwei Polizistinnen besetzt war –, nicht mit Frauen sprechen wollte. Wie soll so was aufgearbeitet werden? Wer soll da eingeschaltet werden?
Gemeinsame Werte durchsetzen
Mansour: Also erst mal ist das eine Situation, die wir als Gesellschaft nicht akzeptieren können und müssen. Leider gibt es auch in dieser Gesellschaft Menschen, die sagen: Eigentlich sollten wir auf die kulturellen Unterschiede eingehen, und wenn er mit einer Frau nicht reden konnte, dann schicken wir einen männlichen Kollegen. Das kann nicht die Lösung sein. Wir müssen unsere Werte, was unsere Gesellschaft ausmacht, eigentlich verteidigen und auch ganz klar kommunizieren und durchsetzen.
Wenn er mit einer Frau nicht reden soll, dann wird diese Frau ihn kontrollieren und dann schicken wir Hundertschaften – also das ist meine Meinung jetzt, die Polizei intern, wie sie das machen, das ist eine andere Sache –, um diese Maßnahmen durchzusetzen. Das kann nicht sein, dass solche Aussagen, solches Verhalten uns als Gesellschaft verunsichern. Wir müssen mit unseren Werten klar umgehen. Das sind Werte, die uns ausmachen, das sind Werte, die in Menschenrechten stehen, das sind Werte, die in den Gesetzen stehen, und die müssen wir verteidigen und die müssen wir auch richtig gut kommunizieren. Ansonsten haben wir immer wieder Situationen, die uns als Gesellschaft verunsichern.
Heise: Und Sie betonen – und das betonen Sie ja mit Absicht – immer uns und unsere Gesellschaft, weil das ist das, was ganz am Anfang passieren muss, nämlich uns alle als Gesellschaft begreifen in der Heterogenität, in der wir hier leben.
Mansour: "Ihr"-"Wir"-Debatte abschaffen und von "wir" reden! Das sind Menschen, die zu dieser Gesellschaft gehören, auch mit ihren Problemen. Aber wenn wir immer von "ihr" reden, von "den anderen" reden, dann ist kein Wunder, dass diese anderen eine Identität suchen, die ganz ist anders als die "Wir", und die auch dieses "Wir" abwertet.
Heise: Wenn Sie interkulturelle Kompetenz bei der Polizei vermitteln, treffen Sie da auf offene Ohren oder ist das so eine Unterrichtsstunde, die man halt abreißen muss?
Mansour: Nein, offene Ohren, wir arbeiten auch sehr spielerisch, wir wollen auch den jungen Polizisten zuhören, wir wollen, dass sie zur Sprache kommen, wir wollen, dass sie ihre Erfahrungen auch berichten. Wir wollen nicht jetzt zwei Tage irgendwelche PowerPoint-Präsentationen halten. Wir wollen eigentlich zum Austausch kommen, und durch diesen Austausch … Dadurch, dass wir beide, die die Schulung durchsetzen, auch mit Migrationshintergrund sind, kommt oft sehr schön Austausch und Diskussionen, die eigentlich bestimmte Problematik natürlich thematisiert und nach Lösungen sucht.
Heise: Der Diplom-Psychologe Ahmad Mansour plädiert für die Betonung unserer Werte, unserer gemeinsamen Gesellschaft. Danke, Herr Mansour, für dieses Gespräch. Schönen Tag wünsche ich Ihnen noch.
Mansour: Vielen Dank! Danke! Tschüss!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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