Jugend-Slang wird immer wilder

Von Uschi Götz · 01.04.2011
Viele Jugendliche verständigen sich in Halbsätzen. Andere reden so, als würden sie die deutsche Sprache eben erst lernen. Linguisten und Germanisten widmen sich der neuen deutschen Bruchstück-Sprache auf einer Fachkonferenz in Freiburg.
Puschig, was? Oder nix gescheckt, ha? Vielleicht gibt’s die Lösung in der Streberburg. Für über 20-Jährige in der Bibliothek.

"Hey, komm, check ein!"

Die Hosen hängen in den Kniekehlen, die Unterwäsche ist deutlich sichtbar. Jeden Tag gehen sie so in den Knast, zur Schule also. Ob das morgen noch so sein wird? Wer weiß? Jugendsprache ist nicht gechillt, sondern ändert sich wie die Haarfarben der Sprechenden, also ständig. Chillen ist übrigens megaout, wer ausruht schilft. Die Generation Zahnspange kürzt gerne ab:

"Gehen wir Bahnhof?"

Siegel: "Das heißt, es fehlen Präpositionen, zum Beispiel, wenn man sagt "ich gehe Bahnhof". Es fehlen Artikel vor Substantiven, wie ich habe Hausaufgaben schon gemacht oder es werden eben einfach Pronomen weggelassen, wie "dann weiß, dass er Spass macht". Also der Sprecher lässt dann ich weg, er sagt nicht "dann, weiß ich, dass er Spaß macht, sondern er weiß, das Spaß macht."

"Was gugsch, ha?"

Vanessa Siegel ist Linguistin und untersucht für ihre Promotionsarbeit die morphosyntaktische Reduktion im Türkenslang.

"Hey, Alter, was laberst du?"

Siegel: "Das hört sich wirklich sehr akademisch und linguistisch an, aber das heißt einfach nur, dass diese Sprecher, also Jugendliche mit unterschiedlichem Migrationshintergrund, grammatische Elemente weglassen."

Die Freiburger Linguistin führt Interviews mit türkischstämmigen Jugendlichen und wertet die Texte aus. Doch einen Türken- Russen- oder Polen-Slang beherrschen auch Jugendliche, deren Wurzeln eben nicht in den jeweiligen Ländern liegen. Jugendsprachen sind multikulti. Seit gestern beschäftigen sich in Freiburg auf der sechsten internationalen Konferenz zur Jugendsprache Sprachwissenschaftler aus ganz Europa mit diesen und anderen Sprach-Dynamiken.

Germanistik-Professorin Eva Neuland unterrichtet Didaktik an der Universität Wuppertal und forscht im Bereich Jugendsprachen.

Neuland: "Es gibt natürlich keine einheitliche, eine Jugendsprache, sondern sehr viele unterschiedliche Sprech- und Schreibweisen, sehr vieler unterschiedlicher Jugendlicher, vor allen Dingen in der Gruppe, weil die Jugendsprache natürlich auch etwas ist, was man in der Gruppe benutzt. Aber wir gehen schon davon aus, dass es etwas gibt, was sehr typisch ist für Jugendliche im Sprachgebrauch. Die soziale Bedeutung, die sie dem Sprachspiel etwa beimessen, die Veränderungen, die sie an der Sprache vornehmen wollen, um sich durch einen besonderen Sprachgebrauch sowohl vielleicht von älteren oder jüngeren abzugrenzen, als auch sich mit den eigenen Gruppen zu identifizieren."

"Guck mal, es gibt Leute in meiner Crew, die writen schon seit zehn Jahren und die sagen, so wie du einen Stil hast, so will ich mal werden."

Das sagt ein 15-jähriger Graffiti-Sprayer. Wenn es die Situation verlangt, kann er auch ein akzentvolles Türkendeutsch sprechen. Über das Thema Jugendsprache als Struktur, Performanz und Ideologie referierte heute auf der Freiburger Konferenz zur Jugendsprache der Linguistik Professor Jannis Androutsopoulos vom Hamburger Institut für Germanistik.

Androutsopoulos: "Gymnasiasten sprechen anders als Hauptschüler. Das kann man nachweisen, wenn man Aufnahmen macht und dann die Vokale, den Wortschatz oder den Syntax vergleicht. Das Problem ist nur, dass Gymnasiasten untereinander jeweils unterschiedlich sprechen und dass Hauptschüler untereinander anders sprechen und dass Gymnasiasten manchmal wie Hauptschüler klingen, ohne diese nachmachen zu wollen, und dass Hauptschüler manchmal wie Gymnasiasten klingen. Und das sind alles Auswirkungen der konkreten Kommunikationssituation, das heißt, des Adressaten, des Themas."

"Voll konkret. Check ein!"
Jugendliche sind auf der Konferenz lediglich im Begleitprogramm vorgesehen. Das hindert die Wissenschaftler nicht daran, auch darüber zu diskutieren, welche Auswirkungen die im Internet und in Kurzmitteilungen von Jugendlichen angewandte völlig neu kreierte Schreibweise auf das Schreiben von normgebundenen Texten bereits hat oder haben kann. Die Betroffenen freilich plagen andere Fragen:

"Sollen wir BIK gehen? Nein, ich hasse BIK, gehen wir Meggi! Meggi ist nicht gut. BIK ist Scheiße! BIK geht gar nicht."

Mit einem Ausblick auf traditionelle und neue Themenfelder bei der Erforschung der Jugendsprache wird morgen Eva Neuland die dreitätige Konferenz in Freiburg beenden. Zur Beruhigung von Ellis, also Eltern und Kukidents, also Großeltern, sei schon jetzt gesagt: einen immer wieder befürchteten Sprachverfall sehen die Wissenschaftler nicht:

Neuland: "Jugendliche machen von dem Bildungsmittel Gebrauch, die die deutsche Sprache in ihrer Grammatik auch bereithält. Also, da gibt es nichts, was nun völlig neu ist und aus dem Rahmen fällt. Es gibt Veränderungen in den Bedeutungen, es gibt auch Veränderungen in den Wortformen, also in der Wortbildung, aber nicht außerhalb der deutschen Grammatik, sondern sehr regelgerecht, selbst wenn es um die Integration von Fremdwörtern geht."

"Cool. Kannst mal entschleunigen?"
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