Jugend

Roadmovie auf Beruhigungsmitteln

Von Carolin Fischer · 11.02.2014
Als ein Verkehrsunfall den namenlosen Helden in "Zweiundzwanzig" zum Vollwaisen macht, begibt er sich gemeinsam mit seiner Freundin und deren zweiten Liebhaber auf eine Reise durch den Westen der USA. Eine lakonisch erzählte Geschichte voll wunderbarer Miniaturen.
Mit 22 Jahren von einer Nonne mitten in der Nacht aus dem Schlaf gerissen zu werden, um zu erfahren, dass der eigene Vater bei einem Autounfall ums Leben gekommen ist, ist eine einschneidende Erfahrung und ein ziemlich spektakulärer Auftakt für einen Roman. Ansonsten kommt das neue Buch von Jean-Philippe Blondel, das als erstes seiner Bücher ins Deutsche übersetzt wurde, eher unaufgeregt daher, da der namenlose Ich-Erzähler seine Geschichte mit einer gewissen Lakonie zum Besten gibt.
In der Klinik, in der ihm am nächsten Morgen die Weisheitszähne hätten gezogen werden sollen, weckt ihn zunächst eine Nonne, und dann übermitteln ihm seine Freunde Laure und Samuel die traurige Nachricht. Dieser Todesfall ist umso tragischer, als er den Protagonisten zum Vollwaisen macht, da sein Vater bereits vier Jahre zuvor einen Unfall verursacht hatte, bei dem die Mutter und der einzige Bruder des inzwischen 22-jährigen Studenten starben.
Eine weitgehend entspannte Dreiecksgeschichte
Grund genug für Laure und Samuel, ihm zur Seite zu stehen und ihm bei der Abwicklung der zahlreichen notwendigen Formalitäten zu helfen. Vor allem aber versuchen die beiden, ihm Halt zu geben, was durch die amouröse Konstellation erschwert wird: Laure, die langjährige Freundin des Ich-Erzählers, war im Begriff, sich von ihm zu trennen, um mit seinem besten Freund, Samuel, ein Paar zu bilden. Das könnte Stoff für eine Liebestragödie geben, führt hier aber zu einer weitgehend entspannten Dreiecksgeschichte, in der sich die Figuren ohne aufbrausende Emotionen je nach Situation gruppieren.
Diese relative Coolness ergibt sich auch aus der Erzählperspektive, denn die Geschichte wird zwar retrospektiv, aber doch aus der Sicht eines sehr jungen Mannes erzählt, der zunächst unter dem Schock des Verlustes und unter dem Einfluss von Beruhigungsmitteln steht. Anschließend sucht er auf einer Reise durch den amerikanischen Westen, zu der er Dank seines väterlichen Erbes Laure und Samuel einladen kann, einen Weg zurück ins Leben; so lautet der französische Titel "Et rester vivant", auf Deutsch: "Und lebendig bleiben".
Ohne jedes Pathos erzählt
All dies führt zu einer Sicht, bei der wenig Platz für Gefühle für andere Menschen oder für die Beschreibung ihrer Gefühle bleibt. Doch langweilt uns der Ich-Erzähler keineswegs mit seinen persönlichen Befindlichkeiten. Er erzählt ohne jedes Pathos, beinahe nüchtern und nicht ohne eine gewisse Ironie, was dem Buch eine schöne Leichtigkeit verleiht. In meist sehr kurzen Sätzen sind die Gedanken wie hingetupft, was die Stimme dieses 22-jährigen sehr glaubwürdig und den Ton des Buches sehr jung macht.
Auch nimmt er auf dieser partiell an ein Roadmovie erinnernden Fahrt durchaus die Menschen wahr, denen er begegnet, sei es die Dame am Schalter der Autovermietung oder die Wirtin des Motels am Rande der Wüste. In der – stets unprätentiösen – Schilderung dieser Begegnungen schafft Jean-Philippe Blondel wunderbare Miniaturen. Der Rahmen und die Widmung des Romans suggerieren eine autobiografische Komponente, doch dieser nachzuspüren wäre müßiger Voyeurismus.

Jean-Philippe Blondel: Zweiundzwanzig
Aus dem Französischen von Sophia Hungerhoff
Mare Buchverlag, Hamburg 2013
160 Seiten, 18,00 Euro

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