Jürgs: Für Springer war Pressefreiheit oberstes Gut

Moderation: Joachim Scholl |
Der Publizist und ehemalige "Stern"-Chefredakteur Michael Jürgs hat den Verleger Axel Springer als einen Verlegertypen bezeichnet, den sich Journalisten heute wünschen würden. Bei aller berechtigten Kritik am von ihm betriebenen Kampagnenjournalismus sei für Springer die Pressefreiheit jedoch höchstes Gut gewesen.
Scholl: "Er war wahrlich kein Intellektueller, aber ein Geistesmensch" - so schätzt ein neuer Chef den alten ein: der Satz stammt von Matthias Döpfner, Vorstandschef des Springer-Konzerns, in einem heute erscheinenden Buch "Axel Springer - Neue Blicke auf den Verleger". Es ist eine Sammlung von Essays prominenter Autoren, Otto Schily ist darunter, Hubert Burda, Franziska Augstein und Michael Jürgs, früherer Chef-Redakteur des "Stern", sehr bekannt inzwischen auch als Biograph, auch von Axel Springer. Michael Jürgs ist jetzt am Telefon, guten Morgen!

Jürgs: Hallo, guten Morgen!

Scholl: Welchen neuen Blick, Herr Jürgs, haben Sie auf Axel Springer geworfen?

Jürgs: Keinen neuen Blick. Ich habe das, was ich schon, glaube ich, in meiner Biographie versucht habe zu beschreiben, was Axel Springer nicht war und was er war, aus dem damals gehörigen Abstand bereits, als ich es geschrieben habe vor zehn Jahren, in einen Artikel verfasst und für dieses Buch einen Beitrag gemacht daraus.

Scholl: Ihre Biographie ist viele hundert Seiten stark, trotzdem die Bitte: Könnten Sie beschreiben, wer er für sie war?

Jürgs: Wenn ich das Positive zuerst nehmen darf, war er sicher einer von den Verlegertypen, von denen wir Journalisten heute träumen würden, wenn wir sie noch hätten. Also, wir haben sie nicht mehr. Also, Verlegertypen wie Augstein, Bucerius, Springer auch Nannen natürlich, die Journalisten schätzten und liebten, ihnen die Freiheit verschafften, die sie brauchten, ich meine jetzt die kommerzielle Freiheit, also zu schreiben was sie wollten, und die Journalismus für was ganz Tolles hielten, was die Welt verändern könnte.

Jetzt kommt das Negative, weil er natürlich eine ideologische Vorstellung von der Welt hatte, das sich dann später ausprägte in seinen späteren Jahren, hat er sie auf Linie schreiben lassen. Nie so persönlich gesagt, aber so zum Ausdruck gebracht, mit all den bekannten, uns bekannten Konflikten des damaligen Springer-Verlages.

Scholl: Der Name Springer war jahrzehntelang ideologisiert. Die Springerpresse war das Synonym für das reaktionäre, konservative, das "Schrei, Tob, Brüll" der Bild-Zeitung. Inwieweit war denn diese kollektive linke Vorstellung wirklich deckungsgleich mit der Person?

Jürgs: Also, die linke kollektive Vorstellung, wie Sie sie nennen, ich gehörte auch zu denen, die die linke Vorstellung haben, kollektiv würde ich für mich ablehnen, aber diese linke Vorstellung war natürlich auch berechtigt im Sinne von, oder belegbar in dem, was da drin stand, gegen jedweder Art von Öffnung der Politik, siehe Willy-Brandt-Ost-Politik. Und gegen jedwedigen Aufbruch der Gesellschaft siehe Studenten, APO, '68.

Was aber in diesen Zeitungen, oder was bei Springer der Unterschied war zu den heutigen Schrei-Blättern, die es ja genauso gibt, auch in seinem Verlag gibt, der seinen Namen trägt, ist dass man noch irgendwo versuchte einen moralischen Standpunkt zu erklären - und zwar auf beiden Seiten.

Scholl: Aber man darf ja die Sünden der Bild-Zeitung nicht vergessen, also die hysterische Hetze der späten 60er Jahre gegen die Studenten, in den 70er Jahren die Kampagnen etwa gegen Heinrich Böll...

Jürgs: Die Tradition ist ja erhalten!

Scholl: Ich meine, das waren damals ja auch keine Ausrutscher, das war Programm, das Axel Springer ja auch mitgetragen hat, oder?

Jürgs: Das Programm war eindeutig! Mein Gott, wir wollen uns nicht über die "Schlagtotzeilen" der Bild-Zeitung... oder der BZ in Berlin sind ja unvergessen. Man darf auch nicht so tun, als ob das nur einfach eine lässliche Sünde gewesen sei. Dies war schon übelster Kampagnenjournalismus, den man auch nur so bezeichnen kann. Und natürlich ist der oberste Verleger, also Axel Springer, auch für diesen Kampagnenjournalismus verantwortlich gewesen. Es gibt ja diesen berühmten Satz von ihm, dass er oft wie ein Hund leidet und aus dem Bett fällt, wenn er morgens die Schlagzeile der Bild-Zeitung las.

Scholl: Diesen Satz musste er aber vor seinen Redakteuren wieder zurücknehmen!

Jürgs: Ja, er musste nicht! Er hat es getan. Aber in seinen Unterlagen, die ich dann später gefunden habe, war natürlich immer die Bestätigung dafür, ja.

Scholl: Diese neuen Blicke jetzt, es ist ja doch interessant, wie betont ausgewogen sie sind. Also, etwa von Otto Schily, der in den 70er Jahren noch die RAF-Terroristen verteidigte, heute die politischen Visionen des Axel Springers als "mutig und weitsichtig" umschreibt. Ist das jetzt - altersmilde Weisheit mal abgesehen - eine korrekte historische Einschätzung?

Jürgs: Nein, das sehe ich nicht so. Ich glaube schon, dass man natürlich im Abstand von heute manches anders sieht, also, er hat an die Wiedervereinigung geglaubt als wir alle nicht mehr dran geglaubt haben und ihn für "den Brandenburger Tor" hielten deswegen. Das ist vielleicht die Tragik seines Lebens, dass er als letzter daran glaubte und sie nicht mehr erlebt hat.

Aber wenn man mal überlegt, dass er in Moskau versuchte die deutsche Wiedervereinigung herbeizuholen. Wenn man mal überlegt, dass er versucht hat mit allen möglichen Mitteln die Ostpolitik von Willy Brandt zu verhindern, die ja schließlich auch zur Einheit geführt hat. Das darf man nicht vergessen.

Wenn man überlegt, dass er alles, was in der Gesellschaft nach liberalem Aufbruch klang, versucht hat zu verhindern, obwohl er selbst für sein ganz privates Leben jede Liberalität verlangte, dann ist man, soll man hier jetzt nicht versuchen schön zu reden.

Aber - und das kommt jetzt dazu - er war immer gegen Nazis, immer gegen Nazis. Er war nicht einer von denen, die sich das Maul verbieten ließen in der Nazizeit. Er war einer von denen, die - und das wiederhole ich vom Anfang - dafür stand, dass die Pressefreiheit, so wie er sie verstand natürlich, das höchste Gut sei.

Vergessen Sie nicht, dass es eine Versöhnung mit Willy Brandt gab im Alter, die beiden alten Männer in Jerusalem haben sich plötzlich vertragen und versöhnt. Und so ist er sicherlich nicht unversöhnt gestorben, mit denen, die er früher an seine Brust drückte, nämlich da waren auch ein paar Linke dabei.

Scholl: Deutschlandradio Kultur, wir sprechen im Radiofeuilleton mit Michael Jürgs, Biograph von Axel Springer aus Anlass eines neuen Buches mit, so der Titel, "Neuen Blicken" auf den Verleger.

Sie haben jetzt gerade das Credo referiert, Herr Jürgs, von Axel Springer. Dieses Credo hat sich ausgedrückt in den vier berühmten Leitlinien, die jeder, der bei Springer arbeiten wollte, ja unterschreiben musste. Das war einmal die Wiedervereinigung Deutschlands, für die Aussöhnung zwischen Deutschland und Israel, gegen jegliche Form des Totalitarismus und für die soziale Marktwirtschaft, die erste Maxime wurde nach '89 aktualisiert, umgewandelt in ein Bekenntnis zur westlichen Staatengemeinschaft und Europa. Diese vier Regeln, die gelten ja heute noch.

Was sagen Sie denn als, also als alter auch großer Magazinmacher und Chefredakteur, ist das noch zeitgemäß, dass man seinen Mitarbeitern wirklich noch vorschreibt, das müsst ihr unterschreiben?

Jürgs: Also, für mich als Stern-Stellvertreter galt nur eine Regel natürlich, dass die Geschichte stimmte. Und jetzt können sie natürlich ein bisschen lachen, weil die Hitler-Tagebuch-Affäre kommt, aber ich wurde danach...

Scholl: Hätte ich jetzt aber in diesem Zusammenhang gar nicht gesagt...

Jürgs: Na ja, ich hätte es Ihnen aber auch gegönnt, ich hätte es Ihnen gegönnt. Ich bin danach Chefredakteur geworden und der Stern hat daraus gelernt auch, dass darf man nicht vergessen, aus dieser unglaublichen Niederlage. Ich bin nicht sicher, ob die Bild-Zeitung, wie sie heute ist, aus all den Niederlagen, die sie nachweisbar erlitten hat, gelernt hat.

Ich hätte von meinen Redakteuren verlangt mir zu erklären, warum eine Geschichte so ist, ob sie stimmt. Das sind die einzigen Regeln, die für einen Journalisten gelten: Stimmt die Geschichte, stimmt sie nicht. Und muss sie gedruckt werden, ja oder nein. Und meistens muss die Antwort ja lauten, selbstverständlich, wenn man es belegen kann.

Insofern kann ich auch diese Altersweisheit von Otto Schily, die wirklich von einer unglaublichen Weisheit getragen ist, er hat ja auch nie was gewusst von CIA-Flügen, wie man heute weiß, auch das hat er wahrscheinlich vergessen, dann muss man sagen, diese Altersweisheit, die kann ich nicht teilen. Ich kann teilen die Meinung neue Sichten und ich finde es hervorragend, dass meine ich gar nicht ironisch, dass der Verlag heute soweit ist, auch Kritiker des Hauses für ein Buch einzuladen, über den Verleger zu schreiben.

Scholl: Kommen wir mal zur heutigen Signatur des Springerkonzern, Matthias Döpfner, der aktuelle Vorstandsvorsitzende, extrem smart, cooler Typ, der in dem jetzt erschienenen Band einen durchaus klug akzentuierten Artikel geschrieben hat. Und ein Satz ist mir besonders aufgefallen, er schreibt da: "Ein publizistisches Unternehmen wie Springer ist ohne geistigen, inhaltlichen Erfolg nicht denkbar, der Geist bestimmt immer noch das Geld und nicht umgekehrt. Ich frage Sie, Michael Jürgs, was wäre denn heute dieser Geist?

Jürgs: Also, den Geist, nicht den, den wir gerade besprochen haben, das kann es nicht sein, das ist eine andere Zeit heute. Aber ein Geist, der mit Freiheit etwas zu tun hat, ohne Regeln aufzustellen, die man unterschreiben muss. Ein Geist, der davon ausgeht, dass die Welt so spannend ist und sich so jeden Tag verändert, dass sie aus verschiedener Sicht beschrieben werden muss, dass es Reporter gibt und Journalisten gibt, die das Geld brauchen zu recherchieren. Und dass nicht die Manager bestimmen die Inhalte des Blattes. Das wäre ein Geist, den ich mir heute wünsche.

Scholl: Den Sie sich wünschen, aber wie würden Sie den Geist einschätzen, der heute herrscht. Ich meine, wenn wir Matthias Döpfner sehen, dann sehen wir einen richtigen Manager, gutaussehend, klug. Aber ein Mann mit einer Vision? Einer journalistischen Vision?

Jürgs: Darf ich eine Gegenfrage stellen? Sehen Sie bei anderen Verlagen irgendjemand?

Scholl: Touché. Aber eine Person gibt es noch, die diesen Geist des Axel Springers bewahrt, die Erbin und Ehefrau Friede Springer. Was sagen Sie zu ihr? Zu ihrer Rolle?

Jürgs: Ich finde Friede Springer hat mit einer unglaublichen, ruhigen Klugheit - muss man wohl auch sagen - diesen Männerbund Springer, der es ja war, ein richtiger Macho-Männerbund Springer, wo Frauen nur als Geliebte oder als Sekretärinnen eine Rolle spielen durften, zerschlagen, still und leise die Macht an sich, nicht gerissen, sondern zu sich genommen und in den Arm genommen, das ist ja eine sehr freundliche Frau.

Und ich glaube, dass sie eine von den wenigen ist, die sich glauben berufen zu fühlen, uns zu erzählen, wie die Welt funktioniert. Ich rede von Frauen in Deutschland, und ich rede von Fernsehen, und ich rede von Verlagen, und ich rede von Politikerinnen, eine der wenigen klugen zurückhaltenden ist, und sich nicht öffentlich so engagiert. Sie ist sicher politisch auf der Seite von Angela Merkel, aber ich habe von ihr nie eine große Rede, oder einen Satz gehört, wie die Welt aussehen müsste oder der Verlag sein müsste, wenn sie ihn regiert.

Scholl: In diesen Tagen, Herr Jürgs, strebt der Konzern eine enorme Expansion an, die Übernahme der Sat.1/Pro 7/Media AG, den machtvollen Fernsehkomplex. Das Kartellamt hat massive Zweifel, heute Mittag läuft die Frist ab zu der Springer eine Stellungnahme dazu einreichen muss. Was glauben Sie, welche Folgen hätte diese Fusion, diese Machtkonzentration, hätte sie wirklich Folgen?

Jürgs: Da wir gerade über das Geistige und den Inhalt, und den mangelnden Inhalt oder den mangelnden geistigen Inhalt auch von anderen gesprochen haben, ist es einfach nur, dass was sie in vielen andern Firmen, die nun zufällig Zeitungen drucken in dem Fall oder Sender betreiben, zusammenführen. Und ich sehe das nicht als große Gefahr, weil die Konkurrenz, die ja auch noch da ist, - man vergisst immer, dass ja Bertelsmann und RTL ja auch nicht gerade… und ein paar Zeitschriften dazu, von kleiner Größe sind.

Ich sehe das nicht so riskant, und ich kann dieses ... ich kann nicht teilen die Meinung, dass dies eine Gefahr sei. Aber wenn es eine Gefahr ist, muss man sich wehren, das konnte man immer schon als Journalist, in diesem Fall auch. Und ich sehe das eigentlich ganz gelassen.

Scholl: Michael Jürgs haben Sie herzlichen Dank für dieses Gespräch!
Verleger-Witwe Friede Springer bei der 25. Gala-Night des Wirtschaftsclub Rhein-Main am Samstag, 22. Januar 2005, in der Alten Oper in Frankfurt.
Verleger-Witwe Friede Springer© AP