"Zeigen, dass Deutschland die Deutungshoheit abgibt"
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Deutsche Museen geben ihre Benin-Bronzen zurück – dieser Beschluss wird als wegweisend bei der Restitution geraubter Kulturgüter bezeichnet. Der Historiker Jürgen Zimmerer kritisiert zahlreiche Versäumnisse - er vermisst eine historische Geste.
Rund 1100 Benin-Bronzen befinden sich zurzeit in deutschen Museen, ein Großteil davon im Ethnologischen Museum in Berlin. Es sind aus Messing gegossene Menschen, Tierfiguren und Reliefs, die 1897 im damaligen Königreich Benin, das heute zu Nigeria gehört, gestohlen und später in London versteigert wurden. Seit Anfang der 1970er-Jahre haben sich Politiker und Kulturexperten aus Nigeria um Rückgaben einzelner Bronzen bemüht. Einen offiziellen Rückgabeantrag hat der nigerianische Botschafter in Deutschland vor zwei Jahren gestellt. Nun haben sich Vertreter von Bund, Ländern und Museumsdirektoren geeinigt: Die deutschen Museen geben ihre Benin-Bronzen zurück.
Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) spricht von einer historischen Wegmarke im Umgang Deutschlands mit seiner kolonialen Vergangenheit. Davon könne keine Rede sein, sagt der Historiker und Afrikawissenschaftler Jürgen Zimmerer. Im Grunde sei man nicht weiter als in den vergangenen Jahren. Da habe es geheißen: "Wir geben zurück, wenn etwas gestohlen ist", so Zimmerer. "Und jetzt heißt es: Wir geben einen substanziellen Teil zurück."
Dabei stelle sich aber die Frage, wer eigentlich entscheide, was substanziell ist und welche Stücke zurückgegeben würden und welche nicht. Und vor allem stelle sich die Frage: "Wie verhindert man, dass es jetzt auf bilateraler Ebene einen Kuhhandel gibt oder Druck gibt, um zu sagen – wie es auch in der Vergangenheit ja durchaus schon war international: Ihr müsst aber zustimmen, dass ein Teil in Deutschland bleibt, sonst kriegt ihr gar nichts." Das sei eine "denkbare Figur". Wenn alle Bronzen gestohlen seien, wovon man ausgehen könne, sei die Frage, warum nicht alle zurückgegeben werden, erklärt Zimmerer.
Geste in einer Reihe mit Brandts Kniefall
Ein anderes Defizit in dem Prozess, den man jetzt beschlossen habe, sieht der Wissenschaftler darin, dass die deutsche Zivilgesellschaft darin überhaupt nicht vorgesehen sei – die aber "dieses Gipfeltreffen erzwungen hat, die die Museen gezwungen hat, sich dieser Frage zu öffnen". Wir bräuchten aber eine Diskussion in Deutschland darüber, wie wir mit diesen Verhandlungen umgehen wollen, fordert Jürgen Zimmerer.
Es sei jetzt klar: "Es werden Benin-Bronzen restituiert – das ist gut", betont Zimmerer. Doch es hätte ein größeres Zeichen gebraucht, sagt er mit Blick auf Berlin: "Ich hätte mir erhofft, dass man symbolisch dieses Humboldt Forum auch wirklich dekolonialisiert, indem man sagt: Wir gehen mit einer großen Geste ran, wir bekennen uns zur Restitution aller gestohlenen Objekte und bitten dann demutsvoll, einige Objekte hier ausstellen zu können – und überschreiben so auch diese Herrschaftsgeschichte dieses Humboldt Forums."
Das wäre eine Geste gewesen, so Zimmerer, die man in eine Reihe hätte stellen können mit der Rede des französischen Präsidenten Emmanuel Macron in Ouagadougou zur Rückgabe afrikanischer Kulturgüter oder selbst dem Kniefall Willy Brandts in Warschau.
Angst um Nofretete und den Dinosaurier
Es gehe darum zu demonstrieren, "dass Deutschland die Deutungshoheit und die Verfügungshoheit abgibt".
Einer der Gründe, warum nicht von einer bedingungslosen Rückgabe gestohlener Objekte gesprochen werde, sei, dass dann die Frage nach dem Dinosaurier im Berliner Naturkundemuseum und nach der Nofretete gestellt werde, vermutet Zimmerer.
In Bezug auf das am Donnerstag beschlossene Papier zur Rückgabe der Benin-Bronzen müsse man nun schauen, wie das ausgeschmückt werde.
(abr)