Jürgen Gosch ist tot

Von Susanne Burkhardt · 11.06.2009
Noch schwer krank arbeitete Jürgen Gosch an seiner Neuinszenierung des griechischen Dramas "Die Bakchen" des Dichters Euripides. Nun starb er im Alter von 65 Jahren, wie das Berliner Ensemble mitteilte.
Es gibt Menschen, die man sich beim besten Willen nicht schreiend vorstellen kann. Jürgen Gosch war einer von ihnen. Seine höfliche, bescheidene und von understatement geprägte Freundlichkeit ließ eher vermuten, dass er unvermeidbare – dann aber auch grausame - Angriffe jedweder Art mit einem Lächeln und en passant erledigen könne.

Die Schauspielerin Corinna Harfouch beschrieb Gosch als "sowohl ungeheuer bösartig als eben auch ungeheuer liebend". Zuschreibungen wie dieser setzte Jürgen Gosch sein gemütliches Lächeln entgegen:

"Wenn es der Wahrheitsfindung dient …"

Gewissheiten gab es für ihn nie. Höchstens die, dass es eben keine gibt. Und so war der Theaterweg des Jürgen Gosch immer ein Weg der Suche. Nach dem Geheimnis der Figuren in den Stücken. Nach den feinen Regungen der Seele.

Alles Deuten und Interpretieren war ihm suspekt. Er wollte das Theater früh von der anderen Seite der Barrikade betrachten und wurde Schauspieler zu einer Zeit, als es noch gar keine Ausbildung zum Regisseur gab.

"Die Regie, dass überhaupt einer da unten sitzt das ist offenbar - eine Erfindung des 19. Jahrhunderts – Beginn des 20. Jahrhunderts, dass dieser Beruf, den ich da ausübe, so prominent und unersetzlich geworden ist."

Gosch - geboren im Kriegsjahr 1943 in Cottbus, brachte 1978 an der Ostberliner Volksbühne, wo er 31 Jahre später für seine "Möwe"-Inszenierung umjubelt wurde, "Leonce und Lena" heraus. Sein Beckettscher-Blick auf das Stück war für das damals sozialistische Berlin zu nihilistisch.

Also musste Gosch seinen Weg im Westen fortsetzen. Mit Inszenierungen in Hannover, Bremen, Köln und Hamburg. Zehn Jahre später versucht er es noch einmal in Berlin – diesmal im Westen der Stadt – an der Berliner Schaubühne. Shakespeares "Macbeth" sollte seine Antrittsinszenierung als künstlerischer Direktor der Berliner Schaubühne werden. Doch der Abend wurde ein Debakel und von der Kritik als "einschläfernd" verrissen.

Dass Jürgen Gosch 18 Jahre später noch einmal "Macbeth" inszenierte, diesmal in Düsseldorf, kann als eine Art Befreiung von der damaligen Niederlage gewertet werden. Jetzt kehrte "Macbeth" als archaische Blutorgie zurück. Als entfesselter Gewalt-, Sex-, Machtalbtraum, wie ihn das gutbürgerliche Publikum nicht zu träumen wagte. Weshalb es reihenweise floh.

Doch de Kritik war begeistert. Eine Einladung zum Theatertreffen nach Berlin folgte. Aber auch eine überflüssige Debatte über das Ekeltheater. Gosch hat in seinen Inszenierungen immer auf den Einsatz von Musikkonserven verzichtet. Auch Videos hat er nie verwendet:

"Weil ich scheu habe, diese Dinge miteinander zu vermischen – ich bin da irgendwie Talibanartig - hab ich da so ein Bilderverbot – oder Hörverbot."

"Die Musikalität die mich interessiert in so Aufführungen, ist die grundsätzliche Musikalität die durch die Sprache der Schauspieler, die Bewegung und die Rhythmisierung der gesamten Arbeit entsteht."

Theater war für Jürgen Gosch eine Versuchsanordnung. Nicht das finale Ergebnis interessierte den Regisseur, sondern der Weg gemeinsam mit den Schauspielern. Die Gemeinschaft. Wenn das Unfertige des Probenprozesses im fertigen Stück sichtbar blieb, dann war Gosch zufrieden.

"Ich denke, dass ich relativ fantasielos bin – dass ich da relativ visionslos bin den Stücken gegenüber. Das ist eins der vergnüglichsten Sachen ist, dass man das in einer bestimmten Gruppe versucht zu entdecken, was sich in den Stücken verbirgt – und dass dann mit welchen Mitteln auch immer an die Oberfläche zu holen."

Dass man eine relativ autarke Welt erfindet, in der man sich so lange wie möglich bewegen kann und dass es nicht die Legitimation eines Plotes unbedingt bedarf - der Versuch des Verschwindens von – da geht’s um das Theaterstück und da geht’s um das Leben davor – sondern dass das sich auf eine komplizierte Weise unter Umständen verbindet auch – oder das eine das andere bezeugt oder befruchtet."

Gosch wurde zum Uraufführungsregisseur der neuen Texte von Roland Schimmelpfennig. Sein Regie-Vorbild blieb vor allem einer: William Forsythe. Er versäumte kaum eine Aufführung des Tanz….

In den Neunzigerjahren versuchte Jürgen Gosch ein drittes Mal sein Glück in Berlin - die Inszenierungen am Deutschen Theater wurden wieder kein großer Erfolg. Umso schöner, dass Jürgen Gosch – bereits von schwerer Krankheit gezeichnet den unvergleichlichen Erfolg seiner Tschechow-Inszenierungen "Onkel Wanja" und "Die Möwe" ausgerechnet in Berlin erleben und genießen durfte.

"Onkel Wanja" welches ohne Übertreibung eine Jahrhundertinszenierung genannt werden darf, wird jedem, der sie gesehen hat unvergesslich bleiben. Und mit ihr der Regisseur Jürgen Gosch, der immer nur Geschichten über die Liebe erzählen wollte. Auch wenn diese oft traurig sind.Auch in seiner letzten Inszenierung, Roland Schimmelpfennigs "Ideomeneus" am Deutschen Theater in Berlin, ging es um die Liebe. Um eine besondere Liebe. Die Liebe zum Leben.