Jüdisches Museum zeigt NS-Raubkunst

Von Barbara Wiegand · 18.09.2008
Im Jüdischen Museum Berlin ist mit "Raub und Restitution" eine Schau über den europaweiten Raubzug der Nationalsozialisten und seine Folgen zu sehen. Im Mittelpunkt der Ausstellung stehen Kunstgegenstände und die Schicksale ihrer Eigentümer.
Von der Hitze der Restitutionsdebatte ist in der Ausstellung im Jüdischen Museum nicht viel zu spüren. Nur in einem Prolog-Raum kommen verschiedene ihrer Protagonisten per Videobeamer zu Wort – und geben sich gemäßigt diplomatisch. Ansonsten erinnert das Ganze eher an ein Depot.

Originale Gemälde, Porzellan, Silber, Briefe und Fotos hat man in Kisten mit durchsichtigen Deckeln gepackt, neben Faksimiles oder Reproduktionen von Inventarlisten oder Aktennotizen. Eine geschickte Inszenierung, ein lebendig gestaltetes Archiv, indem man Geschichte und Geschichten rund um Raub und Restitution erforschen kann.

Kuratorin Inka Bertz: "Es ist zunächst einmal eine dokumentarische Ausstellung über Raub und Restitution, und das ist schon Teil der Botschaft. Nämlich die Vorgänge in ihren Kontext zu stellen. Deutlich zu machen, dass Kunstraub mehr als nur Gemälde betraf, das Kunstraub in ganz Europa stattfand. Das es in Dimensionen stattfand, von denen die Restitutionen, über die wir heute sprechen, nur ein winziger Bruchteil ist. Das allein war ein Bedürfnis zu zeigen und damit die derzeitigen Auseinandersetzungen in eine andere Perspektive zu rücken."

Anhand von 15 ausgewählten Fällen will man diese neuen Sichtweisen eröffnen. Da geht es zum Beispiel um die berühmte, von den Nazis beschlagnahmte Sammlung Alter Meister Louis von Rothschilds. Oder um die weit mehr als 1000 Werke umfassende Kollektion des Niederländers Jacques Gouldstikker.

Kurator Michael Dorrmann: "Die Galerie Goudstikker war die bedeutendste Altmeister Galerie in Amsterdam. Der Inhaber konnte fliehen, ist dann allerdings bei der Überfahrt nach England in eine Dachluke gefallen und hat sich das Genick gebrochen. Und gegen seinen Willen ist die Galerie verkauft worden. Göring hat sich die besten Bilder gesichert. Und all diese Gemälde, die nach Deutschland gekommen sind, wurden schnell, nämlich 1946 zurück in die Niederlande gebracht, aber nicht an die Witwe restituiert, weil er der Ansicht war, dass damals ein Rechtsgeschäft stattgefunden hat."

Erst später bekam die Witwe 200 Werke der Kollektion zurück – der Rest bleibt verschwunden. Beispielhaft für eine Berliner Sammlergeschichte ist der Fall Curt Glaser. Von den Nationalsozialisten aufgrund seiner jüdischen Herkunft seines Postens enthoben, ergriff der einstige Direktor der Berliner Kunstbibliothek die Flucht. Zur Finanzierung verkaufte er seine Privatsammlung mit Werken von Beckmann, Kirchner, Munch. Und so kam es im Mai 1933 zu zwei Auktionen, bei denen auch eine von Lovis Corinth gemalte Landschaft bei Rom unter den Hammer kam.

"Interessant ist das, weil man nicht genau weiß, wer es 1933 ersteigert hat. Es befindet sich aber 1948 im Besitz eines Berliner Sammlers. Und der bietet seine Sammlung 1948 dem Museum Hannover an. Der Niedersächsischen Landesgalerie. Und es gibt dann einen interessanten Briefwechsel. Wo ganz klar wird, dass den Museumsdirektoren klar war, aus welchen undurchsichtigen Quellen zum Teil die Kunstwerke stammen. Der Sammler schreibt dann: Ja zeigen sie die Gemälde bitte nicht mit meinem Namen, da könnte man Verdacht schöpfen. Und hoffen wir, dass die Rückerstattungsgesetze bald abgelaufen sind und dann besteht ja keine Gefahr mehr."

Erst im vergangenen Jahr wurde das Corinth Gemälde vom Museum in Hannover an die Erben Glasers zurückgegeben. Die entscheidende Wende brachte hier wie in anderen Fällen die Washingtoner Erklärung von 1998. Sie setzte die Museen und ihre Staaten unter Druck, auch nach Ablauf von Entschädigungsfristen Licht ins Dunkel ungewisser Herkunftsgeschichten zu bringen und nach fairen und gerechten Lösungen zu suchen.

Dennoch müssen die Erben ihre Ansprüche erstmal nachweisen. Was nicht immer einfach ist, wie Leo Hepner auf seiner langen Suche nach einem alten Familienbild erfuhr. Es geht dabei um das Portrait seines Großvaters Walther Silberstein, dass Lovis Corinth 1923 von dem Berliner Herrenschneider malte. Ein Bild, das Silbersteins Tochter in seiner expressiven Malweise nicht gefiel. Und dass sie doch nie vergessen konnte, nachdem sie es bei ihrer Emigration 1933 zurücklassen musste, erinnert sich ihr Sohn Leo Hepner

"Das war ein Liebe-Hass-Gefühl zu diesem Bild. Zu ihrer Meinung sah das Bild wild aus, es erinnerte sie nicht an den Pater Familias, den sie kannte."

Immer wieder forschte der heute in London ansässige Hepner nach dem Bildnis des Großvaters. Immer wieder endete die Recherche in einer Sackgasse. Und als er das Gemälde endlich bei einem Galeristen fand, fand er keine Beweise für einen Besitzanspruch. Die NS-Akte, in der das Vermögen aufgelistet war, fehlte.

Es gab nur einen Vermerk über die "Verwertung" nach der Deportation der zweiten Frau Silbersteins. Und auch sonst fand sich kein konkreter Hinweis. Um einen langjähriges Untersuchungsverfahren zu vermeiden, entschloss sich der 1930 geborene Hepner das Bild zu kaufen. Als Geschenk für seine Mutter

"Sie meinten natürlich, dass ich überhaupt keinen Beweis hatte. Dass dieses Bild der Familie gehörte, dass es nie verkauft wurde. Das ist kein Schwarz und Weiß. Das sind graue Szenen…."

Die Restitution als "Grauzone", das gilt sicher über den Fall Silberstein hinaus. Eine Grauzone, die die Ausstellung im Jüdischen Museum gekonnt beleuchtet

Wobei man in der Fülle der gezeigten Objekte allerdings schon genau hinsehen muss, um die verschiedenen Grautöne darin zu erkennen. Um zu sehen, wie resistent viele bis heute dem Thema Restitution gegenüber stehen - aber auch wie ernst es mittlerweile genommen wird.
Mehr zum Thema