Jüdisches Filmfestival Berlin Brandenburg

Zwiespältiges Material aus der Ukraine

Das Hauptmotiv des 28. Jüdischen Filmfestival Berlin-Brandenburg 2022 zeigt auf dem Festivalplakat mehrere Menschen in bunten Kostümen zusammen unter einem alten Baum.
Das Programm des Jüdischens Filmfestivals in Potsdam und Berlin ist immer bunt und vielseitig. Dieses Jahr steht auch die Ukraine im Blickpunkt. © JFBB/Esra Rotthoff
Von Wolfgang Martin Hamdorf · 10.06.2022
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„Jew-cy“ ist ein Wortspiel, das die englischen Wörter Jews und Juicy, also Juden und "saftig", verbindet. Unter diesem Titel läuft das diesjährige Jüdische Filmfestival, das über 40 Filme und zwei Serien in Potsdam und Berlin präsentiert.
Häuser explodieren und Brücken werden gesprengt, Panzer rücken vor. Das sind Bilder eines Angriffskrieges. Am 22. Juni 1941 überfällt Deutschland die Sowjetunion. Von Anfang an werden gezielt Juden verhaftet und ermordet, es gibt Pogrome in Lemberg und anderen Orten.
Am 19. September 1941 erobern die Deutschen Kiew. Ein sowjetischer Artillerieangriff ist der Vorwand für die Vernichtung aller jüdischen Menschen in der ukrainischen Hauptstadt.

Keine Kommentare, nur knappe Zwischentexte

Über zwei Stunden lang rekonstruiert der ukrainische Regisseur Sergei Loznitsa in seinem Dokumentarfilm „Babi Yar. Context“ die Vernichtung der Juden unter deutscher Besatzung,  bis zur Ermordung von 33.771 Juden und Jüdinnen in der Schlucht von Babyn Jar am 29.und 30. September 1941.
Dabei hat der eigenwillige Regisseur die Aufnahmen aus deutschen, russischen und ukrainischen Archiven mit Musik, Geräuschen und Stimmen nachvertont. Es gibt keinen Kommentar, er arbeitet nur mit knapp formulierten Zwischentafeln und Auszügen aus dem Essay „Die Ukraine ohne Juden“, den der sowjetische Schriftsteller Vasily Grossman unmittelbar nach den Massakern verfasste.

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Mit beeindruckenden und erschreckenden Archivbildern erzählt Sergej Loznitsa von Völkermord und Kollaboration. Er kommentiert nicht, allein die Montage der Bilder macht seine Position deutlich. Von der Wirkung dieser Bilder kann sich das Publikum des Jüdischen Filmfestival Berlin Brandenburg überzeugen. Zu sehen ist der Film am 17., 18. und 19. Juni.
Am Ende gibt es einen Prozess, zwölf Nationalsozialisten werden öffentlich erhängt. Aber die Schlucht, der Ort des Verbrechens, wird 1952 auf Anweisung des Stadtrats von Kiew mit Schutt und Abwasser aus der benachbarten Backsteinfabrik angefüllt.

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Für den Regisseur ist das auch eine Metapher für den Umgang der Sowjetunion mit der Schoa auf sowjetischem Territorium, wie er betont: „Diese Geschichte wurde während der ganzen Sowjetzeit unterdrückt. Erst nach 1991 machten sich Historiker daran alles gründlich zu untersuchen und die Ereignisse zu rekonstruieren. Und noch einmal dreißig Jahre später entstand dieser Film.“

Willige Helfer des Terrors

Sergej Loznitsas Film zeigt, wie der NS-Terror von Anfang an willige Helfer findet.  Frauen und Männer in ukrainischen Trachten heben den Arm zum Hitlergruß oder schwenken Hakenkreuzfähnchen. Passanten jubeln den Wehrmachtsfahrzeugen zu, ukrainische Helfer prügeln jüdische Häftlinge. Prominente Nationalsozialisten, wie der Generalgouverneur Hans Frank werden von Kindern und Frauen mit Blumen beschenkt. 

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Es sind Bilder, die auch heute  noch in der Ukraine provozieren,  sagt Bernd Buder, der Leiter des Jüdischen Festivals Berlin Bandenburg.

Dieser Film zeigt ganz eindeutig, dass es in der Ukraine auch viele Kräfte gab, die mit den Deutschen zusammengearbeitet haben, die auch Mitverantwortung tragen für den Mord an den Juden. Ganz unbestritten davon, dass es in der Ukraine gleichzeitig unglaublich viele Partisanen gab. Es gab auch viele Leute, die Jüdinnen und Juden geholfen haben. Also man kann sicherlich sagen dieses Land war geteilt, aber es gab eine Kollaboration.

Bernd Bruder, Leiter des Jüdischen Filmfestivals

Jüdische Vernichtung passte nicht in die Doktrin

Mit der zwiespältigen offiziellen Haltung der stalinistischen Sowjetunion zur Schoa setzt sich der israelische Dokumentarfilm „Das Geheimnis des schwarzen Buchs“ auseinander. Dieses Schwarzbuch sollte die Verbrechen der Wehrmacht an der jüdischen Bevölkerung auf dem Territorium der UdSSR dokumentieren.
Damit wurde der prominente Schriftsteller Ilja Ehrenburg beauftragt, später kam noch sein Kollege Vasily Grossman hinzu. Aber das Schwarzbuch wurde kurz vor seiner Veröffentlichung 1947 in der UdSSR verboten. Es passte nicht in die offizielle Opferdoktrin des Regimes, der zufolge Juden keine stärker als andere verfolgte Gruppe seien.

Antisemitismus in der Bevölkerung

Das Schwarzbuch, so erklärt der US-Amerikanische Historiker Joshua Rubinstein im Film, thematisiere darüber hinaus den Antisemitismus in Teilen der ukrainischen, weißrussischen, russischen und litauischen Bevölkerung.

Sowjetische Beamte teilten Ehrenburg und Grossmann mit, dass es viel zu viel Material darüber gebe, wie sowjetischen Nachbarn ihre jüdischen Nachbarn verraten hätten. Der Bericht müsse sich aber auf die Verbrechen der Deutschen konzentrieren und nicht auf diese Nebenaspekte des Holocausts.

Joshua Rubinstein, Historiker

Es gelingt Regisseur Boris Maftsir mit Archivmaterialien, Animationssequenzen und Interviews über die Geschichte des Schwarzbuchs den stetig ansteigenden Antisemitismus unter Stalin zu erzählen, mit Ausgrenzungen, Verfolgungen und Morden.

Jüdisches Filmfestival Berlin Brandenburg
vom 14. bis 19. Juni 2022, an zwölf verschiedenen Spielstätten in Berlin und Potsdam.

Exemplarisch stehen dafür die Schicksale der Mitglieder des Antifaschistischen Jüdischen Komitees. Fünfzehn unter ihnen wurden 1949 verhaftet, dreizehn 1952 hingerichtet.

Komplexes und menschliches Bild

Die deutsche Wehrmacht vernichtet ein ganzes Dorf in der Ukraine und die Partisanen sehen vom anderen Flussufer aus ohnmächtig zu. Der israelisch-georgische Regisseurs Roman Shumunov erzählt in „Berenshtein“ über das Leben des ukrainisch- jüdische Partisan Leonid Berenshtein.
Der Film mischt die Spielfilmszenen mit einem Interview, das Berenshtein dem Regisseur noch kurz vor seinem Tod gab und in dem er die Szenen des Films kommentiert oder auch ergänzt. Dadurch entsteht ein komplexes und menschliches Bild eines jüdischen Partisanen, dem der wachsende Antisemitismus in der sowjetischen Armee durchaus bewusst ist.

Partisanen, die heute von Putin als Nazis bezeichnet werden

Gestorben ist Berenshtein 2019, da war der russische Überfall auf die gesamte Ukraine nur schwer vorstellbar. Heute beeinflusse das natürlich den Blick auf den Film sagt Bernd Buder.
„Das ist das Porträt eines Mannes, der ein Selbstverständnis hat, Rotarmist gewesen zu sein, Europa vom Faschismus befreit zu haben, Jude auch zu sein, aber auch Ukrainer und damals Bürger der Sowjetunion gleichermaßen", erläutert Bruder.
"Das ist eine Existenz, die heute sehr gespalten sein wird. Es gibt ja viele Partisanen. Jetzt bei dem russischen Angriffskrieg gab es ja auch viele Überlebende, Holocaust-Überlebende, die ums Leben gekommen sind, durch Raketenangriffe. Es gab auch ehemalige Partisanen, die ums Leben gekommen sind. Und für die ist es natürlich eine Wahnsinnsidentitätsfrage, wenn sie selber oder jemand, der oder die gegen den Faschismus gekämpft hat, plötzlich von der Putinschen Propaganda als Nazi bezeichnet wird, weil sie Ukrainer sind.“

Parallelen zum gegenwärtigen Ukrainekrieg

Man kann die Filme über die Ukraine auf dem Jüdischen Filmfest  nur schwer anschauen, ohne an den gegenwärtigen Krieg zu denken. Sie verhandeln auf ganz unterschiedliche Weise Themen wie Angriffskrieg, Völkermord, Widerstand und Kollaboration. Dabei entsprecht ihr vielschichtige und komplexer inhaltlicher Ansatz auch einer gelungenen originellen künstlerischen Darstellungsform.

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