Jüdischer Campus in Berlin

Symbol eines Neuanfangs

04:55 Minuten
Michael Müller (SPD, r), Regierender Bürgermeister von Berlin, besucht im Mai 2019 die Baustelle für den Jüdischen Campus und wird von Yehuda Teichtal, ein orthodoxer Chabad Lubawitsch chassidischer Rabbiner, über das Gelände geführt.
Michael Müller (r), Regierender Bürgermeister von Berlin und Rabbiner Yehuda Teichtal im Mai 2019 auf der Baustelle für den Jüdischen Campus. © picture alliance/dpa/Wolfgang Kumm
Von Sebastian Engelbrecht · 03.06.2020
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In Berlin entsteht ein Jüdischer Campus mit Kita, Schulen und Konferenzräumen. Es soll ein Begegnungsraum auch für nichtjüdische Menschen werden. Damit beschreite man einen gemeinsamen Weg in die Zukunft, so Rabbiner Yehuda Teichtal.
Brav antworten die Kinder dem 47-jährigen Mann im weißen Hemd mit der schwarzen Samtkippah auf dem Kopf, Rabbiner Yehuda Teichtal. Ihr Kindergarten ist – noch – in Containern untergebracht, die auf einer grünen Wiese in Berlin-Wilmersdorf stehen. Aus der Wiese soll ein Park werden, und im Sommer nächsten Jahres soll der Kindergarten aus den Containern umziehen in eines der größten jüdischen Zentren Europas: auf den "Jüdischen Campus".
Teichtal führt seit 24 Jahren die jüdische Chabad-Gemeinde in Berlin, die er als "orthodox und offen" bezeichnet:
"Der Jüdische Campus ist tatsächlich ein Ort für alle Menschen - religionsübergreifend, und soll als eine Plattform für eine lebendige Begegnungsstätte dienen, die auf drei Säulen basiert: Bildung, Kultur und Sport."

Mehrere Einrichtungen unter einem Dach vereint

Teichtal ist so umtriebig, dass in den zweieinhalb Jahrzehnten unter seiner Leitung viel entstanden ist: drei Kindergärten, eine Grundschule, ein Gymnasium, eine eigene Ausbildungsstätte für Rabbiner, ein Zentrum für Israelis in Berlin und ein Zentrum für Studierende. All das gehört nicht zur Jüdischen Gemeinde zu Berlin, der "Einheitsgemeinde", die mehrere Glaubensrichtungen in sich vereinigt.
Die Einrichtungen, die Teichtal aufgebaut hat, gehören zur unabhängigen internationalen Chabad-Bewegung, einer chassidischen Bewegung, die im 18. Jahrhundert in Russland entstand. Jetzt sollen alle Einrichtungen unter ein Dach kommen, sagt Jana Erdmann, die Pressesprecherin der Gemeinde:
"Neben der Kita und der Grundschule wird ein Gymnasium einziehen. Wir werden Räume für Konferenzen haben, wir werden einen sehr großen Sportraum für diverse Aktivitäten haben. Ein Konzertsaal wird dabei sein, und wir werden auch Räume für Erwachsenenbildung da drinnen haben."
Im Rohbau steht das Gebäude, das einen embryoförmigen Grundriss hat. Es symbolisiert den Neuanfang des Judentums in der Stadt. Beim ersten Spatenstich für den Jüdischen Campus im Juni 2018 feierten Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble und Bundesaußenminister Heiko Maas das Projekt.
Schäuble sprach damals von einem "Fundament für das weitere Erstarken jüdischen Lebens in Deutschland", vom "Anknüpfen an die alte jüdische Bildungskultur in Deutschland, die im Nationalsozialismus vernichtet wurde". Der Unterschied besteht nur darin, dass diese Kultur bis 1933 vom Reformjudentum geprägt war. Nun setzt die orthodoxe Chabad-Bewegung die stärksten Akzente.
"Es ist auch ein großes Haus: 8000 Quadratmeter, sieben Etagen. Es ist eines der größten jüdischen Zentren in Deutschland, in Europa eines der größeren, und damit wollen wir ein Zeichen setzen", sagt Teichtal.

Die Chabad-Gemeinde will das Judentum anders und neu präsentieren. Sie will erreichen, dass nicht Antisemitismus die erste Assoziation ist, wenn es um das Judentum in Deutschland geht, sondern das Miteinander von Religionen und Kulturen:
Ein Rabbiner steht auf einer Holzbühne und spricht zu Menschen.
Rabbiner Yehuda Teichtal: "Das ist natürlich ein ganz anderer, ein ganz neuer, ganz erweiterter Weg. Und wir glauben daran."© picture alliance/dpa/Pacific Press Agenc/Simone Kuhlmey
"Dass wir in Deutschland zeigen, dass wir hier gemeinsam lernen, gemeinsam spielen, gemeinsam ins Gespräch kommen. Das ist die Tat, die Antwort auf das Negative, auf die Dunkelheit und auf den Versuch, uns zu trennen."
Es reiche nicht aus, Populismus und Extremismus zu bekämpfen, sagt Rabbiner Teichtal. Er wolle diesen Bewegungen etwas entgegensetzen. Wer Interesse hat, soll auf dem Jüdischen Campus kennenlernen können, was das Judentum ist. Teichtal nennt als Beispiele Berliner Muslime, aber auch Schulklassen, Polizisten, Bundeswehrsoldaten, Mitarbeiter von Firmen, die ausbilden.

Auch nichtjüdische Kinder sind willkommen

"Die Mehrheit der Menschen unserer Gesellschaft wissen inhaltlich sehr wenig darüber, was das Judentum ist. Wie funktioniert es? Was sind die Begegnungsmodelle? Was sind die Gemeinsamkeiten?"
So soll der Kindergarten künftig auch nichtjüdische Kinder aufnehmen. Er soll vom kommenden Jahr an 200 Kindergartenplätze bieten.
"Das ist natürlich ein ganz anderer, ein ganz neuer, ganz erweiterter Weg. Wir glauben daran – persönlich bin ich davon fest überzeugt –, dass das der Weg in die Zukunft ist."
Der Jüdische Campus der Berliner Chabad-Gemeinde markiert einen Epochenwechsel in der Geschichte der jüdischen Gemeinden der Stadt. Jahrzehnte der Abschottung, bedingt durch die Erfahrungen der Schoah, gehen zu Ende.
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