Jüdische Zukunft in Berlin

Von Dorothea Jung · 02.09.2007
Am vergangenen Freitag wurde in Berlin die Wiedereinweihung der größten Synagoge Deutschlands in der Rykestraße, Bezirk Prenzlauer Berg, gefeiert. Nur zwei Tage später wurde im ehemaligen Westteil der Stadt, im Bezirk Wilmersdorf, erneut eine Synagoge eingeweiht - und mit ihr ein ganzes Kultur- und Bildungszentrum. Es gehört der orthodoxen Bewegung Chabad Lubawitsch. Die Gruppierung besitzt weltweit etwa 3000 jüdische Zentren und betreibt in Berlin bereits einen Kindergarten und eine Grundschule.
Die dominierende Farbe der Synagoge im neuen Bildungs- und Familienzentrum ist rot. Mit rotem Samt sind die Stühle bezogen, der Fußboden ist mit einem Teppich in dem gleichen satten Farbton ausgekleidet und über dem Altar, vor dem Thoraschrein, hängt ein Vorhang in tiefem Burgunderrot.

Zum Auftakt der Feierlichkeiten spielt ein kleiner, beleibter Junge auf der Empore des Hochaltars Geige. Er versucht, mit Musik Ruhe im Saal herzustellen. Was keine leichte Aufgabe ist; denn er muss Smalltalks zwischen hochrangigen Politikern und Mitgliedern der jüdischen Gemeinde unterbinden, muss mehr als 20 Rabbiner davon überzeugen, dass sie sich auch später noch herzlich und lange begrüßen können. Und er muss dabei die Foto- und Fernsehkameras sämtlicher Hauptstadtmedien ignorieren, die alle ihr Bild von den bärtigen Rabbinern mit schwarzem Hut und Kaftan machen wollen, die sich vor dem roten Hintergrund in der Synagoge so überaus malerisch und exotisch ausnehmen.

Endlich hat der tapfere kleine Musikant es geschafft. Die bärtigen Rabbis sitzen würdevoll still. Und der Direktor des neuen Zentrums, Yehuda Teichtal hat das Wort.

"Gelobt sei Gott, dass der Tag ist gekommen, dass wir stehen hier: Bei der Einweihung von unserem neuen Zentrum. Wir sind stolz, und wir sagen hier und heute: Jüdisches Leben wird in Deutschland wachsen!"

Rabbiner Yehuda Teichtal ist ein großer, schwerer Mann. Seine Ausstrahlung ist mit "dynamisch" nur unvollkommen beschrieben - nicht ohne Grund dürfte die jüdische Gemeinde ihm den Spitznamen "Power-Rabbi" verliehen haben. Deren Vorsitzender Gideon Joffe fand denn auch heute in seiner Festansprache nichts als lobende Worte.

"Es wurde ein Kindergarten gegründet, es wurde eine Grundschule gegründet, er hat eine Synagoge eröffnet, ein Bildungszentrum, unzählige Ferienlager und Feierlichkeiten; hat eine Familie gegründet, fünf gesunde Kinder bekommen und das alles in nur elf Jahren!"

Yehuda Teichtal ist es gelungen, private Spender davon zu überzeugen, dass die orthodoxe Bewegung Chabad Lubawitsch in Berlin ein Kultur- und Familien-Zentrum braucht. Er akquirierte 5 Millionen Euro, kaufte eine Villa in Berlin Wilmersdorf, die einst den Berliner Elektrizitätswerken gehörte und krempelte die Ärmel hoch.

"Die Schoah werden wir nie vergessen! Aber das ist die Vision von dem Lubawitsch-Rebbe, unserem Vorbild: Der hat gesagt: 'Deutschland nicht ignorieren! Wir sollten hingehen und miteinander aufbauen! Jeder Mensch ist eine Kerze. Zusammen können wir die Welt erleuchten!'"

Neben der Synagoge beherbergt das neue Zentrum Bibliothek und Medienraum; eine Jugendlounge und einen Festsaal sowie einen Laden mit Judaica und ein traditionelles Ritualbad, die sogenannte Mikwe. Es gibt ein koscheres Restaurant und ein Beratungszentrum. Aber wenn man Yehuda Teichtal glaubt, dann ist das erst der Anfang.

"Wir werden hier auch Rabbiner ausbilden auf die traditionelle Art und Weise, damit Deutschland genügend Rabbiner hat. Damit in Deutschland eine lebendige und starke jüdische Zukunft gesichert ist."

Die aus Weißrussland über die USA nach Deutschland gelangte orthodoxe Bewegung Chabad Lubawitsch wird von einigen liberalen Juden hinter vorgehaltener Hand als eine missionarische Sekte angesehen. Chabad Lubawitsch trete zwar nach außen locker auf, verehre aber insgeheim den Gründungsrabbiner Menachem Schneerson als Messias und entferne sich damit von einem authentischen Judentum. Chabad Lubawitsch missioniere vor allem runter russischen Zuwanderern und leite sie spirituell in die Irre. Rabbiner Yehuda Teichtal erwidert darauf:

"Das ist klar, dass das nicht stimmt! Eine Sekte ist keine sehr offene Gesellschaft, und wir sind ein sehr offenes Haus für alle Menschen. Wir bezeichnen uns nicht als orthodox, wir bezeichnen uns nicht als liberal, wir bezeichnen uns einfach als Menschen."

Hermann Simon, der Direktor des Zentrum Judaicum in Berlin, hält nichts davon, Gruppierungen wie Chabad Lubawitsch zu stigmatisieren.

"Chabad Lubawitsch ist schon das, was man als Orthodoxie bezeichnen kann, muss, soll. Es ist eine Form der Orthodoxie - es gibt viele andere und gehört aus meiner Sicht zur Pluralität jüdischen Lebens dazu; ich denke, es ist Teil des religiösen Berliner Lebens."

Auch die Festgäste bei der Einweihungsfeier begreifen die Aktivitäten von Chabad Lubawitsch als eine der vielen Facetten innerhalb einer mannigfaltigen jüdischen Wirklichkeit in Berlin. Außenminister Frank Walter Steinmeier sagte in seiner Festansprache, jedes neue jüdische Zentrum in Deutschland nach dem Holocaust sei ein Geschenk für die deutsche Gesellschaft.

"Unser Traum ist es jetzt, dass es gelingt, jüdisches Leben in all seinen verschiedenen Spielarten in den Gemeinden in Deutschland wieder zu etablieren. Das Judentum hat viele Gesichter. Und es ist gut, wenn dieser Pluralismus der verschiedenen Strömungen, natürlich im jeweiligen Respekt voreinander, auch in Berlin wieder erlebbar wird."

Viel Musik gab es auf dem Festakt zu hören. Sie erinnerte oft an chassidische Melodien und Tänze. Selbst bei einem so weihevollen Vorgang wie dem Einlegen der Thorarollen in den heiligen Schrein war es für die Besucher schwer, nicht mit dem Fuß im Takt zu wippen.

Sicher ist: Chabad Lubawitsch setzt auf sinnlich erfahrbare religiöse Praxis und auf Symbole. Im Eingangsfoyer hat Yehuda Teichtal eine Klagemauer hochziehen lassen. Eine Kopie der Mauer in Jerusalem. Klar, dass zum Ende des Festaktes alle prominenten Gäste sich davor zum Foto einfanden.
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