Jüdische Trainerlegende Emanuel Schaffer

Hochgeehrt und heftig umstritten

Im Trainingslager: Emanuel Schaffer bei den Vorbereitungen in der Sportschule Hennef.
Im Trainingslager: Emanuel Schaffer bei den Vorbereitungen in der Sportschule Hennef. © IMAGO / Horstmüller
Von Thomas Jaedicke · 30.05.2021
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1970 nahm Israel erstmals an der Fußball-WM teil. Ein Erfolg des in Deutschland aufgewachsenen Trainers Emanuel Schaffer. Eine neue Biografie zeichnet seinen Lebensweg nach und erzählt, wie ein Spiel die deutsch-israelischen Beziehungen verbesserte.
Verlust, Entwurzelung und Krieg. Schon früh in seinem Leben macht Emanuel Schaffer, geboren 1923 als Kind jüdischer Eltern in Polen und aufgewachsen in Recklinghausen, traumatische Erfahrungen.
Auf abenteuerlichen Wegen kann Schaffer, der 1941 auf der Flucht erfährt, dass seine Eltern und Geschwister bei einem von der SS organisierten Massaker ermordet wurden, zwar dem Holocaust entkommen. Doch er ist schwer gezeichnet, ein Leben lang.

Die Jahre auf der Flucht prägten den Trainer

"Ich weiß, ich bin verrückt", wird er viele Jahrzehnte später einem Journalisten anvertrauen. "Aber Du musst wissen, dass, wer auch immer da war und überlebt hat, verrückt zurückgekommen ist. Auch die, die glauben, sie sind normal, sind verrückt. Niemand ist gesund zurückgekehrt."
Als Schaffer dieses Bekenntnis abgibt, ist er längst der erfolgreichste Fußballtrainer Israels. 1970 hat er die Nationalmannschaft bis in die Endrunde der Weltmeisterschaft in Mexiko geführt. Ein bis heute unerreichter Erfolg.
Schmuel Rosenthal, Rosen, Bar, Lubetzki und Trainer Emanuel Schaffer
Mannschaftsleistung: Trainer Schaffer (re.) bereitet sich im Trainingslager mit einigen Spielern vor. © IMAGO / Horstmüller
Doch Schaffers Methoden, seine Art, mit anderen umzugehen, sind fragwürdig. "Hochgeehrt und heftig umstritten" ist der Mann, der als entwurzelter Jugendlicher während des Kriegs auf der Flucht vor Nazis und Sowjets Tausende Kilometer zu Fuß bis nach Kasachstan zurücklegt.
Immer wieder wird er unterwegs aufgegriffen und in Arbeits- und Flüchtlingslager der sowjetischen Geheimpolizei gesteckt. Als Fußballer kann er in den Lagermannschaften seine kargen Verpflegungsrationen aufbessern. Doch in seiner neuen Heimat Israel wird die unerbittliche Härte, die ihm in den Kriegsjahren dabei hilft, zu überleben, von allen gefürchtet.

Ein neues Buch rekonstruiert Schaffers Lebenswege

Dass seine Engagements meist schon nach kurzer Zeit enden, verwundert kaum. Entnervte Funktionäre kündigen Verträge, gedemütigte Spieler revoltieren. Schon sein erster Tag als Nationaltrainer, 1968, beginnt mit einem symptomatischen Missverständnis. Als er den Spielern eröffnet, künftig dreimal zu trainieren, wird er gefragt: "An welchen Tagen?" Schaffers trockener Konter: "Um sieben, um elf und um 15 Uhr!"
Den akribischen Recherchen der Historiker Lorenz Peiffer und Moshe Zimmermann sei Dank, dass Emanuel Schaffers dramatische Lebensgeschichte jetzt als sehr lesenswertes Buch vorliegt. Wie viele andere Überlebende der Schoah hat auch Schaffer zeitlebens sein Herz nicht auf der Zunge getragen. Vieles Erlittene behielt er für sich. Doch kurz vor Schaffers Tod, im Dezember 2012, haben die Autoren noch mit ihm sprechen können.
Darüber hinaus haben Peiffer und Zimmermann eine Vielzahl von Quellen ausgewertet, Interviews mit Weggefährten und Familienmitgliedern geführt, sind an Orte gereist, wo Emanuel Schaffer gelebt hat, um aus dem reichhaltigen Material die verschlungenen Lebenswege des Holocaustüberlebenden Emanuel "Eddy" Schaffer zu rekonstruieren.

Fußball als wichtiger Halt

Nach dem Ende der Kriegswirren entscheidet sich der 27-Jährige, 1950 im zwei Jahre zuvor gegründeten Staat Israel ein neues Leben anzufangen. Emanuel Schaffer startet bei null und schlägt sich zunächst als Hafenarbeiter und Kinokassierer in Haifa durch. Wie in allen schwierigen Lebensphasen zuvor ist für ihn auch in Israel Fußball ein wichtiger Halt.
Nach einer mäßig erfolgreichen Spielerkarriere bei Hapoel Kfar Saba und einigen Einsätzen in Israels B-Nationalteam beendet er 1956 seine Spielerkarriere. Zwei Jahre später lässt er sich an der Sporthochschule Köln von Hennes Weisweiler zum Fußballlehrer ausbilden. Um die Kosten der Trainerausbildung finanzieren zu können, trainiert Emanuel Schaffer unter anderem den Verbandsligisten Rhenania Würselen.
Trainerlegende Weisweiler beim Training mit den Grashoppers Zürich.
Engagiert: Trainerlegende Weisweiler beim Training mit den Grashoppers Zürich. © IMAGO / Horstmüller
Erstaunlicherweise hat Schaffer, dessen Familie im Holocaust ermordet wurde, offenbar keine Probleme, im Land der Täter eine Schule zu besuchen, die von Carl Diem, der für Hitler Olympia 1936 zu einem internationalen PR-Erfolg gemacht hatte, geleitet wird.

Meilenstein der deutsch-israelischen Beziehungen

Aus dem Kontakt zu Trainerausbilder Hennes Weisweiler wird eine lebenslange Freundschaft. Die beiden Freunde arrangieren nur wenig später eine Begegnung, die im Februar 1970 zu einem sportpolitischen Meilenstein in den deutsch-israelischen Beziehungen wird. Neun Jahre nach dem Eichmann-Prozess, in dem der ehemalige SS-Obersturmbannführer wegen des millionenfachen Mordes an Juden vom Jerusalemer Bezirksgericht zum Tode verurteilt wurde, kommt Borussia Mönchengladbach im Februar 1970 als erste deutsche Mannschaft zu einem offiziellen Spiel nach Israel.
Aus Furcht vor Anschlägen fliegt der deutsche Fußballmeister in einer Sondermaschine der Luftwaffe mit abgeklebten Hoheitszeichen zum Freundschaftsspiel gegen Israels Nationalelf nach Tel Aviv. Über 20.000 begeisterte Zuschauer sehen im ausverkauften Bloomfield-Stadion einen 6:0-Kantersieg der Gladbacher.

Eine Brücke zwischen den Menschen

Dieses Fußballspiel, mit dem Eddy Schaffer und Hennes Weisweiler – fünf Jahre, nachdem Bonn und Jerusalem diplomatische Beziehungen aufgenommen hatten –, eine Brücke zwischen den Menschen bauen, ist für Moshe Zimmermann und Lorenz Peiffer neben der persönlichen Geschichte Schaffers der Dreh- und Angelpunkt des Buchs. Einerseits zeigen die beiden Autoren an diesem Beispiel, wie sich in den deutsch-israelischen Beziehungen allmählich eine Normalisierung abzeichnet. Andererseits arbeiten sie aber auch noch etwas anderes heraus.
Dabei berufen sie sich auf Asher Ben Nathan, den ersten israelischen Botschafter in der Bundesrepublik Deutschland, der damals anmerkt, dass "nicht außer acht bleiben solle, dass es auch ein Schritt in Richtung Asymmetrie in den (…) Beziehungen war. Während die nach dem Sieg im Sechs-Tage-Krieg 1967 von Hybris befallene israelische Gesellschaft Anzeichen für das Nachlassen der Reserviertheit gegenüber Deutschland zeigte, wurden die israelkritischen Stimmen in Deutschland im Zusammenhang mit der Behandlung der Bevölkerung in den besetzten palästinensischen Gebieten immer lauter..."
Geduldig: Coach Schaffer (Mitte) erklärt seinen Spielern die WM-Taktik.
Geduldig: Coach Schaffer (Mitte) erklärt seinen Spielern die WM-Taktik. © IMAGO / Horstmüller
Kurz nach dem historischen Triumph bei der 1970er WM in Mexiko wird Schaffer wegen der bereits erwähnten Differenzen als israelischer Nationaltrainer entlassen. Zwar übernimmt er 1977 noch einmal für knapp zwei Jahre dieses Amt, doch seine große Zeit ist vorbei. Nach seiner Trainerkarriere konzentriert er sich zunächst auf seine Fabrik für Sportartikel, in der in Nordisrael 300 Arbeiterinnen und Arbeiter beschäftigt sind.
Später verdient der Geschäftsmann eine Zeit lang bei den verfeindeten deutschen Dassler-Brüdern als Repräsentant für Adidas und Puma sein Geld. Immer wieder reist Eddy Schaffer nach Deutschland, kauft in Düsseldorf eine Wohnung. 1997 kehrt er nach Recklinghausen zurück, in die Stadt, in der er neun Jahre seiner Kindheit mit seinen Eltern und Geschwistern gelebt hat. "Vielleicht war es etwas schwer, die Stadt wiederzusehen. Wegen der Erinnerung an meine Familie", erinnert sich Schaffer erstaunlich nüchtern.

Auch andere Sportler überwanden Grenzen

Woher haben Schoah-Überlebende wie Emanuel Schaffer die Kraft genommen, nachdem, was sie durchgemacht haben, weiterzuleben? Wie haben sie es geschafft, an die Orte, die für den größten Schmerz und das größte Unglück in ihrem Leben stehen, zurückzukehren? Eine direkte Antwort Emanuel Schaffers auf diese Fragen haben Lorenz Peiffer und Moshe Zimmermann in ihrem Buch nicht gegeben.
Doch sie finden ein anderes Beispiel, das möglicherweise stellvertretend für viele andere Schicksale stehen könnte. Der gebürtige Berliner Ralph Klein, Jahrgang 1931, war 1937 mit seiner Familie nach Ungarn emigriert. Während sein Vater in Auschwitz ermordet wurde, überlebte er die deutsche Besatzung. 1951 ging Klein nach Israel, wurde dort ein erfolgreicher Basketballspieler und -trainer.
Wie Eddy Schaffer ging auch Ralph Klein später nach Deutschland; sogar als Trainer der deutschen Nationalmannschaft, mit der er bei der Europameisterschaft 1985 Platz fünf belegte. Wie er diese Entscheidung mit seinem persönlichen Familienschicksal vereinbaren konnte, sagte er der Webseite von Yad Vashem: "Ich sah darin meinen Sieg über die Deutschen, dass das starke Deutschland einen Israeli als Trainer bestellte."

Lorenz Peiffer/Moshe Zimmermann: "Emanuel Schaffer – Zwischen Fußball und Geschichtspolitik. Eine jüdische Trainerkarriere"
Die Werkstatt, Bielefeld 2021
192 Seiten, 22 Euro

Lorenz Peiffer, Historiker, bis zu seinem Ruhestand Professor für Sportwissenschaft an der Leibniz-Universität Hannover. Forschungsschwerpunkt: Geschichte des jüdischen Sports in Deutschland.

Moshe Zimmermann, Historiker und emeritierter Professor der Universität Jerusalem. Experte für deutsche Sozialgeschichte des 18. bis 20. Jahrhunderts. Forschungsschwerpunkte: Geschichte der deutschen Juden und Sportgeschichte.

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