Jüdische Traditionen

Geschlechterkampf um koschere Küche

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Es gibt genaue Vorschriften für koschere Küche. Und Inspektoren, die sie kontrollieren. © Igal Avidan
Von Igal Avidan · 14.06.2014
In Israel – wie in den meisten anderen Ländern – stehen vor allem Frauen am Herd. Privat haben sie es also in der Hand, ob koscher gekocht wird. Beruflich aber nicht, denn Restaurant-Kontrolleure sind immer männlich. Eine Frau aus Jerusalem begehrt nun dagegen auf.
Jahrelang versuchte die national-religiöse Frauenbewegung Emunah, einen Koscher-Kurs für Frauen zu starten. Das staatliche Rabbinat weigerte sich jedoch mit dem Argument, eine Frau dürfe nicht in einem Lokal als Inspektorin arbeiten - aus Keuschheitsgründen.
Als der erste Kurs dennoch 2012 begann, meldete sich Avivit Ravia sofort. Die 47-jährige siebenfache Mutter, die in der ultra-orthodoxen Siedlung Beitar Ilit wohnt, lebt in der orthodoxen Welt, kämpft aber dennoch gegen die lokale selbsternannte orthodoxe "Sittenpolizei".
Was reizte Avivit Ravia an der Koscher-Ausbildung?
"Die Tatsache, dass dieser Kurs bahnbrechend war. Denn zum ersten Mal durften Frauen die Koscher-Kontrolle erlernen. Wir verbinden diese Funktion mit orthodoxen Männern. Aber es gibt nichts Natürlicheres, obwohl das politisch inkorrekt klingt, als eine Frau in der Küche. Warum aber darf sie nicht das, was sie privat macht, auch beruflich ausüben?"
Zehn Monate lang lernten die Frauen alle biblischen Speisevorschriften, zum Beispiel die vorgeschriebene Trennung von fleischigen und milchigen Speisen, die Besonderheiten des koscheren Weins und der Spenden von Lebensmitteln an die Armen, wozu bis heute Hersteller koscherer Lebensmittel verpflichtet sind.
"Bei der Anmeldung dachte ich, ich werde im Kurs nur Frauen wie mir begegnen, die keinen Beruf haben und eine Beschäftigung suchen. Ich war sehr überrascht, dort Rechtsanwältinnen zu finden, Schulleiterinnen, Agronominnen und Hochschuldozentinnen - zur Hälfte waren es orthodoxe Frauen und zur Hälfte religiöse."
Die Frauen mussten die Teilnahme an der Abschlussprüfung einklagen
Nach dem Kursabschluss ließ das Rabbinat keine der 16 Absolventinnen an einer staatlichen Prüfung teilnehmen, was eine Voraussetzung dafür ist, dass sie später als kommunale Inspektoren eingesetzt werden. 2013 klagte daher die Frauenbewegung Emunah vor dem Obersten Gericht gegen das Rabbinat; Kursabsolventin Avivit Ravia schloss sich dieser Klage an.
Das Rabbinat gab nach und lud die Frauen zur Prüfung ein, die Anfang Mai stattfand. Neun Frauen und 200 Männer erhielten die gleichen Fragen und wurden auf eigenem Wunsch in getrennten Räumen getestet.
Avivit Ravia wartet immer noch auf die Ergebnisse, aber sie arbeitet bereits seit einem Jahr beim ersten alternativen Koscher-Projekt in Jerusalem. Dieses ermöglicht es Restaurants und Cafés, koschere Speisen anzubieten, ohne sich der Kontrolle des staatlichen Rabbinats zu unterwerfen.
Der traditionelle Jude Yehonatan Vadai, der aus einer orthodoxen Familie stammt, will weiterhin nur koscheres Essen anbieten. An der Eingangstür seines Lokals "Carousela" im Zentrum von West-Jerusalem befestigte er eine traditionelle Gebetskapsel, Mesusa. Um die in der Bibel vorgeschriebene, jedoch aufwendige Trennung zwischen Fleisch und Milch zu umgehen, verzichtet er auf fleischhaltige Speisen. Mit dem Inspektor des Rabbinats hatte Yehonatan Vadai nur schlechte Erfahrungen gemacht und daher schließt er sich heute dem neuen Koscher-Projekt an.
"Es störte mich sehr, dass der Kontrolleur nur ein- bis zweimal pro Woche kam, für jeweils eine etwa Zweieinhalb-Minuten-Kontrolle. Er parkte seinen Wagen auf dem Bürgersteig, warf einen kurzen Blick in meine Küche, nahm einen Schokokeks und ging. Wie kann man in dieser kurzen Zeit festlegen, ob ein Lokal koscher ist? Welche Bedeutung hat noch die Koscher-Urkunde des Rabbinats, die an der Wand hängt und an die viele Menschen glauben?
Ein weiteres Problem ist, dass das Gehalt der Kontrolleure, das die Gastwirte zahlen, Verhandlungssache ist. Ich zahlte dem Inspektor umgerechnet 120 Euro im Monat, durfte ihn aber nicht aussuchen. Als ich ihn um eine Quittung bat, wollte er, dass ich ihn gleich einstelle. So hätte ich für seinen Zweieinhalb-Minuten-Dienst auch noch seine Sozialabgaben zahlen müssen."
An diesem historischen Tag unterschreibt Yehonatan Vadai die neue Kontroll-Urkunde des Projekts "Private Überwachung" des Rabbiners Aaron Leibowitz. Ein Fotograph verewigt diesen Moment: Ravia ist elegant in einer rosa Bluse und einem blumigen Kleid; sie trägt einen Armreifen und passende silberne Ohrringe, jedoch zugleich ein fliederfarbenes Kopftuch. Das Wort "Koscher" erscheint in der Koscher-Urkunde nicht - das darf laut Gesetz allein das Rabbinat verwenden.
"Wir betrachten das uns entgegengebrachte Vertrauen, dass wir in unserem Lokal die Speisegesetze einhalten, als einen heiligen sozialen Wert. Und wir werden alles unternehmen, alle Forderungen der Halacha einzuhalten, damit die Gemeinschaft bei uns in Sicherheit speisen kann. Wir stimmen zu, dass, wenn der Verdacht eines bewussten Vertrauensbruchs gegen diese Übereinkunft entdeckt wird und sich als wahr erweist, dieser Vorfall veröffentlicht wird."
Die Behörde lässt sich mit den Prüfungsergebnissen viel Zeit
Rabbiner Aaron Leibowitz, der dieses Projekt der Koscher-Getreuen initiierte und leitet, betont, dass seine Kontrollen streng, aber im Gegensatz zu denen des Rabbinats transparent seien. Die zehn beteiligten Lokale bezahlen die Monatsgebühren an das Projekt und nicht an die Inspektorin selbst, bemerkt Rabbi Leibowitz.
"Die jüdische Gesetzgebung oder Halacha hat absolut nichts gegen eine Frau als Koscher-Inspektorin. Orthodoxe Juden könnten eine Frau in dieser Funktion zwar aus Keuschheitsgründen ablehnen, aber dieses Argument ist unbedeutend. Avivit ist das Gesicht unseres Projektes. Denn sie führt vor Ort den Dialog mit den Lokalbesitzern und deren Mitarbeitern, die von ihr entzückt sind, besonders wenn sie sie mit dem früheren Inspektor des Rabbinats vergleichen. Es ist ein Segen, dass wir mit ihr auch die langjährige Benachteiligung der Frauen in diesem Bereich korrigieren können."
Avivit Ravia geht in die winzige Küche, wo die Japanerin Kinoyo arbeitet und gerade einen Erdbeerbecher zubereitet.
Die Frauen freuen sich auf die endlich eingetroffenen Gemüsekisten. Die Packungen mit Salatblättern, Spinatblättern, Rucola und Basilikum sind alle geschlossen und tragen den Stempel des Jerusalemer Rabbinats.
Weil die Küchenchefin Kinoyo nichtjüdisch ist, macht Gastwirt Vadai täglich das Feuer in der Küche an - sonst wären alle Speisen unkoscher. Das muss Inspektorin Ravia jedem nichtjüdischen Koch taktvoll erklären, um bloß niemanden zu verletzen. Das gelingt ihr gut mit ihrem ansteckenden Lächeln.
Avivit Ravia zieht das neue Koscher-Projekt, das auf höchstens 20 Lokale erweitert werden soll, auf ihre Schultern. Denn mehr Kontrollen würde sie nicht schaffen ohne die Standards herabsetzen zu müssen.
"Ich arbeite fünf Tage in der Woche und genieße es sehr trotz des Zeitdrucks, denn ich kontrolliere sieben Lokale und bin in jedem etwa eine Stunde. Unsere Freiwilligen und die Mitarbeiter vor Ort setzen diese Kontrollen fort. Mein Hauptproblem ist es, mit dem Auto in Jerusalem unterwegs zu sein und überall sowohl einen Parkplatz als auch eine funktionierende Parkuhr zu finden. Aber es macht Spaß, das schöne Gesicht des Judentums darzustellen, und das in Zusammenarbeit mit den Lokalen. Es ist ein Wunder, wie wir gemeinsam das Vertrauen wiederherstellen, das in unserer Gesellschaft weitgehend verloren gegangen ist."
Ob Avivit Ravia die Prüfung des Rabbinats bestanden hat, wird sie frühestens in zwei Monaten erfahren - die Behörde lässt sich viel Zeit. Eine Einstellung als staatliche Koscher-Inspektorin braucht sie zwar nicht, aber es reizt sie schon, bald auch diese Männerbastion zu stürzen - ganz koscher, versteht sich.