Jüdische Piraten

Die Rächer der Sepharden

14:03 Minuten
Historische Grafik mit der Darstellung des französischen Piraten Jean Lafitte, mit Hut und Fernrohr in der Hand.
Der jüdisch-französische Korsar Jean-Marie Lafitte hat es bis in einen Roman von Isabel Allende geschafft, allerdings heißt er darin "Zorro". © picture alliance / Mary Evans Picture Library
Von Jens Rosbach · 15.11.2019
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Auf den Meeren verbreiteten jüdische Piraten früher Angst und Schrecken. Ihr Zorn richtete sich vor allem gegen die spanischen und portugiesischen Schiffe, deren Länder sie zum christlichen Glauben zwangen. Eine wenig bekannte Seeräuber-Geschichte.
Moses Cohen Henriques war ein gefürchteter Mann. Der jüdische Pirat kreuzte im 17. Jahrhundert durch die Karibik, um vor allem Schiffe der spanischen Silberflotte auszurauben. Dieser Handelskonvoi brachte immer wieder sagenhafte Schätze etwa von Mexiko nach Europa - Ladungen voller Edelmetalle, Edelsteine und Perlen. Cohen Henriques war Sepharde, also ein Nachkomme von Juden, die auf der iberischen Halbinsel gelebt haben. Deshalb war die Kaperei für ihn auch eine Vergeltung am katholischen Spanien.
"1492 wurden die Juden zwangsvertrieben aus Spanien. Die portugiesischen Juden wurden fünf Jahre später zwangsgetauft. Und jetzt ist klar, dass die Sepharden, die spanisch-portugiesischen Juden, nicht so gut zu sprechen waren auf Spanien und Portugal", erklärt Michael Halévy, Sprachwissenschaftler und Experte für die sephardische Kultur. Der Hamburger ist bereits 71 Jahre alt, forscht aber noch immer.
"Nun kann man sich vorstellen, dass die Freude noch größer war, gerade spanische Schiffe anzugreifen, weil man sich rächen konnte, dass man vertrieben worden war und dann in der Folge auch aufgrund der Inquisition."

Pirat oder Kaufmann - die Grenze war fließend

Im 17. und 18. Jahrhundert galt die Karibik als jüdischer Zufluchtsort: Die Engländer und Niederländer, Spaniens Feinde, erlaubten Juden nämlich, in den Kolonien der sogenannten "Neuen Welt" Fuß zu fassen. Ob als Händler, Plantagenbesitzer oder als Freibeuter, oft versehen mit einem offiziellen Kaperbrief, also einer staatlichen Genehmigung zur Plünderung fremder Schiffe.
Die Piraten und Kaufleute – die Grenze verlief fließend – tauften ihre Zwei- und Dreimaster auf Namen wie "Schild Abrahams", "Samuel der Prophet" oder "Zion". Forscher Halévy weiß, dass diese Seefahrer bei der Eroberung der Karibik auch eine religiöse, eine messianische Idee verfolgten.

Verbündete in der Welt

"Wenn in allen vier Ecken der Welt Juden leben würden, so war die damalige Meinung, dann würde auch der Messias kommen."
1628 wirkte Cohen Henriques mit an einer spektakulären, konzertierten Piraten-Aktion, die nicht nur auf eigene Rechnung ging: Im Auftrag einer niederländischen Handelskompanie eroberten die Seeräuber vor der kubanischen Küste neun spanische Schiffe, die Schätze im Wert von 12 Millionen Gulden geladen hatten.
"Sie wurden in einer offenen Seeschlacht, kann man das fast schon nennen, besiegt. Und die Fracht wurde dann nach Amsterdam gebracht, das ist gut beschrieben aus den Akten."

Erinnerungen an die Inquisition

Moses Cohen Henriques wurde Mitglied der jüdischen Gemeinde im niederländisch-brasilianischen Recife. Gegenüber der Küstenstadt kaufte er sich eine ganze Insel, um von dort auf Jagd zu gehen. Doch 1654 erobern die Portugiesen die Region zurück, und Cohen Henriques musste sein Piraten-Eiland aufgeben.
Auch der jüdisch-französische Korsar Jean-Marie Lafitte kämpfte gegen die katholischen Eroberer. So beteiligte er sich 1815, bei der Schlacht von New Orleans, an der Zerschlagung der spanischen Armada. Die chilenische Schriftstellerin Isabel Allende hat Lafitte in der Romanfigur des jungen Zorro, eines schwarz-markierten Rächers der Armen, ein literarisches Denkmal gesetzt. Sie lässt den Piraten wie folgt über seinen Kampfgeist sprechen:
"Meine jüdisch-spanische Großmutter, eine Zeugin aus der Zeit der Inquisition, beflügelte meinen Hass auf die spanische Krone."

Solidarität mit Glaubensgeschwistern

Die jüdischen Freibeuter, Seeleute und Händler hatten ständig ihren Tod vor Augen. So rief 1753 ein Rabbiner der niederländischen Insel Curaçao dazu auf, Juden und jüdischen Schiffen zu helfen, die in Feindeshand geraten waren.
"Wenn Juden aus Curaçao in die Hände von Spaniern fielen und die Spanier durchaus bereit waren, sie auszulösen gegen eine ansprechende Summe, dann wurden auch die anderen Gemeinden in Hamburg, Amsterdam, Kopenhagen, Bordeaux gebeten, Geld beizusteuern. Also es war eine Solidarität, die bezog sich nicht auf eine Gemeinde selbst, sondern auf die gesamte sephardisch-jüdische Gesellschaft in der neuen und in der alten Welt."

Enterhaken und Bibel in Einklang bringen

Auch auf anderen Meeren verbreiteten jüdische Piraten Angst und Schrecken, erklärt Forscher Michael Halévy. So plünderte im 16. Jahrhundert der Sepharde Sinan Reis im Auftrag des osmanischen Reiches fremde Schiffe im Mittelmeer aus, sogar als offizieller Befehlshaber der osmanischen Flotte. Und im 17. Jahrhundert ging der Diplomat, Spion und Freibeuter Samuel Palache, ebenfalls ein Sepharde im Nordatlantik auf Raubzug. Doch bis heute ist unklar, wie diese Seeräuber Enterhaken und Bibel für sich in Einklang brachten.
Mal abgesehen vom Tötungs- und Diebstahlverbot in der Thora, hätten die jüdischen Piraten auch nicht am Schabbat "arbeiten" dürfen. Und der berühmt-berüchtigte Karibik-Freibeuter Moses Cohen Henriques, der von dem alten Priestergeschlecht der Kohanim abstammte, durfte eigentlich auch keine Toten anfassen. Heißt es doch im dritten Buch Mose:
"Den Priestern, den Söhnen Aarons, ließ der Herr durch Mose sagen: "Kein Priester darf sich dadurch verunreinigen, dass er mit einer Leiche in Berührung kommt".
Doch ähnlich wie christliche oder muslimische Freibeuter scherten sich wohl auch die jüdischen Piraten nicht um religiöse Gebote.

Die Mode mit dem Totenkopf

Bis dato sind nur Fragmente des jüdischen Seeräuberlebens überliefert. Umso mehr, klagt Michael Halévy, wucherten Legenden – etwa um die ehemalige Piraten-Hauptstadt Port Royal auf Jamaika. Hier gibt es heute noch, auf einem jüdischen Friedhof, Grabsteine mit Totenkopf-Zeichen, die fälschlich als Piratengräber bezeichnet werden.
"Auf den jüdisch-portugiesischen, jüdisch-spanischen Friedhöfen weltweit haben wir sehr, sehr viele Grabsteine mit dem Motiv eines Totenkopfes. Häufig Totenkopf plus gekreuzte Knochen, plus Sanduhr, plus Engelsflügel, plus Fledermausflügel. Das sind alles aus der Kunst, aus der Theologie bekannte "Memento mori", Motive also 'Gedenke, dass Du sterblich bist!'. Das ist eher christlich und nicht jüdisch und wenn etwas populär ist, werden es die anderen übernehmen. Also der Totenkopf und andere Motive, die bedeuten, dass man sterblich ist, haben nichts zu tun mit den Piraten."

Mythos und Interpretation

Was auch immer Mythos oder spätere Interpretation sein mag – für den Hamburger Experten ist klar: Die antisemitische Verfolgung in Europa hat das gewalttätige Treiben vieler jüdischer Freibeuter stark gefördert.
"Wenn man immer verfolgt wird, immer unterdrückt wird, dann hat natürlich die Tatsache, dass man auf dem freien Meer einen Beruf ausüben kann, in dem man nur sich selbst verantwortlich ist, eine gewisse Attraktivität."
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