Jüdische Geschichte zum Hören

Von Alice Lanzke |
Geschichte ist langweilig und trocken - so das harte Urteil vieler Schüler. Dass es auch anders geht, beweist die Audioführung <papaya:link href="http://www.hoerpol.de/" text="&quot;Hörpol&quot;" title="Hörpol" target="_blank" />.
"Äähh, watt? Icke? Nö! Davon hab ich nichts gewusst! Gar nichts! ... Also ganz sicher nicht. Damals war ich doch ein Kind. Und ob meine Eltern was wussten? Nein. ... Später, viel später habe ich davon erfahren, danach. ... War doch Krieg, da hatten wir andere Sorgen.""

Wenn Jugendliche künftig mit einem MP3-Player durch Berlin-Mitte laufen, dann haben sie vielleicht gerade diese Collage im Ohr. Sie ist Teil der Audioführung "Hörpol. Erinnerungen für die Zukunft", die sich jeder kostenlos aus dem Internet laden kann. Einen "lebendigen Geschichtsunterricht" nennt Initiator Hans Ferenz das Projekt, das ein Zeichen gegen Rassismus und Antisemitismus setzen soll und sich speziell an Jugendliche und Schulklassen wendet.

Ferenz: "Besonders an Hörpol ist die Machart. Das fängt schon damit an, dass die Stationen nicht einfach 'Rosenstraße' heißen oder 'Sophienstraße 26', sondern die heißen Anzug und Nein und Party und Tor und Verdacht und Macht und Kuss, also sind mit Worten belegt, die Jugendliche aus dem Alltag kennen. Und dahinter verbergen sich dann unterschiedlich gestaltete Beiträge. Das sind Radioshows, wie man Fernsehshows kennt, das sind Rocknummern, das ist HipHop, das sind Beatboxer, die eben alles mit dem Mund machen. Das sind kleine Hörspiele, das sind Dokumentationen. Das sind ganz unterschiedlich gemachte Sachen. Die sind schnell geschnitten, jugendgerecht geschnitten."

Erklärt Hans Ferenz die Besonderheit von Hörpol. Die Audiostücke erzählen nicht nur aus dem Dritten Reich, sie schlagen auch eine Brücke zur Gegenwart. So etwa in dem Stück "Anpinkeln". Darin liest der Jugendbuchautor Klaus Kordon aus seinem Roman "Julians Bruder", in dem Nazis auf einen Juden urinieren. Kordon schließt mit den Worten "Und wie in einem Roman so üblich habe ich alles erfunden." Dann wechselt die Szenerie zu einer Nachrichtensendung, Jugendliche berichten von ähnlichen Vorfällen aus den Jahren 2000, 2002 und 2004:

"Es folgen Meldungen aus Deutschland. Im Jahr 2000 haben drei rechtsradikale Jugendliche den 15-jährigen Deutsch-Iraker Harun grundlos zusammengeschlagen. Sie beschimpften ihn mit 'Kanakenschwein' und 'So was wie du hat früher einen Judenstern am Ärmel getragen'. Einer der Jugendlichen urinierte dem verletzt am Boden liegenden Harun auf den Kopf."

Wie auch bei einigen anderen der 27 Hörstationen haben bei "Anpinkeln" Schüler mitgearbeitet. Hier waren es Jenny, Desiree und Vincent von der Martin-Buber-Oberschule im Berliner Bezirk Spandau. Vincent erzählt, wie es dazu kam:

"Das war eigentlich so, dass unsere Deutschlandlehrerin dieses Projekt unterstützt hat und dadurch hat sie den Hans Ferenz eingeladen zu uns in die Klasse, also in den Deutschunterricht. Und da hat Hans uns halt die ganzen Sachen vorgestellt und wir waren alle recht angetan. Und da hat er uns gefragt, ob wir Interesse hätten, bei einer der Stationen mitzumachen. Und da haben wir gesagt, da hätten wir in jedem Fall Bock drauf und dann haben wir da eben mitgemacht."

Neben den Schülern konnte Hans Ferenz auch Schauspieler wie Axel Prahl, Moderatorin Marietta Slomka oder die beiden HipHopper "Zeugen der Zeit" für "Hörpol" gewinnen. Mehr als 120 Menschen wirkten bei dem Projekt mit. Die Kosten in Höhe von 148.000 Euro wurden von Sponsoren wie dem Hauptstadtkulturfonds übernommen.

Schon vor sieben Jahren kam Ferenz, der sonst Kinder- und Jugendhörspiele schreibt, die Idee für "Hörpol". Doch erst mit dem Durchbruch der MP3-Technik wurde das Konzept realisierbar, wie er erzählt:

"Das war so eine Grundidee, die da war, die mir nicht aus dem Kopf ging. Und es gab den Gedanken: Ach ja, ich mach eine Audioführung durch das Szenegebiet in Berlin, wo es die Kneipen, Cafés und Musikclubs sowieso gibt und zwischen den Musikclubs gibt es genug Geschichte und dadurch wird diese Art der Anbindung sich automatisch herstellen. Es blieb aber immer die Frage: Wie setze ich das um? Das gab eine zeitlang den Gedanken, machen wir einen Audioguide-Verleih - alles viel zu teuer, würde kein Mensch bezahlen. Und irgendwann vor sechs Jahren stand damals mein 13-jähriger Sohn am Rechner mit einem neuen MP3-Player, die es dann langsam schon gab, und lud sich völlig legal zwei Alben mal kurz auf seinen kleinen MP3-Stick und da dachte ich mir: Genau das ist es."

Tatsächlich ist es ganz einfach, Hörpol zu nutzen: Auf der Internetseite www.hoerpol.de kann man sich die Audioführung auf den Computer laden und dann auf den MP3-Player oder ein MP3-fähiges Handy ziehen. Zu den Audios gibt es außerdem eine Karte von Berlins Zentrum mit den eingezeichneten Stationen. Das Motto "Du bestimmst, wo’s langgeht" ist dabei durchaus wörtlich zu nehmen. Für die Führung gibt es keinen definierten Start- oder Endpunkt. Die Hörer können selbst entscheiden, bei welcher der 27 Stationen mit ihren insgesamt 160 Minuten sie anfangen, wie sie laufen, was sie interessiert. Nicht nur diese Freiheit macht "Hörpol" jugendgerecht – auch der Ton ist gelungen: Die Collagen sprechen die Sprache der Jugendlichen, ohne gekünstelt oder anbiedernd zu wirken. Ein Konzept, das etwa Rabbiner Andreas Nachama von der Stiftung Topographie des Terrors beeindruckt:

"Das Projekt Hörpol ist, weil es zu den Orten hinführt, an denen Dinge geschehen sind oder noch immer geschehen und das sehr assoziativ macht in einem Hörspiel mit Zeitzeugen, mit aktuellen Musikeinspielungen, wirklich vorbildlich. Und ich denke mir, es wird diejenigen, die heute mit diesen Medien leben, ansprechen und vielleicht auch dazu bringen, über Geschichte, Gegenwart und Zukunft nachzudenken."

Auf der gut gemachten Internetseite von Hörpol gibt es neben den Audios und dem Stadtplan auch noch vertiefendes Unterrichtsmaterial für die Schulen. Hans Ferenz betont, dass es ihm darum gehe, das "Bauchgefühl" der Schüler anzusprechen, ohne sie mit Fakten zu erschlagen – eben lebendigen Geschichtsunterricht zu bieten, der auch mal gerappt daher kommen darf. Ein lobenswertes Projekt.